Wie Takeshi Kitano und Takashi Miike gehört auch SABU, der mit bürgerlichem Namen Hiroyuki Tanaka heißt, zu einer kleinen Gruppe von Filmemachern, die in den 1990er Jahren das japanische Genrekino nachhaltig geprägt und auch international für Aufsehen gesorgt haben. SABUs frühe Gangster-Grotesken „Wie eine Kugel im Lauf“ (1996) und „Postman Blues“ (1997) spiegeln dabei den Geist der Zeit und des Kinos jener Jahre in einer Klarheit, die heute im Rückblick etwas geradezu Überwältigendes hat. Und wie Miike und Kitano hat auch SABU in den vergangenen Jahren zumindest in Deutschland längst nicht mehr die Aufmerksamkeit auf sich ziehen können, die ihm noch vor 15 Jahren zuteilgeworden ist. Die meisten seiner späteren Filme waren zwar noch auf Festivals zu sehen, haben hierzulande aber weder den Weg ins Kino gefunden, noch wurden sie auf DVD oder Blu-ray veröffentlicht. Insofern ist es ein großer Glücksfall, dass der deutsche Verleih Rapid Eye Movies seit einiger Zeit SABUs Arbeiten mitfinanziert, so dass nun wenige Wochen nach dem elegischen Gangsterfilm „Mr. Long“ auch „Happiness“ in die Kinos kommt. Anders als die Geschichte um einen Auftragskiller aus Taiwan, der nach einem fehlgeschlagenen Attentat in Japan festsitzt, entzieht sich der zuvor entstandene „Happiness“ allerdings jeder klassischen Genreeinordnung. Wie schon in seinem Frühwerk mixt SABU unbefangen die unterschiedlichsten Genres und Ideen und schafft so etwas ganz Neues, das einen emotional und intellektuell mitreißt.
Ein Mann steigt aus einem Bus und geht dann langsam durch die Straßen einer im wahrsten Sinne des Wortes verschlafenen japanischen Kleinstadt. Es scheint fast so, als ob hier tatsächlich alle Menschen an Depressionen leiden. Sie können sich zu nichts mehr aufraffen und warten einfach nur auf das Ende. In dieser erdrückenden Situation wirkt der Fremde mit dem Namen Kanzaki (Masatoshi Nagase) wie eine Erlöserfigur. In dem Koffer, den er immer bei sich trägt, befindet sich eine bizarre Erfindung, eine Art Motorradhelm, in der er zahllose Tasten eingelassen hat, die von einer alten Schreibmaschine stammen könnten. Mittels dieser retrofuturistischen Konstruktion kann er beim Träger des Helms glückliche Erinnerungen auslösen. So gelingt es Kanzaki, den Menschen im Dorf nach und nach wieder Energie und Lebensmut zu schenken. Allerdings hat er längst nicht nur altruistische Ziele…
Schon in den späten 1990er Jahren war SABU der westlichste unter den neuen japanischen Filmemachern. Seine atemlosen Erzählungen, deren (Anti-)Helden praktisch unentwegt in Bewegung sind, hielten zwar der japanischen Gesellschaft einen Spiegel vor. Aber geprägt waren sie von der Ästhetik des amerikanischen Stummfilms. Immer wieder beschwor SABU in perfekt konstruierten Slapstick-Szenen Erinnerungen an Buster Keaton herauf, der wie kaum ein anderer die Mechanik des filmischen Erzählens mit Leben gefüllt hat. In „Happiness“ bleibt SABU seinem Hang zu den klassischen Filmemachern des amerikanischen wie des europäischen Kinos treu. Nur orientiert er sich nun weniger an Keaton und dessen großem Antagonisten Charlie Chaplin. Dafür haben amerikanische Western und die Filme Jean Renoirs deutliche Spuren in dieser komplexen Meditation über das Wesen von Glück und Unglück, Rache und Vergebung hinterlassen.
Der von Masatoshi Nagase extrem zurückgenommen gespielte Fremde, der aber gelegentlich regelrecht explodiert, hat zwar einen Namen. Trotzdem wirkt er über weite Strecken wie ein Nachfahre von Clint Eastwoods „Fremder ohne Namen“. Wie einst Eastwood kommt auch er in die Kleinstadt, um sich zu rächen, und manipuliert dafür große Teile der Stadt. Die glücklichen Erinnerungen, die er den Alten und Müden schenkt, stehen dabei in einem radikalen Kontrast zu den zerstörerischen Erinnerungen, die ihn selbst quälen. Kanzaki kämpft mit seiner Maschine gegen das Vergessen der anderen an und würde selbst nur etwas Glück finden, wenn es ihm gelingen würde, das Geschehene hinter sich zu lassen. In diesem Widerspruch offenbart sich SABUs humanistische Vision, in der Rache zwar unumgänglich ist, aber nur ein kleiner Schritt auf dem Weg zur Erlösung bleibt.
„Happiness“ hält Düsteres und Heiteres ebenso geschickt in der Balance wie seine verschiedenen Genreelemente. Aus der Symbiose von Western-Topoi und phantastischen Elementen entsteht eine manchmal fast schon märchenhafte Welt, die aber ganz nah an unserer gegenwärtigen Wirklichkeit bleibt. In den Sequenzen, in denen sich die Bewohner der Kleinstadt an ihre glücklichsten Augenblicke erinnern, beschwört SABU den Geist einer anderen Zeit herauf. Sie erinnern an das Kino Jean Renoirs, das von einer überwältigenden Liebe zu den Menschen geprägt und doch nie deren düsterste Seiten ausblendet. Auch „Happiness“ erzählt von der „Bestie Mensch“, die Leben und Glück anderer ohne geringstes Zögern zerstören kann. Aber selbst die Monstren, von denen SABU erzählt, sind Menschen, deren Schicksal einen nicht loslässt.
Fazit: „Happiness“ ist zwar weitaus langsamer inszeniert als SABUs frühere Werke, die den Wahnsinn des ausgehenden 20. und beginnenden 21. Jahrhunderts in atemberaubende Bewegungschoreographien übersetzt haben. Aber seinen Sinn für ungewöhnliche Genreexperimente hat sich der japanische Filmemacher bewahrt. So gelingt es ihm, den Rache-Topos noch einmal ganz anders zu beleuchten und mit derselben Intensität vom Schmerz wie vom Glück zu erzählen.