„Im Oktober 1994 verschwanden drei Studenten in den Wäldern von Burkittsville, Maryland, beim Dreh eines Dokumentarfilms. Ein Jahr später wurden ihre Filmaufnahmen gefunden.“ Was nach dieser Texteinblendung folgte, sollte den modernen Horrorfilm verändern, denn „Blair Witch Project“, das genial übers Internet vermarktete Filmdebüt des Regiegespanns Eduardo Sánchez und Daniel Myrick, wurde 1999 zum Riesenerfolg und verhalf dem Found-Footage-Horror zum Durchbruch. Zwar gab es auch davor schon pseudodokumentarisches Gruselkino (ein wichtiger Vorläufer war etwa Ruggero Deodatos Exploitation-Kultfilm „Cannibal Holocaust“ von 1980), aber „Blair Witch Project“ löste mit seinen vorgeblich authentischen „gefundenen“ Handkameraaufnahmen eine auch durch Fortschritte in der Filmtechnik begünstigte bis heute anhaltende Welle von vergleichbaren Werken aus. Auch „Gallows“ von Chris Lofing und Travis Cluff soll seinen Nervenkitzel aus der „Echtheit“ seiner Bilder beziehen. Doch wie vielen anderen Filmen des Genres mangelt es der kurzen, temporeichen Low-Budget-Produktion an ausgereiften Figuren und frischen Ideen, um aus der Masse herauszustechen.
Der Film beginnt mit einem Privatvideo der Familie Grimille von 1993, mit dem die Eltern den Auftritt ihres Sohnes Charlie auf der Highschool-Bühne der Kleinstadt Beatrice in Nebraska dokumentieren. In dem Theaterstück „The Gallows“ spielt Charlie den Protagonisten, der im großen Finale am Galgen (=„gallows“) hängt. Doch es kommt zu einem Unfall und Charlie stirbt. 20 Jahre später soll in Erinnerung an die Tragödie eine neue Aufführung des Stücks stattfinden, bei den Vorbereitungen filmt Ryan (Ryan Shoos) seinen Footballkameraden Reese (Reese Mishler), der bei dem „spießigen“ Stück mitmacht, um dem Theatertalent Pfeifer (Pfeifer Brown) zu gefallen. Die beiden Jungs beschließen gemeinsam mit Ryans Freundin Cassidy (Cassidy Gifford) am Tag vor der Aufführung, die Kulissen zu zerstören. Doch als das Trio einen schlummernden Geist weckt, wird die nächtliche Aktion zum Überlebenskampf…
Die Entstehungsgeschichte von „Gallows“ ist fast interessanter als seine Handlung: 2012 stellten die Nachwuchsfilmemacher Chris Lofing und Travis Cluff einige Videos auf YouTube, um auf ihre Inszenierungskünste aufmerksam zu machen. Schließlich weckten die effektvollen kleinen Filme tatsächlich das Interesse der richtigen Leute und am Ende stand für das enthusiastische Duo ein Produktionsdeal mit der Horror-Schmiede Blumhouse, die mit der „Paranormal Activity“-Reihe unter anderem bereits ein veritables Found-Footage-Franchise etablieren konnte. Doch hier endet die fast etwas märchenhafte Erfolgsgeschichte, denn mit Oren Pelis unheimlichem Überraschungserfolg kann das Lofings und Cluffs 100.000-Dollar-Projekt in keiner Weise mithalten. Zwar gibt es ein paar äußerliche Gemeinsamkeiten (auch hier benutzen die relativ unerfahrenen Darsteller ihre eigenen Vornamen und filmen sich gegenseitig), aber mit seinem geringen Produktionsaufwand und den amateurhaften Darstellern wirkt „The Gallows“ streckenweise wie das improvisierte Ergebnis eines Schülerprojekts.
Abgesehen von der irritierenden hyperaktiven Handkamera, die hier einmal mehr zur Beglaubigung des angeblich Authentischen bemüht wird, gibt es immerhin einige recht überzeugend gruselige Schreckmomente und ein morbid-zynisches Finale, dazu allerdings auch zahlreiche Ungereimtheiten beim Handlungsaufbau und bei der Figurengestaltung. Unglücklich ist insbesondere der Umstand, dass mit dem Bully Ryan ausgerechnet die anstrengendste - um nicht zu sagen nervigste - Figur immer wieder das Geschehen kommentieren darf. Von ihm stammen die meisten der vorgeblichen Privataufnahmen, aus denen der Film zusammengesetzt ist (dazu kommen filmische Beweismittel der örtlichen Polizei) und der fast schon obligatorische genretypische Moment, in dem es um die Rechtfertigung des ständigen Filmens geht, ist ärgerlich banal geraten. Trotzdem finden sich in den nur knapp 80 Minuten Laufzeit durchaus auch nette Details am Rande, etwa wenn anhand des Wechsels von Hi8-Videokameras Anfang der 90er Jahre zu Digital- und Handykameras in der Gegenwart nebenbei eine kleine Mediengeschichte über den Übergang von analogen zu digitalen Bildern erzählt wird.
Fazit: Ein unterdurchschnittlicher Found-Footage-Slasher mit unbeholfenen Darstellern in unausgereiften Rollen, aber immerhin einigen gelungenen Schockmomenten.