Hässliches Gerede verbreitet sich schneller als die Wahrheit – mit dieser Erkenntnis haben nicht nur die Hauptfiguren von „Cleopatra“ zu kämpfen. Vielmehr scheint Autor und Regisseur Joseph L. Mankiewicz (Alles über Eva, Mord mit kleinen Fehlern) mit diesen Worten auf die Gerüchte und Spekulationen anzuspielen, die die turbulente Produktion des monumentalen Dramas von Anfang an begleiteten. Explodierende Kosten, ein sich ständig drehendes Personalkarussell, erbitterter Streit um die Endfassung und nicht zuletzt die Liebesaffäre zwischen den Stars Elizabeth Taylor und Richard Burton sorgen bis heute dafür, dass „Cleopatra“ als berühmt-berüchtigtes Fallbeispiel für die Hybris Hollywoods gilt. Als die Arbeit an dem Film 1963 beendet wurde, stand das traditionsreiche Studio 20th Century Fox vor dem Ruin. Die bilanzierten Produktionskosten beliefen sich auf 44 Millionen Dollar, was heutzutage fast dem zehnfachen Betrag entspräche. Für Jahrzehnte galt der Film als gigantischer kommerzieller und künstlerischer Flop. Tatsächlich erreichte „Cleopatra“ mit dem Verkauf der Fernsehrechte in den Siebzigern die Gewinnzone und ein Wiedersehen offenbart ein mit spektakulären Schauwerten angereichertes Charakterdrama. In den meisterhaften Dialogen und der eleganten Inszenierung zeigt sich die Persönlichkeit des Regisseurs Mankiewicz, der sich die Superproduktion aller Widerstände und Schwierigkeiten zum Trotz angeeignet hat.
General Julius Caesar (Rex Harrison) hat die Schlacht gegen den innerrömischen Rivalen Pompeius gewonnen und verfolgt den flüchtigen Widersacher bis nach Ägypten. In Alexandria ringt wiederum Pharao Ptolemäus (Richard O'Sullivan) mit seiner Schwester Cleopatra (Elizabeth Taylor) um die Macht. Bald findet Caesar Gefallen an der selbstbewussten jungen Frau und entscheidet den Konflikt mit Ptolemäus in ihrem Sinne. Aus der politischen Allianz wird rasch eine Liebesbeziehung. Der gemeinsame Sohn Caesarion wird geboren und Caesar holt Cleopatra, nachdem er zum Diktator ernannt wurde, nach Rom. Es regt sich zunehmend Widerstand gegen den Machtanspruch und den Lebenswandel Caesars, der schließlich im Senat ermordet wird. Sein loyaler Gefolgsmann Marcus Antonius (Richard Burton) rächt den Mord und verbündet sich mit dem verhassten Octavian (Roddy McDowall, Planet der Affen, Poseidon Inferno). Schnell gerät auch Antonius in den Bann Cleopatras...
In wirtschaftliche Bedrängnis geraten, suchten die Verantwortlichen bei Fox 1959 nach einem sicheren Hit und verfielen auf den historischen Stoff um Cleopatra, der ihnen schon zu Stummfilmzeiten einen Erfolg beschert hatte. Nach einigen kuriosen Fehlentscheidungen im Management, unter denen die Wahl des Drehortes London, wo Regen und Kälte wenig überraschend die Dekors ruinierten und die Außenaufnahmen fast unmöglich machten, die fatalste war, wurde Regisseur Rouben Mamoulian („Dr. Jekyll und Mr. Hyde“, „Im Zeichen des Zorro“) gefeuert und Joseph L. Mankiewicz zur Hilfe gerufen. Der Regisseur hatte dem Studio einst viele Prestigeerfolge beschert und musste nun unter Zeitdruck ein komplett neues Drehbuch verfassen und den Film in Rom von vorne beginnen.
Die Handlung von Cleopatra folgt den bekannten historischen Entwicklungen im Groben, Politisches und Persönliches ist jedoch frei verwoben. Mankiewicz lehnte seine Variationen über Liebe und Macht an die Vorbilder Shaw und Shakespeare an. Shakespeares „Julius Caesar“ hatte er 1953 schon mit Marlon Brando als Antonius verfilmt. Mankiewicz plante zwei Teile, so wie es zuletzt bei Kill Bill oder Che praktiziert wurde: „Caesar und Cleopatra“ und „Antonius und Cleopatra“. Diese Idee wurde vom mit der Rettung des Studios beauftragten Produzenten-Haudegen Darryl F. Zanuck gegen den Widerstand des Filmemachers verworfen, die von Mankiewicz erstellte Langfassung von über fünf Stunden gilt als verschollen. Immerhin wurde vor einigen Jahren die 248 Minuten lange Premierenfassung wiederhergestellt, nachdem für mehr als 30 Jahre nur die etwa dreistündige „General Release“-Version zu sehen war.
