Bei Italien denkt man vielleicht nicht als Erstes, aber womöglich als Zweites und bestimmt als Drittes an die Mafia und den ganzen Rattenschwanz an Problemen, den sie nach sich zieht: Korruption, Machtmissbrauch, Gewalt, Drogen, Sex, Politik. Es ist also absolut kein Wunder, dass sich auch das italienische Kino sehr oft mit diesem Kosmos beschäftigt – allerdings ist das selten derart nihilistisch und bildgewaltig geschehen wie in Stefano Sollimas (bekannt für die TV-Version von „Gomorrha“) wuchtigem Epos „Suburra“. In 130 Minuten breitet er ein reichhaltiges Panoptikum der kriminellen Klasse Roms aus, das zwar lose auf realen Ereignissen basierend, dabei aber in einem Maße filmisch überhöht wird, dass sich am Ende der Eindruck eines zwar abstrahierten, aber deshalb umso universelleren Sittengemäldes einstellt.
Der hochrangige Politiker Filippo Malgradi (Pierfranesco Favino) lässt den Arbeitstag gern in einem Luxushotel ausklingen – und zwar stilecht mit Drogen und mehreren Prostituierten. Als bei einem dieser Treffen eine Minderjährige tot zurückbleibt, überlässt Malgradi seiner Lieblingsprostituierten Sabrina (Giulia Gorietti) die Beseitigung der Leiche. Die ruft einen Freund an, um ihr zu helfen – allerdings ist der Mitglied eines mächtigen Roma-Clans, der sich in der ewigen Stadt breitmachen will und deshalb den herumhurenden Politiker zu erpressen versucht. Malgradi lässt den Erpresser daraufhin von dem jähzornigen Gangster Aureliano (Allessandro Borghi) beseitigen, was wiederrum den Roma-Boss - den skrupellosen Anacleti (Adamo Dionisi) - auf den Plan ruft. Bevor der Konflikt endgültig eskaliert, versucht der Pate Roms, von allen nur Der Samurai (Claudio Amendola) genannt, die Wogen zu glätten - denn nicht nur die Gesundheit der Beteiligten steht auf dem Spiel, sondern auch ein lukrativer Immobilien-Deal…
„Suburra“ basiert auf einem Tatsachenroman des Duos Carlo Bonini (ein Journalist) und Giancarlo De Cataldo (ein Richter), die sich mit ihrem Buch aber offenbar nicht ganz so weit aus dem Fenster gelehnt haben wie Roberto Saviano mit seinem Mafia-Enthüllungswerk „Gomorrha“ – zumindest scheint das Leben der beiden Autoren aktuell nicht akut gefährdet. Das heißt jedoch nicht, dass ihre Geschichte nicht das wahre Geschehen widerspiegelt, sondern zeigt viel mehr, dass die Mafia längst zu einem hingenommenen Teil der italienischen Gesellschaft geworden ist – da schreckt selbst ein solch skandalöser Tatsachenroman die Mafiosi nicht mehr großartig auf. Immer und immer wieder thematisiert das italienische Kino mit Filmen wie Francesco Rosis „Hände über der Stadt“ oder Paolo Sorrentinos „Il Divo“ die Machenschaften und Verstrickungen der Mafia, Korruption und Fehde-Morde werden konsequent angeprangert – ändern tut sich jedoch nichts.
Das ist aber auch kein Wunder, schließlich ist die Mafia nur ein Teil der korrumpierten gesellschaftlichen Strukturen des Landes, deren vorgeblich legale Institutionen wie die Politik oder die Kirche längst ebenfalls tief in die kriminellen Geschäfte verstrickt sind. Der Kirche pinkelt Sollima in seinem Film zwar noch am wenigsten ans Bein, aber zumindest deutet er durch die Blume an, dass der Rücktritt des Papstes Benedikt XVI., mit dem der Film beginnt, wohl doch nicht nur aus persönlichen Gründen geschehen ist. In den folgenden Tagen entfaltet sich eine symbolische, aber auch figurative Apokalypse, wenn Rom von einem kaum enden wollenden Regen heimgesucht wird, der die malerische Architektur der ewigen Stadt gleichermaßen ästhetisch und unwirtlich erscheinen lässt. Sollima entfaltet in „Suburra“ ein verwinkeltes Geflecht aus Korruption und Machtmissbrauch, Sex und Gewalt, dessen Finale kaum jemand überleben wird.
Das besondere Kunststück des Films ist es, die kriminellen Strukturen, all das Geld, all die Drogen, all die schönen Frauen nicht zu verklären, sondern als schönen Schein zu entlarven, dem zwar kaum jemand zu widerstehen in der Lage ist, der aber letztendlich doch (fast) alle ruiniert. In dieser moralisch verkommenen Welt gibt es keine Freunde und keine Loyalität. So ästhetisch die Bilder auch sein mögen: Einen schmutzigeren, unangenehmeren Film als „Suburra“ kann man sich kaum vorstellen - und das ist angesichts des Themas ein großes Kompliment.
Fazit: Stefano Sollima gelingt mit „Suburra“ ein ebenso bildgewaltiges wie abgründiges Mafia-Epos, das eindrücklich seziert, wie die kriminellen Strukturen längst die gesamte Gesellschaft durchsetzen.