Aslan (Dogan Izci) ist ein trotziger Junge, das merkt man sofort. Aber in seinem anatolischen Heimatdorf hat er es auch nicht gerade leicht: Seine Familie zählt zu den Armen, was bedeutet, dass Aslan weniger zu melden hat als etwa der Sohn des Dorfvorstehers. So kommt es, dass der Elfjährige bei einer Schulaufführung von „Schneewittchen und die sieben Zwerge“ auf Geheiß seines Lehrers (Okan Avci) einen der Zwerge spielen soll, obwohl er doch viel lieber der Prinz gewesen wäre. Mit dieser Auftaktepisode steckt der in Berlin lebende Regisseur Kaan Müjdeci in „Sivas“ die Hierarchien im Dorf subtil und wertfrei ab, ohne dabei überdeutlich werden zu müssen. Es entfaltet sich ein schlicht inszeniertes und fein beobachtetes Drama, das es beim Festival von Venedig 2014 sogar in den offiziellen Wettbewerb geschafft hat – für den Film eines Kinodebütanten keine Selbstverständlichkeit.
Die eigentliche Geschichte beginnt, als Aslan seinen Vater (Hasan Yazilitas) und seinen älteren Bruder Sahin (Ozan Celik) zu einem Hundekampf begleitet. Während die Tiere wie wild aufeinander losgehen, schließen die Männer hektisch Wetten auf den Ausgang des Kampfes ab. Aslan ist aber weniger von den vielen Geldscheinen als vielmehr von dem Kangal Sivas angetan, der im Kampf unterliegt und von seinem Besitzer zum Sterben zurückgelassen wird. Der Junge verbringt die Nacht alleine mit Sivas im Wald und nimmt den großen Hund am nächsten Tag mit nach Hause – doch dann erkennt der Vorsteher (Muttalip Mujdeci) erkennt, dass sich mit dem erfahrenen Kampfhund eine Menge Geld verdienen ließe …
Regisseur Kaan Müjdeci hat zuvor bereits einen Dokumentarfilm über Hundekämpfe in Anatolien gedreht – und dementsprechend realistisch sind nun auch die betreffenden Szenen in „Sivas“ umgesetzt. Das ist in dieser extremen Form sicherlich nicht jedermanns Sache, aber die brutalen Beißereien passen perfekt zur insgesamt sehr schroffen Atmosphäre des realistisch inszenierten Dramas. Die Handkamera bleibt stets ganz nah an den Figuren, was zusätzlich zum dokumentarischen Eindruck beiträgt, der auch durch den Einsatz von Laiendarstellern noch verstärkt wird. Von diesen begeistert vor allem der junge und jederzeit glaubwürdige Debütant Dogan Izci. Wenn sich Aslan in einer intensiven Szene schließlich wütend gegen die verkrusteten Machtstrukturen in seinem Dorf auflehnt, um seinen Hund vor weiteren Verletzungen in den Kämpfen zu schützen, dann stehen diese bitteren Momente in krassem Kontrast zu den strahlenden Bildern aus „Lassie“, die sich der Junge in einer View-Master-Scheibe ansieht. Anders als die Geschichte des Hollywood-Vorzeigehunds steht die Freundschaft zwischen Aslan und Sivas nämlich von Anfang an unter keinem guten Stern.
Fazit: Reifes Sozialdrama über die Freundschaft eines elfjährigen Jungen zu einem Kampfhund.