Es ist nicht einfach, dieses Filmerlebnis in Worte zu fassen. Nolan hat bislang mit keinem Film enttäuscht und das ändert sich auch mit Dunkirk nicht. Er hat sich dabei an ein Genre gewagt, dass schon eher ausgelutscht schien. Doch Nolan hat seinen eigenen Stil und so schafft er es tatsächlich, dem ganzen etwas neues abzugewinnen und den Krieg aus einer anderen Perspektive zu zeigen. Die drei Zeitebenen mögen zwar auch etwas verwirrend sein, da man nie genau weiß, wo man ist. War das Flugzeug jetzt schon dort, wo das Boot ist....Doch das ist genauso beabsichtigt. Nolan bricht mit den üblichen Erzählkonventionen des Kriegsgenres und das führt zu einem beeindruckenden Erlebnis. Es verwundert, dass kaum Gewaltexzesse dargestellt werden, stattdessen geht es vielmehr um die Unvorhersehbarkeit und Unberechenbarkeit des Krieges. Der Feind kann überall lauern und jeder Zeit auftauchen. Dieses pure Erleben dieser emotionalen Zustände stellt Nolan authentisch dar. Der Spannungsaufbau funktioniert von der ersten bis zur letzten Minute. Zwischendurch mag es zwar so wirken, als würde die Spannungskurve kurz durchhängen, doch das ist kein Moment der Langeweile. Es ist bewusst so gewählt. Die Spannung ist trotzdem da, da man nie weiß, woher der Feind kommt. Nolan liefert ein wahres Kunstwerk ab, das gar nicht erst versucht Mainstream zu sein. Der Film wird polarisieren und das soll er auch. Nicht jeder wird an dieser eigenen Form von Kriegsdarstellung seinen Geschmack finden. Mich hat es jedoch umgehauen. Auch wenn ich nach dem Abspann den Film erstmal sacken lassen musste, und noch nicht genau wusste, wie ich den Film einordnen soll, so wird es mit etwas Abstand immer stärker. Nolan fängt durch seine Inszenierung die Atmosphäre des Krieges, des Kriegschaos so perfekt ein, wie es selten zuvor einem Film gelungen ist.
Es geht ums Überleben für die Soldaten und somit ist der ganze Film ein Wettlauf gegen die Zeit, was auch durch die Musik von Hans Zimmer untermalt wird. Ich weiß nicht, wie Nolan das schafft, aber er holt aus Hans Zimmer immer wieder das Letzte raus. Zimmer liefert einen seiner besten Scores ab und ich dachte schon der war bei Interstellar und Inception genial. Hier steht er dem in nichts nach. Sein zweiter Oscar ist längst überfällig. Ebenso hervorzuheben ist die Kameraarbeit von Hoytema, der diese beklemmende Atmosphäre wunderbar einfängt. Nolan weiß einfach, wie man Bilder sprechen lässt. In jedem Moment ist die Angst der Soldaten spürbar.
Einer der ganz wenigen Kritikpunkte, die bislang für den Film genannt wurden, ist die fehlende Bindung und Tiefe der Charaktere. Doch da muss ich widersprechen. Tiefe haben sie. Es kommt nur darauf an, wie man diese definiert. Nolan definiert Emotionalität nunmal anders. Es ist ein Film ohne große Gefühle und Kitsch und Pathos. Aber dennoch ein Film der sehr emotional ist. Schwer zu sagen, wie so etwas zusammen passt.
Die fehlende Charakterentwicklung ist kein Schwachpunkt. Hier geht es nicht um irgendwelchen kitschigen Vorgeschichten der Figuren, sondern nur um den Moment, den Moment, in dem dieser Krieg erlebt wird. Allein dadurch fiebert man mit den Figuren mit. Es muss keinen klaren Protagonisten geben. Die Figuren bekommen trotzdem Tiefe, eben durch jenes Erleben der Gewalt, des Schreckens, der Ungewissheit. Insofern ist der Film emotional, man kann mit den Figuren mitfiebern, aber dennoch mit einer gewissen Distanz, wie bei Brecht, Lessing oder Peter Weiss. Die Figuren sind mehr allgemeingültig, sie stehen stellvertretend für alle anderen, die im Krieg waren oder sind. Mir gefällt dieser ganz eigene Stil. Damit ist Nolan vielleicht seiner Zeit auch ein wenig voraus. Aber er setzt damit dem Kriegsgenre etwas ganz Neues hinzu. Kriegsfilme mit Figuren und ihren Vorgeschichten und Co kennt man zu genüge.
