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    The House That Jack Built
    Kritik der FILMSTARTS-Redaktion
    2,5
    durchschnittlich
    The House That Jack Built
    Von Christoph Petersen

    Auf den Eintrittskarten für das Serienmörder-Porträt „The House That Jack Built“ von Berufsprovokateur Lars von Trier („Dancer In The Dark“, „Dogville“) prangt bei den Filmfestspielen von Cannes, wo auch schon solche wenig zarten Werke wie „Oldboy“ oder „The Chaser“ im offiziellen Programm ihre Premiere feierten, dick und fett der Hinweis:

    „Warnung: Bestimmte Szenen sind geeignet, das Zartgefühl der Zuschauer zu verletzen.“

    Solche Warnungen halten natürlich keinen Festivalbesucher davon ab, ins Kino zu gehen. Ganz im Gegenteil machen sie doch erst recht neugierig. Aber was ist nun wirklich dran an der Sache, zumal bei der Premiere auch zahlreiche Zuschauer den Saal verlassen und anschließend erboste Tweets abgefeuert haben? Nun ja, von Trier gibt sich tatsächlich alle Mühe, das Publikum bis weit über dessen Schmerzgrenze hinaus zu schockieren. Nur führt das diesmal leider zu wenig, denn die (Gewalt-)Provokationen sind überwiegend viel zu platt, als dass man sie – aller Grausamkeit zum Trotz – großartig ernstnehmen könnte.

    Der titelgebende Häuslebauer Jack (volle Kanne psycho: Matt Dillon) ist ein serienmordender Ingenieur und Möchtegern-Architekt, der sich selbst den Künstlernamen Mr. Sophistication gegeben hat und auf dessen Konto bereits mehr als 60 Morde gehen. Zu Beginn des Films bleibt die Leinwand aber erst einmal schwarz und wir lauschen, wie Jack einem unbekannten Mann namens Verge (Bruno Ganz) ankündigt, ihm nun von fünf zufällig ausgewählten Vorfällen aus seiner Karriere zu erzählen – und das sind dann auch die fünf Kapitel, in die „The House That Jack Built“ eingeteilt ist. Die Struktur des Films ist damit praktisch dieselbe wie zuletzt bei von Triers „Nymph()maniac“.

    In der Kühlkammer: Jack arbeitet an seinem morbiden Lebenswerk.

    Das erste Kapitel, in dem Jack eine namenlose Frau mit Reifenpanne (Uma Thurman) erschlägt, ist so etwas wie jeder andere Serienmörderfilm im Zehn-Minuten-Schnelldurchlauf. Aber schon im zweiten Kapitel zieht von Trier die Provokationsschraube langsam an, indem er den grausamen Akt des Tötens gleichsam zur grotesken Komödie verklärt, wenn Jack wegen seiner Putzzwangsstörung immer und immer wieder in das Haus seines Opfers zurückkehren muss, um zu checken, ob auch wirklich nirgendwo mehr ein Blutfleck zurückgeblieben ist.

    Aber dass es von Trier eben keinesfalls um die Belustigung oder auch nur Unterhaltung des Zuschauers geht, macht er spätestens im dritten Kapitel ein für alle Mal klar, wenn er auf die denkbar zynischste Weise die Jagd auf eine alleinerziehende Mutter (Sofie Gråbøl) und ihre beiden Söhne eröffnet – stets unter Einhaltung der traditionellen Jagdregeln, versteht sich. Von der ersten Einstellung des Kapitels an macht von Trier seinem Publikum auf jede erdenkliche Weise klar: „So, jetzt werde ich es euch mal so richtig zeigen!“ Und das macht er dann auch. Aber die Empörung bleibt trotzdem aus.

    Provokation um der Provokation willen

    Die Frage nach dem „Darf man sowas wirklich machen?“ kann in der (Film-)Kunst nur eine Antwort haben: Ja, natürlich! Aber wenn man es dann schon macht, dann sollte man mit solch einer alle Geschmacksgrenzen sprengenden Gewalteskalation aber bitte auch einen echten Wirkungstreffer landen. Uns haben die Gräueltaten in „The House That Jack Built“ allerdings erstaunlich kalt gelassen, streckenweise war der Film sogar ziemlich öde.

