Der für das Drehbuch von „Neue Vahr Süd“ sowie für die Inszenierung des „Tatort: Nie wieder frei sein“ jeweils mit dem Grimme-Preis ausgezeichnete „Lammbock“-Regisseur Christian Zübert ist nach eigener Aussage „gelangweilt von der herkömmlichen Spielfilmdramaturgie“ und hat sich für seinen neuen Kinofilm „Ein Atem“ deshalb eine besondere erzählerische Herausforderung gesucht: Das Drama, für das er gemeinsam mit seiner Frau Ipek Zübert auch das Skript verfasst hat, ist in zwei große separate Blöcke geteilt, die aus unterschiedlichen Perspektiven erzählt werden und sich auf ausgetüftelte Art ergänzen. Das macht diesen Film über zwei sehr verschiedene Frauen interessant, aber auch etwas sperrig, wobei die gewisse Kantigkeit sich als Stärke und Schwäche zugleich erweist.
Elena (Chara Mata Giannatou) ist nicht zufrieden mit ihrem Leben in Athen und den bescheidenen Ansprüchen ihres Freundes. Sie will daher nach Deutschland und hat auch eine gutbezahlte Arbeit als Barfrau in Frankfurt in Aussicht, doch dann wird bei einer Routineuntersuchung entdeckt, dass sie schwanger ist. Notgedrungen nimmt Elena einen vermeintlich leichteren Job als Kindermädchen der anderthalbjährigen Lotte an, deren wohlhabende Eltern Tessa (Jördis Triebel) und Jan (Benjamin Sadler) nicht einfach ihre Karrieren aufgeben wollen. Zwischen Elena und Tessa kommt es zu einigen Reibereien. Dann verschwindet eines Tages Lea und Elena kehrt sang- und klanglos nach Griechenland zurück …
Wenn man größere Teile der Geschichte in der zweiten Hälfte des Films erneut erlebt, nur dieses Mal aus der Perspektive von Tessa, erkennt man, dass diese gar kein gereizter Kontrollfreak ist, wie es im aus der Sicht von Elena erzählten ersten Teil noch schien. Vielmehr ist die junge Deutsche mit ihrer Lebenssituation ähnlich überfordert wie die unerwartet schwangere Griechin. Fast wie in einigen klassischen Tragödien („König Ödipus“, „Romeo und Julia“) hätten sich die schlimmsten Missverständnisse durch ein wenig mehr Vertrauen und Kommunikation verhindern lassen, das wird doch Züberts Konstruktion mehr als deutlich. Doch stattdessen kommt es wie es kommen muss und Tessa reist Elena kurzerhand hinterher nach Griechenland.
Arm und reich treffen aufeinander, im Mikrokosmos einer kleinen Familie wie auch im sozialen Kontext Europas. Christian Zübert gelingt es mit „Ein Atem“, die Sehnsucht eines kleinen Mädchens nach Rosinenbrötchen ähnlich dramatisch darzustellen wie diverse kriminelle Handlungen vom Kidnapping bis zur schweren Körperverletzung: Erst geht es nur um ein Gummibärchen-Verbot, später wird ein Thriller daraus. Durch die Aufteilung der Geschichte in zwei nur schwer vereinbare Perspektiven kann man zwar mit beiden Frauen bis zu einem gewissen Punkt mitfühlen, aber die letztendliche Auflösung fällt dann in verschiedener Hinsicht unbefriedigend aus. Zübert verliert das Schicksal Elenas fast komplett aus den Augen, auf der anderen Seite steht die eher unmotiviert erscheinende Hoffnung auf ein deutsches Familienglück. Ein vollkommen offenes Ende hätte wohl besser zur Kompromisslosigkeit des restlichen Films gepasst.
Dabei gibt es viele gute Ansätze und starke Szenen: Tessas penible Excel-Tabellen mit dem geplanten Tagesverlauf ihrer Tochter, die Partnerschaftsprobleme der beiden Frauen (besonders hübsch: der Hotelbesuch als Aussöhnung), das zaghafte Aufeinanderzukommen der ungleichen Mütter am Spielplatz (in solchen Szenen zeigt sich die Klasse der beiden Schauspielerinnen) und nicht zuletzt das durchdachte Ineinandergreifen der beiden Storyblöcke im Mittelteil. Aber wenn solchen intimen und lebensnahen Szenen immer wieder die symbolische Inszenierung des esoterisch aufgeblasenen „Atems“ folgt, dann will der Regisseur einfach zu viel auf einmal. Und am Ende wirken die Filmemacher von ihrer Geschichte stellenweise ähnlich überfordert wie die beiden Frauen, von denen sie erzählen.
Fazit: Ambitionierte Familiengeschichte, die in einem tragikomischen Register beginnt und dann zum Auf-Leben-und-Tod-Drama mutiert.