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    10 Cloverfield Lane
    Kritik der FILMSTARTS-Redaktion
    4,0
    stark
    10 Cloverfield Lane
    Von Andreas Staben

    Matt Reeves‘ Found-Footage-Mystery-Horror „Cloverfield“ von 2008 ist nicht zuletzt durch sein inzwischen legendäres virales Marketing zu einem Hit geworden. Nach dem beispiellosen Internet-Hype und dem anschließenden Kassenerfolg wurde natürlich bald von einer möglichen Fortsetzung gesprochen, doch diverse Pläne zerschlugen sich, bis im Januar 2016 gleichsam aus dem Nichts ein Trailer zu einem Film namens „10 Cloverfield Lane“ auftauchte. Der Start des Langfilmdebüts von Regisseur Dan Trachtenberg wurde bereits für den folgenden März angekündigt – und so kam nach kaum einmal zwei Monaten ein Film in die Kinos, von dem bis dahin niemand außer den direkt Beteiligten etwas wusste. Aber ist das Projekt nun wirklich die langerwartete Fortsetzung? Produzent und Geheimniskrämer J.J. Abrams („Star Wars 7“) bezeichnete Trachtenbergs Film als „Blutsverwandten“ von „Cloverfield“ und das trifft es recht gut: Bei „10 Cloverfield Lane“ handelt es sich um so etwas wie eine Mutation jenes Psychothrillers, an dem der Jungregisseur unter den Titeln „Valencia“ und „The Cellar“ schon länger gearbeitet hatte, als ihm der streng geheime „Cloverfield“-Bezug hinzugefügt wurde – so fällt die clever eingefädelte, aber trotzdem etwas konstruiert wirkende Verbindung nicht so eng aus wie dies Fans von Reeves‘ Film gehofft haben mögen. Ganz ohne Wackelkamera- und Zerstörungsorgien ist „10 Cloverfield Lane“ ein überaus spannender, atmosphärisch stimmiger und effektiv inszenierter Thriller mit tollen Schauspielern.

    Louisiana: Michelle (Mary Elizabeth Winstead) ist sichtbar außer sich. Sie packt ihre Sachen, aber die Hausschlüssel lässt sie zurück. Sie setzt sich ins Auto und fährt in die Nacht. Unterwegs erhält sie einen Anruf von Ben (Stimme im Original: Bradley Cooper), der sie eindringlich bittet, mit ihm zu sprechen, aber sie geht nicht dran. Wenig später wird die Fahrt der jungen Frau jäh unterbrochen: Nach einem krachenden Zusammenstoß erwacht sie verletzt auf einer Matratze in einem kleinen, kargen Raum ohne Fenster und hängt an einem Tropf. Sie versucht sich zu befreien, als ein Mann das Zimmer betritt, der sich später als Howard (John Goodman) vorstellt. Er behauptet, Michelle vor einem chemischen oder nuklearen Angriff gerettet zu haben: Nur in seinem Bunker sei sie sicher - der Rest der Menschheit habe nicht überlebt. Während Howard sich fragt, ob die Russen oder vielleicht doch die Marsianer hinter der vermeintlichen Attacke stecken, zweifeln Michelle und der dritte Bunker-Bewohner Emmett (John Gallagher Jr.) an den Absichten ihres „Gastgebers“ – doch eine Flucht scheint unmöglich.

    Ungeachtet der auf der Zielgeraden deutlicher etablierten Verwandtschaft zwischen beiden Filmen, ist „10 Cloverfield Lane“ vollkommen anders als „Cloverfield“: Regisseur Dan Trachtenberg, der sich bisher vor allem mit dem Kurzfilm „Portal: No Escape“ (über 17 Millionen Views auf YouTube) einen Namen gemacht hat, beschränkt sich weitestgehend auf einen einzigen, eng begrenzten Schauplatz und auf drei handelnde Personen. Wo Matt Reeves rabiat ganz New York in Schutt und Asche legte, setzt der jüngere Kollege auf behutsame Spannungssteigerung und sorgfältige Figurenzeichnung. Wir erleben das Geschehen aus der Perspektive von Michelle und wenn sie nach dem plötzlichen Autounfall in völliger Isolation erwacht und nicht weiß, wie ihr geschieht, ist das für sich schon eine ebenso mysteriöse wie beängstigende Ausgangssituation. Mit dem baldigen Auftreten des zwiespältigen und zweifellos etwas verrückten Howard wird die Verunsicherung noch gesteigert: Ist er ein wahnsinniger Kidnapper oder doch ein Wohltäter mit dem Herzen am rechten Fleck? Geschickt streuen Trachtenberg und seine Drehbuchautoren Josh Campbell und Matthew Stuecken (an der Story war auch noch Damien Chazelle beteiligt, der dann aber „Whiplash“ realisierte) widersprüchliche Hinweise auf Howards Motive, auf seine Vergangenheit und auf das, was draußen wirklich geschehen ist.

