Moderator Seth Meyers sprach in seinem Eröffnungsmonolog bei der Golden-Globes-Verleihung vom „elephant in the room“, bevor er einige böse Pointen in Richtung von Harvey Weinstein und Kevin Spacey abfeuerte – und dieser Elefant steht nun auch in jeder Diskussion über das Thriller-Drama „Alles Geld der Welt“ zwangsläufig mit im Raum: Nach dem Aufkommen von Missbrauchsvorwürfen gegen Kevin Spacey entschied sich Regisseur Ridley Scott dazu, den zweifachen Oscarpreisträger in einer nur wenige Wochen dauernden Hauruck-Aktion (deren Hintergründe selbst an einen Spionage-Thriller erinnern) aus seinem bereits fertigen Film zu entfernen und durch Christopher Plummer zu ersetzen. Nur so glaubte er, seinen Film noch retten zu können. Die Arbeit von Hunderten sollte nicht wegen des Fehlverhaltens eines einzelnen wertlos werden. Aufgegangen ist dieses Kalkül freilich nicht, in den USA ist „Alles Geld der Welt“ bereits an den Kinokassen gefloppt. Offenbar stellt die Lösung nämlich niemanden so richtig zufrieden, die einen bringen den Film noch immer mit den verabscheuungswürdigen Taten von Kevin Spacey in Verbindung, die anderen sehen die Kunstfreiheit in Gefahr und lehnen die Entfernung des Schauspielers grundsätzlich ab. Aber es gibt in diesem Schlamassel auch einen Gewinner, nämlich den Film selbst – der ist zwar alles andere als rundherum gelungen, aber Christopher Plummer ist ziemlich eindeutig die bessere Besetzung für den grotesk-wohlhabenden Egomanen J. Paul Getty.
Als der Öl-Milliardär J. Paul Getty (Christopher Plummer) 1973 von der Entführung seines 16-jährigen Enkels Paul (Charlie Plummer) erfährt, schaut er nicht einmal von seinen Aktienkursen hoch. Als die Kidnapper wenig später 17 Millionen Dollar Lösegeld fordern, weigert er sich zudem, auch nur einen einzigen Cent herauszurücken – dabei wäre die geforderte Summe für den zu diesem Zeitpunkt reichsten Menschen auf dem Planeten kaum mehr als ein Taschengeld. Unterdessen tut Pauls Mutter Gail Harris (Michelle Williams) in Rom alles dafür, um ihren Sohn zu finden oder das Geld auf anderem Wege aufzutreiben. Unterstützt wird sie dabei von dem inzwischen für Getty arbeitenden Ex-CIA-Agenten Fletcher Chace (Mark Wahlberg), der allerdings schon bald zu dem (falschen) Schluss kommt, dass sich Paul absichtlich entführen ließ, um Geld aus seinem Großvater herauszupressen. So zieht sich die für alle Parteien zunehmend strapaziöse Situation über Monate in die Länge…
Zwei Mal werden in Ridley Scotts Film große Mengen Geld gezählt. Einmal von Gettys Bankern – unterlegt von orchestral-sakralen Klängen, als würde man hier gerade einem heiligen Akt beiwohnen. Und einmal von den Frauen der Mafiosi – unterlegt von flotter italienischer Popmusik, als wäre es etwas so Alltägliches wie das Kochen von Spaghetti. So verwandeln sich die Scheinbündel innerhalb einer einzelnen ausgedehnten Sequenz von einer anbetungswürdigen Reliquie zu einem simplen Gebrauchsgegenstand. „Alles Geld der Welt“ ist immer dann besonders interessant, wenn sich Ridley Scott („Alien: Covenant“) an die Bedeutung von unermesslichem Reichtum herantastet. Er scheint zu gleichen Teilen von dem sagenhaften Getty-Vermögen fasziniert und abgestoßen zu sein. In gewisser Weise ist „Alles Geld der Welt“ dabei so etwas wie die erste Realverfilmung eines Lustigen Taschenbuchs - mit J. Paul Getty als Dagobert Duck: In der Eingangshalle seines Privatanwesens hat der geizige Milliardär für Gäste extra ein Münztelefon installieren lassen, nicht einmal seine Stieftochter darf bei ihm umsonst telefonieren. An anderer Stelle berichtet er voller Stolz, wie er einen Basarhändler eine Stunde lang von 17 auf 11 Dollar heruntergehandelt hat, als wäre ausgerechnet das die herausragende Leistung seines Lebens.
