Das nächste vermurkste Hollywood-Remake
Von Oliver KubeDer Thriller „Miss Bala“ von Gerardo Naranjo schaffte es 2011 nicht nur ins offizielle Programm des Cannes Filmfestivals, sondern auch zur mexikanischen Oscar-Einreichung in der Kategorie Bester fremdsprachiger Film und zu starken 4,5 Sternen hier auf FILMSTARTS. Der Film basiert auf der ebenso wahren wie bizarren Story einer Schönheitskönigin aus dem südlich von Kalifornien gelegenen mexikanischen Bundesstaat Baja California. Die 23-jährige Laura Zúñiga wurde dort 2008 mit sieben männlichen Gangmitgliedern sowie großen Mengen Bargeld, Waffen und Munition von der Armee festgenommen. Acht Jahre nach der ersten Verfilmung folgt nun das gleichnamige US-Remake von „Twilight“-Regisseurin Catherine Hardwicke.
Natürlich geht es bei Hollywood-Adaptionen in der Regel darum, mit einer englischsprachigen, bestenfalls mit ein paar bekannten Gesichtern gespickten Version eines bereits erfolgreichen Stoffes noch einmal Geld zu machen. Zumindest hin und wieder erhält man aber auch den Eindruck, dass den Beteiligten tatsächlich in erster Linie daran gelegen ist, ein größeres Publikum für eine Geschichte zu finden, die ihnen aus künstlerischen Motiven weitererzählenswert erschien. Jüngere Beispiele, bei denen das Hollywood-Remakes vielleicht nicht unbedingt überlegen, aber zumindest sehenswert ist, sind etwa „Let Me In“, „Funny Games U.S.“ oder „Departed - Unter Feinden“. „Miss Bala“ schafft es nicht in diese Liste, was sicherlich auch damit zu tun hat, dass der Ausgangsfilm und seine Qualitäten in der amerikanisierten Version praktisch nicht mehr wiederzuerkennen sind.
Killerin wider Willen: Gloria (Gina Rodriguez)
Seit sie nach dem Tod ihrer Eltern legal aus Mexiko in die USA ausgewandert ist, lebt Gloria (Gina Rodriguez) als Maskenbildnerin in Los Angeles. Der Kontakt zu ihrer besten Freundin Suzu (Cristina Rodlo) ist aber nie abgebrochen. Als diese an einem Schönheitswettbewerb teilnehmen will, fährt Gloria zum Anfeuern und Unterstützen zurück nach Tijuana. Am Vorabend der Veranstaltung überfallen jedoch Gangster den Nachtclub, in dem die Frauen ihr Wiedersehen feiern. Beide werden getrennt voneinander entführt. Da entdeckt Lino (Ismael Cruz Cordova), der Boss der Bande, das Gloria einen US-Pass besitzt. Er bedroht Suzus Sohn, um Gloria dazu zu bringen, für ihn Geld und Drogen zu seinem Komplizen in L.A. (Anthony Mackie) zu schmuggeln. Panisch sucht Glotia das Weite und wendet sich in ihrer Not an amerikanische Drogenfahnder. Doch anstatt ihr zu helfen, setzen die DEA-Agenten sie ebenfalls unter Druck: Sie soll das gefährliche Spiel weiter mitmachen und jetzt auch noch heimlich für die US-Behörde arbeiten. Ziel ist es, Linos Organisation und die Korruption innerhalb der sie stützenden mexikanischen Polizei endgültig zu zerschlagen. Um in die Kreise einiger mit den Verbrechern verbandelter Würdenträger vorzudringen, soll Gloria zudem an Suzus Stelle an der Miss-Wahl teilnehmen …
Der 2019er-„Miss Bala“ ist vor allem für Kenner der 2011er-Version eine satte Enttäuschung. Denn wo das Original der Indie-Produktionsfirma Canana Films (gehört Diego Luna und Gael García Bernal) noch mit einer ebenso rauen wie realistischen Optik überzeugte, ist das Remake des Hollywood-Studios Sony nun von vorne bis hinten auf Hochglanz poliert. So findet etwa die Miss-Wahl diesmal in einem schicken, modernen Kongresszentrum und nicht in einem heruntergekommenen Gemeindesaal statt. Die großspurig auftretenden, cool frisierten Gangster leben in Saus und Braus. Sie feiern in einer mit allen Schikanen ausgestatteten Villa und brettern mit Luxus-SUVs durch die Gegend. Im Vorgänger blieben sie hingegen nahezu anonym und auf beängstigende Weise auch für das Publikum ungreifbar. Zu allem Überfluss ist der von Ismael Cruz Cordova („Maria Stuart, Königin von Schottland“) gespielte Lino nun ein wahrer Adonis, der trotz seiner Taten einen sexy Bad-Boy-Charme ausstrahlt, mit dem er Gloria auf erstaunlich zurückhaltende, fast schon respektvoll anmutende Weise zu umgarnen versucht. In der mexikanischen Variante war Lino noch ein ungehobelter, hässlicher, kleiner Kerl in den Fünfzigern, der die Hauptfigur meist nur knurrend herumschubst und sie im Auto schon mal wortlos vergewaltigt.
