Der zentrale Schauplatz ist ein kleines Landhaus an der kanadischen Atlantikküste und die Hauptpersonen sind ein Junggeselle im besten Alter und eine heiratswillige Frau, die sich nach anfänglichen Schwierigkeiten näherkommen: Der irisch-kanadische Berlinale-Beitrag „Maudie“ von Regisseurin Aisling Walsh („Song For A Raggy Boy“) mag auf den ersten Blick nach einer lauwarmen Liebesgeschichte mit klassischem Stotterstart aussehen, bei der das Happy End nur eine Zeitfrage ist und die Dramaturgie einzig durch die ungeschriebenen Gesetze des Genres vorgegeben wird. Aber dieser Eindruck ist vorschnell, denn der Film entpuppt sich bald als berührendes, aber nie rührseliges Beziehungsdrama mit besonderer Note. Walsh und ihre Drehbuchautorin Sherry White („Down To The Dirt“) erzählen von einem mutigen Kampf gegen körperliche Einschränkungen, und die beiden fantastischen Hauptdarsteller verwandeln „Maudie“ der recht unspektakulären Handlung und der kammerspielähnlichen Anlage zum Trotz in großes Gefühlskino.
Neuschottland, in den 1950er Jahren: Die junge Kanadierin Maud Lewis (Sally Hawkins) leidet an schwerer Arthritis. Weil ihr Bruder Charles (Zachary Bennett) das gemeinsame Elternhaus verkauft hat, muss die hilfsbedürftige und geistig etwas zurückgebliebene Frau zu ihrer Tante Ida (Gabrielle Rose) ziehen, die ihr kaum Lebensmut zuspricht. Doch Maud lässt sich nicht unterkriegen: Als der alleinstehende Fischer Everett (Ethan Hawke) im örtlichen Gemischtwarenladen per Aushang eine Aushilfe sucht, schnappt sich Maud den Zettel und steht kurz darauf bei dem Single auf der Türschwelle. Allerdings kann sie den Pflichten einer Haushaltshilfe körperlich kaum nachkommen, zudem entpuppt sich Everett als ziemlich sturer und verbitterter Zeitgenosse. Die beiden raufen sich dennoch zusammen, denn sie sind aufeinander angewiesen. Maud verbringt tagsüber viele Stunden alleine in der Hütte verbringt und entdeckt dabei ein neues Talent in sich: Sie malt Karten mit bunten Bildern, die schon bald die Aufmerksamkeit der zugezogenen New Yorkerin Sandra (Kari Matchett) auf sich ziehen und Maud zur lokalen Berühmtheit werden lassen…
„Erst komme ich, dann kommen die Hunde, dann die Hühner, dann du!“, brüllt der gestresste Fischer seine Haushaltshilfe schon am zweiten Arbeitstag an – und rückt die Machtverhältnisse auf seinem kleinen Hof damit unmissverständlich zurecht. Everett ist der Chef – und Maudie soll gefälligst tun, was ihr gesagt wird. Kaum hat die Arthritis-Patientin mit ihrer Malerei über die Ortsgrenzen hinaus für Schlagzeilen gesorgt, verschieben sich die Hierarchien aber zu ihren Gunsten: Plötzlich ist sie es, die dafür sorgt, dass die Dollarscheine ins Haus flattern, und plötzlich ist es der Fischer, der kleinlaut Kartoffeln schält und Fliegengitter vor die Tür nagelt, damit seine Haushaltshilfe in Ruhe malen kann. Diese allmähliche Neuausrichtung ist hochspannend zu beobachten und neben Maudies täglichem Kampf gegen die Arthritis die zweite Antriebsfeder der Geschichte. Vor allem im heiteren Mittelteil entwickelt sich „Maudie“ dabei fast zur Komödie: Mit angenehm subtilem Humor wird von der sich verändernden Beziehung der beiden Hauptfiguren erzählt, deren Verhältnis zunächst unter keinem guten Stern steht. Oft reicht da ein verstohlener Seitenblick der prächtig harmonierenden Darsteller um die Situation wortlos auf den amüsanten Punkt zu bringen.
Auf dem Weg zum bewegenden Finale kommt einzig Maudies Vorgeschichte ein wenig zu kurz: Die genauen Umstände eines schweren Schicksalsschlags aus der Vergangenheit (die hier natürlich nicht verraten werden) böten die Gelegenheit, der Geschichte bei konsequenter Zuspitzung noch etwas mehr Wucht zu verleihen – diesen Nebenstrang der Handlung führen die Filmemacher aber etwas halbherzig zu Ende. Den starken Gesamteindruck schmälert das aber kaum, dafür sorgt schon die britische Hauptdarstellerin Sally Hawkins („Paddington“, „Blue Jasmine“) mit einer herausragenden Leistung: Wenn sich die zerbrechliche Maudie allein über eine kilometerlange Landstraße schleppt oder entkräftet im Schnee zusammenbricht, möchte man der bedauernswerten Frau am liebsten selbst unter die Arme greifen – man leidet als Zuschauer förmlich mit. Maudie nimmt fast den kompletten Film über eine buckelige Körperhaltung ein, doch wenngleich sie meist schüchtern gen Boden blickt, blitzt in ihren Augen doch immer wieder eine freche Schlagfertigkeit auf, die man der labilen Hobby-Malerin kaum zutrauen würde. Der vierfach oscarnominierte Amerikaner Ethan Hawke („Training Day“, „Boyhood“) steht seiner Leinwandpartnerin in nichts nach, wenngleich er als stures und simpel gestricktes Landei nicht ganz so viel Raum zur Entfaltung bekommt.
Fazit: „Maudie“ ist ein ebenso kraftvolles wie berührendes Beziehungsdrama, das vor allem von den beiden großartigen Hauptdarstellern Sally Hawkins und Ethan Hawke getragen wird.
Wir haben den Film im Rahmen der Berlinale 2017 gesehen, wo „Maudie“ als Berlinale Special Gala gezeigt wird.