Mit Kevin Spacey als J. Paul Getty hätte die Rolle fast zwangsläufig als groteske Karikatur enden müssen – dem ersten Trailer nach zu urteilen (in dem Spacey noch den Part verkörpert), hätten alleine schon die vielen Schichten von Alters-Make-up zu einer ironischen Distanz geführt, die Christopher Plummer (Oscar für „Beginners“) nun vollkommen abgeht. Man mag sich über seine oft absurden Knauserei-Einfälle wie eben die Gäste-Telefonzelle amüsieren, aber nicht über den Mann selbst, denn Plummer verleiht Getty jene eigentlich unnachahmbare Aura, die nur tatsächlich Superreiche haben und die alles wie ein Schwarzes Loch in sich aufsaugt. So beschreibt Getty seine Familie und sich dann auch ganz unbescheiden als eigene Spezies, deren Planet eine solch starke Schwerkraft besitze, dass sie sogar das Licht dehne. Und wenn er inmitten römischer Ruinen plötzlich noch seine Überzeugung kundtut, ein wiedergeborener Kaiser zu sein und dass dieser Ort vor vielen Jahrhunderten sein Zuhause gewesen sei, ist man dank Plummers Performance tatsächlich geneigt, ihm zu glauben.
Die auch so schon offensichtliche Selbstherrlichkeit des Superreichen war Ridley Scott aber offenbar noch nicht entlarvend genug, denn er enttarnt Getty zwischendurch immer wieder überdeutlich als unmenschlichen Teufel – etwa wenn er auf dem Schwarzmarkt ein millionenteures Bild eines Kindes ersteht und dieses liebevoll streichelt, während sein eigener Enkel gerade in Lebensgefahr schwebt. Das wirkt mitunter fast so, als hätte sich der Regisseur über seine eigene Faszination für die Figur erschreckt und dann in die andere Richtung überreagiert. Das macht den einen oder anderen Holzhammer-Dialog nicht besser, aber nachvollziehbarer – die Ambivalenz von J. Paul Getty ist fraglos das Herzstück von „Alles Geld der Welt“. Nur macht das Porträt des egomanischen Milliardärs eben bloß etwa ein Drittel des kompletten Films aus.
In der restlichen Spielzeit dreht sich hingegen alles um Pauls Geiselnahme und Gefangenschaft – und das Einzige, was an diesem Handlungsstrang nachhaltig fasziniert, ist die starke Leistung von Michelle Williams („Manchester By The Sea“, „Greatest Showman“). Ihr Co-Star Mark Wahlberg („Transformers 5: The Last Knight“) hat unterdessen zwar sein Bankkonto gut gefüllt, aber seiner Figur keine irgendwie interessanten Nuancen verliehen. Ansonsten reichern Ridley Scott und sein Drehbuchautor David Scarpa („Der Tag, an dem die Erde stillstand“) den Entführungsplot mit so ziemlich allen denkbaren Thriller-Klischees an – vom Kidnapper mit einem Herz aus Gold (Romain Duris) bis hin zur zwischenzeitlichen Flucht, bei der sich der vermeintlich rettende Polizist schließlich als Scherge der Mafia entpuppt (was Scott über Minuten hinzieht, obwohl es nun wirklich jeder Zuschauer sofort durchschaut). Statt sich solcher halbgaren dramaturgischen Taschenspielertricks zu bedienen, hätte sich der Filmemacher lieber noch stärker auf das Besondere an seiner Story konzentrieren sollen, nämlich auf das viele, viele, viele, viele Geld.
Fazit: Ein immer wieder faszinierend-abgründiger Film über die reizvolle Perversität des Reichtums – unnötig gestreckt mit einem höchst durchschnittlichen Entführungs-Thriller auf zu lange 132 Minuten.