    Das liegt zunächst mal daran, dass von Trier die ganze Zeit über so laut hinausbrüllt, dass er uns nun aber gleich so richtig schockieren wird, dass die entsprechenden Szenen dann eher grotesk als provozierend wirken: Wie damals im Kreatives-Schreiben-Kurs in der Oberstufe, als die halbstarken Abiturienten ihren pubertären Gewaltphantasien zu oft völlig freien Lauf gelassen haben - und am Ende der Stunde doch lieber darauf verzichtet haben, ihr Blatt abzugeben. Diese Scheu kennt von Trier nicht.

    Lieber nicht drauf eingehen: Jack kann auch romantisch sein.

    Zugleich stellt der Regisseur die Künstlichkeit und den Kunstcharakter seines Films heraus, indem er – wie auch schon in „Nymph()maniac“ - immer wieder kurze Diavorträge zu Spezialwissen aus der Kunstgeschichte (die Bauweisen gotischer Kirchen), dem Rebbau (die Zuckerkonzentration im Eiswein) oder der Jagd (erst die Kitze, dann die Ricke) in den Filmfluss integriert. Aber was in „Nymph()maniac“ noch frisch und aufregend war, wirkt diesmal nur noch wie ein müder Aufguss. Als formales Element sind diese Wikipedia-artigen Abschweifungen eigentlich viel zu speziell, als dass man sie einfach auf genau die gleiche Weise wiederverwenden könnte.

    Der exzentrische Filmemacher jongliert in „The House That Jack Built“ nicht nur mit Gewaltphantasien, als sei er ein pubertierender Teenager, der inzwischen 62-Jährige gebiert sich zugleich auch wie ein ziemlich bockiges Kind: Seine Kritiker werfen seinen Filmen Frauenfeindlichkeit vor? Also porträtiert er die weiblichen Opfer nun ganz bewusst als „so dumm wie ein Türknopf“ und schneidet ihnen die Brüste ab. Das Filmfestival in Cannes erklärt ihn wegen eines dummen missverständlichen Judenwitzes zur Persona non grata? Also philosophiert er nun über den Kunstgehalt der Leichenberge in den Konzentrationslagern. Diese bockige Dann-erst-recht-Attitüde ist auf eine ziemlich verquere Weise durchaus sympathisch.

    Die Kulmination des eigenen Werks

    Jack ist insoweit ein offensichtliches Alter Ego von Triers, als dass er immer wieder das Kunstvolle seiner blutigen Arbeit behauptet und verhandelt - so verwundert es nicht einmal, wenn der Regisseur hier plötzlich Ausschnitte aller seiner früheren Filme einspielt und sie so gewissermaßen mit den Morden seines Protagonisten gleichsetzt. Da wird vor und hinter der Kamera schwer am eigenen Werk und Erbe gelitten, denn wenn Verge wirklich Recht hat mit seinem ständigen Einwand, dass Kunst und Liebe einander bedingen, hätten Jack mit seinen menschenverachtenden Todeskreationen und von Trier mit seinen zynischen Menschheitsabrechnungen natürlich gleichermaßen schlechte Karten.

    Es ist bei all dem nun auch nicht so, als würde von Trier seine eigenen offensichtlichen Manipulationen nicht durchschauen, ganz im Gegenteil: Im Rahmen des immer wieder im Off fortgesetzten Zwiegesprächs konfrontiert Verge Jack wiederholt mit den dramaturgischen oder argumentatorischen Taschenspielertricks, die er im letzten Teil seiner Erzählung gerade angewendet hat. Von Trier weiß also sehr wohl und sehr genau, was er da alles (falsch) macht – und er tut es trotzdem. Das ist dann vielleicht sogar die größte Provokation von allen.

    Fazit: Ist „The House That Jack Built“ nun auf bockige Art brillant, eine platt-pubertäre Provokation oder die schonungslose Selbstanalyse eines Regisseurs mit einer ganzen Menge Probleme? Wahrscheinlich von allem ein bisschen.

    Wir haben „The House That Jack Built“ bei den Filmfestspielen in Cannes 2018 gesehen, wo er als Special Screening gezeigt wurde.

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