    Die Filmemacher beherrschen die Genremechanik aus dem Effeff: Neben dem solide konstruierten Skript – wobei Erbsenzähler auch hier ein paar Ungereimtheiten in den Details entdecken werden - tragen vor allem die intensiv-wirkungsvolle Musik von Bear McCreary („The Boy“), Jeff Cutters („A Nightmare On Elm Street“) agile Kameraarbeit und das hervorragende Produktionsdesign von Ramsey Avery (Art Director bei „Star Trek Into Darkness“) zur vielschichtig-bedrohlichen Atmosphäre bei. Wenn Michelle, Howard und Emmett in dem überraschend wohnlichen Gemeinschaftsraum des Bunkers essen, spielen oder 60er-Jahre-Musik aus der Jukebox hören, dann gesellt sich zu der unterschwelligen Spannung eine Spur von Melancholie: Monopoly, alte Zeitschriften, VHS-Bänder – all diese Dinge erinnern im doppelten Sinne an eine vergangene Welt. Dazu werden die Protagonisten von dem Bedauern geplagt, alte Fehler nicht mehr wiedergutmachen zu können. Der Gedanke an früher, an das Außen ist hier nicht nur mit ganz vielen Fragezeichen, sondern auch mit komplexen Gefühlen verbunden. Dies bringen die hervorragenden Darsteller zum Ausdruck. Und erst durch diese emotionale Unterfütterung kann Trachtenbergs virtuoses Spiel auf der Genreklaviatur gerade bei den erzählerischen Paukenschlägen im letzten Filmdrittel seine volle Wirkung entfalten.

    Mary Elizabeth Winstead („The Thing“, „Smashed“) steht als Michelle ständig unter Anspannung, lässt sich aber nie unterkriegen. Mit den kreischenden Protagonistinnen vieler Horrorfilme hat sie nichts gemein, vielmehr begegnet sie mit bewundernswertem Einfallsreichtum ständig neuen Herausforderungen und entpuppt sich so als ideale Identifikationsfigur. Während John Gallagher Jr. („Short Term 12“) sich als eher ruhiger Emmett in der dritten Hauptrolle gut behauptet, sorgt John Goodman („Barton Fink“, „Argo“) für die schauspielerischen Bravourstücke. Sein Howard ist kein Psychopath von der Stange, sondern eine zutiefst ambivalente Figur. Er trägt den „schwarzen Gürtel in Verschwörungstheorien“, er ist aufbrausend und gefährlich, aber er hat eben auch auf überaus umsichtige Weise Vorsorge getroffen für den Weltuntergang und wirkt zwischendurch wie ein netter Kerl, der eine gute Spaghettisoße kocht. Wie hervorragend Goodman die Balance zwischen den vielen widersprüchlichen Seiten seiner Figur hält, ist ein weiterer wesentlicher Grund dafür, dass man bei „10 Cloverfield Lane“ so schön mitfiebern kann. Trachtenbergs Psychothriller wäre auch ohne die ominöse Verbindung zu „Cloverfield“ kein schlechterer Film, aber wenn die Frage schließlich in den Vordergrund rückt, sind auch diese Szenen aufregend und gut gemacht. Einzelheiten wollen wir an dieser Stelle nicht verraten, aber weitere „Cloverfield“-Filme sind ganz sicher nicht ausgeschlossen.

    Fazit: Unabhängig von allen cleveren Marketingkniffen ein sehr spannendes und hervorragend gespieltes Psychothriller-Kammerspiel mit Knalleffekt-Finale.

    Und hier noch Dan Trachtenbergs Kurzfilm „Portal: No Escape“, der einige inhaltliche und ästhetische Gemeinsamkeiten zu „10 Cloverfield Lane“ aufweist:

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