Im Vorfeld der offiziellen Feierlichkeiten zur Einführung von Donald Trump in das Amt des US-Präsidenten fiel es seinem Organisationsteam schwer, berühmte Musiker zu finden, die zu diesem Anlass auftreten wollten. Stattdessen hagelte es Absagen und viele Stars sprachen sich mal mehr, oft weniger subtil gegen das neue Staatsoberhaupt aus (am eindringlichsten wohl Meryl Streep bei den Golden Globes). Trump-Fans und rechtspopulistische Portale wie Breitbart kommentierten den Gegenwind der Kreativen hingegen auf ihre gewohnt hämische Art: Künstler sollen gefälligst singen oder schauspielern, aber ihre politische Meinung dabei doch bitte für sich behalten! Nur geht das überhaupt? Ist Kunst nicht immer auch ein politischer Akt? Hat ein Künstler nicht von Natur aus auch eine gesellschaftliche Verantwortung? In der Musiker-Biografie „Django“ steht der legendäre Gitarrist Django Reinhardt vor einem ganz ähnlichen Dilemma – nur macht Regiedebütant Étienne Comar aus dieser auch ganz unabhängig von Trump gegebenen thematischen Aktualität leider wenig, weil sie schnell in der Gediegenheit seines altbacken erzählten und inszenierten Weltkriegs-Flüchtlings-Dramas verlorengeht.
Während andere Roma in ganz Europa von den Nazis verfolgt werden, darf sich der Jazz-Star Django Reinhardt (Reda Kateb) im Jahr 1943 dank seines Talents noch vergleichsweise sicher fühlen: Wenn der weltberühmte Gitarrenspieler die größten Pariser Theater füllt, stört es ihn nicht weiter, dass im Publikum auch Wehrmachtssoldaten mit den Füßen wippen – er macht nur die Musik, wer sie sich dann anhört, dafür kann er ja nichts. Doch dann bestehen die Nationalsozialisten irgendwann darauf, dass Reinhardt eine Tour durch Deutschland macht – und dabei strenge Regeln befolgt: kein Solo länger als fünf Sekunden, maximal 20 Prozent Swing und bloß keine „degenerierte Negermusik“. Reichspropagandaminister Joseph Goebbels will Reinhardt sogar nach Berlin holen und ihn im Olympiastadion auftreten lassen. Wenige Tage vor Beginn der Tournee taucht Reinhardt mit seiner Frau Naguine (Bea Palya) bei einem Roma-Clan unter, um sich später über den Genfer See in die Schweiz abzusetzen…
Die Rechte für ein Django-Reinhardt-Biopic lagen lange Zeit bei Produzent Frank Marshall („Jäger des verlorenen Schatzes“), der den Stoff als großen Hollywoodfilm mit „Fluch der Karibik“-Megastar Johnny Depp in der Hauptrolle umsetzen wollte. Aber dann zerschlug sich das Projekt irgendwann endgültig – und so ergriff Étienne Comar die Gelegenheit, wobei der erfahrene, hier erstmals auch selbst regieführende Produzent („Von Menschen und Göttern“, „Timbuktu“) zunächst noch einige Überzeugungsarbeit leisten musste, weil er kein ganz klassisches Von-der-Geburt-bis-zum-Tod-Biopic im Sinn hatte, sondern sich auf das Jahr 1943 konzentrieren wollte. Eigentlich ist das auch eine super Idee – nur geht sie im Fall von „Django“ einfach nicht auf: Hauptdarsteller Reda Kateb („Die schönen Tage von Aranjuez“) hat ein Jahr lang das Gitarrenspielen geübt – und tatsächlich nimmt man ihm den Umgang mit dem Instrument in den angenehm ausführlichen Konzertszenen jederzeit ab…
… aber darüber hinaus eröffnet Kateb dem Zuschauer mit seiner kühl-distanzierten Darstellung kaum einen emotionalen Zugang zu dem Jazzmusiker. Von Reinhardt gibt es heute nur noch etwa 300 Fotografien und zwei Minuten Filmmaterial – ein Kinopublikum hat also kein vorgefertigtes Bild von dem Bühnenstar, was Kateb aber kaum für eine persönliche Interpretation ausnutzt. Reinhardt entwickelt sich im Verlauf des Films von der politisch unbedarften Celebrity zum Kämpfer für die Roma – aber während es leicht fällt, sich jedes Mal wieder in seine Musik zu verlieben, sobald er zur Gitarre greift oder sich an die Kirchenorgel setzt, bleibt die Figur hinter den Swing-Stücken frustrierend fremd. Dazu hat sich der gemeinsam mit Alexis Salatko auch für das Drehbuch verantwortliche Comar für sein Finale noch einen besonderen Spannungskniff einfallen lassen, der nun wirklich nicht notgetan hätte: Reinhardt soll bei einer Naziparty die Wachsoldaten mit seiner Tanzmusik so sehr ablenken, dass ein paar französische Partisanen unbemerkt mit einem Ruderboot über den Genfer See abhauen können. Es spricht absolut nichts dagegen, auch in einem historischen Biopic fiktive Ereignisse hinzuzudichten – aber dann doch bitte nicht ein solch ausgelutschtes Hollywood-Klischee.
Fazit: Thematisch ist „Django“ eigentlich hochaktuell – deshalb ist es auch besonders schade, dass sich der diesjährige Eröffnungsfilm der Berlinale als ein solch bieder inszeniertes Biopic entpuppt. Wirklich lohnenswert sind allein die tollen Musikeinlagen – und Bimbam Merstein als Djangos resolute Roma-Mama Negros.
Wir haben den Film im Rahmen der Berlinale 2017 gesehen, wo „Django“ als Eröffnungsfilm und als Teil des offiziellen Wettbewerbs gezeigt wird.