GESCHUNDENES TASMANIEN
von Michael Grünwald/filmgenuss.com
Erst vor Kurzem hatte sich das belgische Könighaus für seine Gräuel während der Kolonialzeit im Kongo entschuldigt. Wem nützt das noch? Eine Entschuldigung ist schnell daher gesagt, und nichts mehr wert, nach so vielen Jahrzehnten des Zierens. Besser spät als nie, würden manche behaupten. Wäre es nie so weit gekommen, würde ich sagen. By the way: hat sich Großbritannien eigentlich schon dafür entschuldigt, die Ureinwohner Tasmaniens ausgerottet zu haben? Wahrscheinlich schon, und wahrscheinlich gab’s jede Menge Reparationen, um zumindest das letzte Bisschen ethnisches Erbe zu konservieren und fortleben zu lassen, zumindest in musealen Freilichtenklaven und in der Sprache der Ureinwohner, dessen zeitgerechte Archivierung grundlegend dafür war, das gesprochene Wort in seiner Originalität auch für diesen Film hier zu adaptieren, einem Rape and Revenge-Thriller im erd- und blutverkrusteten Gewand eines historischen Abenteuerfilms aus einer Zeit, in der Tasmanien noch Van Diemens-Land hieß und in welcher der Genozid gegen die schwarze Bevölkerung hoch im Kurs lag. Wie erquickend kann so ein Film nur sein, der von Ausbeutung, Versklavung, Vergewaltigung und Tod erzählt? Gar nicht.
The Nightingale von Jennifer Kent, bekannt geworden durch ihren Psychohorror The Babadook, ist trotz all der Hoffnungslosigkeit ein zutiefst feministisches, aufbrausend rechtefordendes Werk. Im Zentrum steht die Ex-Strafgefangene Clare, die beim britischen Leutnant Hawkins (gnadenlos böse und perfide: Sam Claflin) ihre Restschuld abarbeitet, von diesem aber regelmäßig missbraucht wird und die Freiheit, die ihr längst zugesteht, auch nicht bekommt. Irgendwann aber platzt Clares Ehemann der Kragen – was Hawkins natürlich nicht auf sich sitzen lassen kann und seinen ganzen Unmut eines Nachts an Clares Familie auslässt. Die Folge: Mann und Kind sind tot, der Leutnant mitsamt seines nicht weniger abscheulichen Sergeants (ekelerregend: Damon Herriman) bereits unterwegs in die Stadt, um sich befördern zu lassen. Doch falsch gedacht, wenn man vermutet, dass Clare sich nach all der Tragödie das Leben nimmt. Nein: Clare wird zur Furie, zum wütenden, keifenden, schreienden Racheengel, der Hawkins hinterherfolgt. Ohne Fährtenleser allerdings geht’s nicht, also gesellt sich unter anfänglichem Widerwillen der Tasmanier Billy an ihre Seite. Beide haben anfangs nichts gemein, doch später mehr, als sie vermutet hätten.
Eine Warnung gleich vorweg: The Nightingale hat nicht zu Unrecht eine FSK-Freigabe von 18. Die dargestellte sexuelle Gewalt an Frauen ist in diesem Film ziemlich unerträglich. Wer hier also zu sensibel auf solche Szenen reagiert, und das auch weiß, sollte den Film möglichst vermeiden. Ich selbst habe kurz überlegt, vorzeitig abzubrechen, denn nachdem man ohnehin schon die Nase voll hat von so will menschlichen Abgründen und irreversiblem Leid, setzt Jennifer Kent noch eins drauf. In The Nightingale ist die Bestie Mensch allgegenwärtig, andererseits aber findet die Kamera für einen ruhenden Gegenpool atemberaubende Aufnahmen der tasmanischen Wälder, in denen die Verlorenen umherirren. Doch der eigentliche Grund, The Nightingale nicht dem Bösen zu überlassen und sich erbaulicheren Themen zu widmen ist die Figur des Fährtenlesers Billy. Der Aborigines Baykali Ganambarr ist in jeder Sekunde seiner Spielzeit eine Entdeckung. Seine pragmatische Sicht auf die Gegenwart vereint sich auf berührende Weise mit seiner Wut über das Übel der britischen Land- und Lebensenteignung. Dann aber ist er wieder kindlich beseelt von den alten Mythen seiner Kultur, und man wünscht sich unentwegt, Billy möge diese Tortur durch die Wildnis gut überstehen. Die Finsternis aber, die legt sich über jedes Bild. Die Schönheit einer fremden Welt leidet – sie bleibt entsättigt, regennass und düster. In manchen Szenen, wenn Clare Alpträume plagen, hat der Streifen auch einigen Horror parat, um dann, nach ihrem Erwachen, in das gutmütige Gesicht des Fährtenlesers zu blicken, der sich ihrer annimmt. The Nightingale ist ein erschütterndes Drama über eines der dunkelsten Episoden der Menschheit, ein tiefschwarzer Film, in seiner Kompromisslosigkeit vergleichbar mit Twelve Years a Slave, allerdings nicht ohne bedingungsloser Liebe zu einem verlorenen Paradies, die letzten Endes über den Tod erhaben sein lässt.
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