Die Ecken und Kanten wurden so weit abgeschliffen, dass das Remake eigentlich einen anderen Titel tragen sollte. Schließlich begeisterte der 2011er-Streifen als vielschichtiges Crossover aus Thriller-, Arthouse- und Doku-Drama, das dem Zuschauer auch dank seiner Authentizität immer wieder Gänsehaut bescherte. Die Neu-Fassung serviert uns hingegen einen mit zunehmender Laufzeit immer unglaubwürdiger werdenden, durch plumpe Exploitation-Elemente angereicherten Action-Kracher aus dem Female-Revenge-Subgenre. Aus der hilflosen, der gnadenlosen Gewalt ihrer Erpresser komplett ausgelieferten Protagonistin im schlechtsitzenden, dreckigen Sommerkleid wird im Remake eine zum Ende plötzlich mit allen Wassern gewaschene, supercool ihre Maschinenpistole schwingende Amazone in heißen High Heels und blutroter, hochgeschlitzter Abendrobe.
Hauptdarstellerin Gina Rodriguez trifft dabei noch die geringste Schuld. Der „Jane The Virgin“-Star gibt sein Bestes, wirkt sympathisch und zieht den Zuschauer in den frühen, noch etwas ruhigeren Momenten auf seine Seite. Wer „Auslöschung“ gesehen hat, weiß zudem, dass sie – trotz ihrer geringen Körpergröße von nur 161 Zentimetern – auch in Actionszenen eine gute Figur macht. Leider dominieren die von Kameramann Patrick Murguia zweckmäßig, aber unoriginell eingefangenen und von Cutterin Terilyn A. Shropshire flott geschnittenen Action-Sequenzen das Geschehen viel zu sehr. Streckenweise wirkt das Alles wie eine wahllose Aneinanderreihung von minutenlangen Shootouts.
Sexy Bad-Boy-Charme: Aufpasser Lino ist im Remake ein echtes Schnuckelchen.
Dramatisch ist an der Geschichte jedenfalls nichts mehr, es geht nur darum, von Set-Piece A möglichst gradlinig zu Set-Piece B zu gelangen. Darüber wird die Intensität des Gefühlschaos, in das die in eine Zwickmühle zwischen mexikanischen Kriminellen und US-Behörden geratene Hauptfigur hineinschliddert, schnell völlig vergessen. Das ist durchaus verwunderlich. Immerhin hat Catherine Hardwicke doch bereits mit ihrem Debüt „Dreizehn“ bewiesen, dass sie innere Zerrissenheit und Gefühlsaufruhr im Rahmen einer glaubhaften Charakterzeichnung umsetzen kann. Stattdessen versucht sie sich hier fast ausschließlich als Action-Regisseurin und opfert dafür die emotionale Tiefe. Der ziemlich bescheuerte, völlig an den Haaren herbeigezogene finale Twist zeigt dann endgültig, dass den Machern des US-„Miss Bala“ absolut nichts an der mit ihrer moralischen Ambivalenz an die Substanz gehenden Vorlage liegt.
Fazit: Mit diesem weichgewaschenen, kaum einmal spannenden Thriller-Remake erweist Hollywood dem gefeierten Original einen wahren Bärendienst. Leider nicht das erste und ganz sicher nicht das letzte Mal in der Geschichte der auf Hochglanz gepolten Traumfabrik, dass eine nicht-englischsprachige Erfolgsvorlage auf eine solche Weise verhackstückt wird.