Die stürmischen Auseinandersetzungen sind am Film nicht spurlos vorbeigegangen. Gerade im zweiten Teil sind kleine dramaturgische Holprigkeiten zu spüren, die dem für seine perfekten Konstruktionen wie „Ein Brief an drei Frauen“ oder „Die barfüßige Gräfin“ berühmten Mankiewicz bis zu seinem Lebensende schwer im Magen lagen. Sein harsches Urteil entspringt aber zu einem guten Teil der persönlichen Verbitterung. Zwar sind fast alle Nebenfiguren – genannt sei nur der von Martin Landau (Der unsichtbare Dritte, Verbrechen und andere Kleinigkeiten, Ed Wood) gespielte Rufio – mehr oder weniger zu Stichwortgebern degradiert, aber dafür sind die drei Protagonisten umso eindrucksvoller ausgestaltet. Im Zentrum steht mit Cleopatra eine außergewöhnlich starke Frauenfigur, der Elizabeth Taylor (Die Katze auf dem heißen Blechdach,
Giganten) wahrhaft majestätische Präsenz verleiht. Die als schwierig bekannte Diva hat für diese Rolle als erster Star nicht umsonst eine Gage von einer Million Dollar erhalten und dank ihres Verhandlungsgeschicks insgesamt noch weitaus mehr daran verdient.
Das Prunkstück des Monumentalfilms ist die achtminütige Sequenz von Cleopatras Einzug in Rom: Eine farbenprächtige Prozession von exotischen Tänzern kündigt den hohen Gast an. Im riesigen Nachbau des Forums sind Tausende Statisten Zeugen, wie die Königin dann endlich auf einer meterhohen Sphinx thronend durch den Titusbogen kommt. Sie schreitet hinab und auch Roms Würdenträger liegen ihr buchstäblich zu Füßen. Wenn Taylor Caesar und uns am Ende zuzwinkert, gehört der Film ganz ihr. Aber auch Mankiewicz weiß genau, was er tut. Er bringt John DeCuirs („Der König und ich“) unglaubliche Bauten (die genauso wie die Menschenmassen in den Zeiten von CGI so wohl nie mehr zu sehen sein werden) ebenso zur Geltung wie Alex Norths (Spartacus, „Endstation Sehnsucht“) mitreißende und dennoch komplexe modernistische Musik. Wie nebenbei wird durch die Montage von Blicken und Gesten auch noch die Figurenzeichnung verfeinert.
Die Essenz von „Cleopatra“ findet sich nicht im Spektakel, sondern im intimen Drama dreier Menschen zwischen Sehnsucht und Ehrgeiz. Die Funken sprühen zwischen den Machtwesen Caesar und Cleopatra, die sich flinkzüngig duellieren. Sie sehen sich selbst als Götter und begegnen sich auf Augenhöhe. Rex Harrison („My Fair Lady“) erweist sich nach „Ein Gespenst auf Freiersfüßen“ erneut als idealer Darsteller für Mankiewicz' Mischung aus spöttischer Distanz und ehrlichen Prinzipien, er bildet mit Elizabeth Taylor, die in „Plötzlich im letzten Sommer“ ihrerseits auch schon für den Regisseur vor der Kamera gestanden hatte, ein Paar, das durch Ambitionen in echter Liebe geeint wird. Virtuos beherrschen sie das intrigante und das intime Rollenspiel.
Wie in Wagners „Ring des Nibelungen“ müssen die Götter stürzen, im Gegensatz zu Cäsar ist Antonius ein durch und durch menschlicher Zweifler und Zauderer, der es zulässt von der Liebe beherrscht zu werden. Richard Burton (Agenten sterben einsam, „Der Spion, der aus der Kälte kam“) scheut sich nicht, Schwäche zu zeigen. Mit seiner Hingabe an Cleopatra/Taylor scheint er die wahre Liebe von hinter den Kulissen vor die Kamera zu tragen. Das ehebrecherische Verhältnis der beiden Schauspieler wurde damals sogar vom Vatikan verurteilt, die erdrückende öffentliche Aufmerksamkeit wurde von Andy Warhol unvergleichlich kommentiert. Für Jahre konnten die beiden nicht voneinander lassen und waren den Paparazzi, was heute höchstens Brangelina sind. Gleich zwei Mal heirateten Taylor und Burton - dass die Ehe nicht immer einfach gewesen sein kann, ahnt der Zuschauer, der sie gemeinsam in „Cleopatra“ oder in Wer hat Angst vor Virginia Woolf? sieht.
„Der Film, der Hollywood veränderte“, so heißt eine sehenswerte Dokumentation über die Entstehungsgeschichte von „Cleopatra“ im Untertitel. Wie im Fall des ähnlich verwünschten Heaven's Gate ist der Ballast der Produktionshistorie unterhaltsamer und lehrreicher Stoff für Filminteressierte, aber das wahre Ereignis bleibt der Film selbst. Auch in der vorliegenden Kompromissfassung ist „Cleopatra“ eine nahezu perfekte Symbiose: Hollywoods Götterdämmerung als zugleich intimes und monumentales Epos.