Mir ist es ein zu eingeschränktes Weltbild, wenn man immer meint, ein Filmdrama braucht klare Hauptfiguren, mit Vorgeschichten und Co. Nein das brauch es nicht zwingend. Dieser Film hat einen anderen Schwerpunkt Es geht darum das Gefühl des unbedingten Willens des Überlebens zu schildern, die Sehnsucht nach der Heimat. Das gelingt Nolan auf beeindruckende Weise, oft auch nur durch eine totale Perspektive eines Gesichtsausdrucks.
Zu den Darstellern: Murphy als der emotionalste Part des Films, was offensichtliche Emotionalität angeht. Viel subtiler stellen es die anderen Soldaten dar. Insgesamt lässt der Regisseur den Schauspielern viel Raum für ihr Spiel, was sein Vertrauen zeigt. Und durch die Bank weg zahlen sie dieses Vertrauen zurück. Es sind vor allem Mimik und Gestik, die Gesichter, manchmal sogar nur die Augen, die enorm viel ausdrücken. Dunkirk ist eine richtig starke Ensembleleistung. Die Jungdarsteller wie Fion Withehead oder Harry Styles überzeugen vollständig. Was Tom Hardy mit seinen Augen veranstalten kann und für Emotionen wecken kann ist unglaublich. Was besonders an Kenneth Branaghs Rolle auffällt, Nolan legt viel Wert darauf, Emotionen aus Gesichtern zu lesen. Wenn Brannagh in die Kamera starrt ist das einfach nur Gänsehaut. Seine Figur ist aber auch unfreiwillig komisch. Läuft er doch die ganze Zeit nur auf dem Steg hin und her.
Und wer hätte das gedacht,
Michael Caine war auch dabei: Was für eine Miniauftritt. Hatte mich schon gewundert, warum er nicht erwähnt wird in der Vorschau. Schließlich sagte er nach Interstellar, dass er auch beim nächsten Nolanfilm wieder mit dabei sei. Er ist zwar nur kurz als Stimme beim Funkkontakt mit Tom Hardy zu hören, aber selbst diesen Minipart füllt er mit gewohnter britischer Eleganz aus.
Eine große Stärke des Films ist, dass er nicht versucht, irgendwelche klischeehaften Nazis einzubauen. Die bleiben im Trüben. Damit hebt er sich von vielen Vorgängern ab.
Was bleibt abschließend zu sagen? Dunkirk ist kein klassischer Kriegsfilm und will es auch gar nicht sein. Nolan setzt einen weiteren Meilenstein in Hollywood. Über diesen Film wird man noch oft reden. Der dokumentarische Charakter des Films ist für das gewählte Thema genau passend. Wenn Nolan für den Film nicht endlich mindestens für den Regieoscar nominiert wird, dann weiß ichs auch nicht. Hier kann man ihn nicht mehr übergehen, egal welche klasse Filme noch kommen in diesen Jahr. Dunkirk dürfte viele Oscarnominierungen abstauben. Sicher sehe ich ihn normalerweise in: Film, Regie, Musik, Ausstattung, Tonschnitt, Tonabmischung, Kamera, Schnitt. Ziemlich gute Chancen dürfte er auch haben bei: Drehbuch. Auch wenn es nur wenige Dialoge gibt, ist das keine Schwäche. Denn ein gutes Drehbuch zeichnet sich nicht nur durch Dialoge aus, sondern auch durch die Atmosphäre. Und die wenigen Dialoge sitzen. Weitere Nominierungen sind je nach Konkurrenz möglich in den Kategorien: Kostüme, Effekte, Nebendarsteller. Bei den Darstellern dürfte es am schwierigsten werden, schließlich drängt sich keiner extra auf, da sie alle überzeugen und es eine starke Ensembleleistung ist. Doch die stärksten Chancen dürfte Mark Rylance haben, der jede Szene sofort einnimmt.
Als ein vielleicht minimaler Kritikpunkt, über den man aber hinweg sehen kann, ließe sich bezeichnen, dass die Zeitebene am Strand, die eine Woche geht, sich im Film eher wie 2 maximal drei Tage anfühlen.
Alles in allem schafft Nolan ein neues Meisterwerk. Ich möchte gar nicht beurteilen, ob er jetzt besser ist als meine anderen Lieblingsfilme von Nolan (Prestige, Interstellar). Er steht auf einer Stufe mit den beiden Filmen. Die drei genannten Filme unterscheiden sich so stark, dass ein Vergleich nicht möglich ist.