Uns Menschen eint, dass wir alle irgendwann sterben müssen, wobei wir den genauen Zeitpunkt unseres Todes in der Regel nicht kennen. Bei Esther, der Hauptfigur in Bille Augusts neuestem Werk „Silent Heart – Mein Leben gehört mir“, ist das anders, denn die schwerkranke Frau hat beschlossen, sich am Ende eines letzten, gemeinsam im Kreise ihrer Familie verbrachten Wochenende das Leben zu nehmen. Als zentrales Motiv platziert der dänische Regie-Altmeister immer wieder Uhren im Bild, ganz egal ob sie die Zeit in digitalen Ziffern anzeigen oder ob Sekunden-, Minuten- und Stundenzeiger unaufhörlich ihre Runden drehen: Esther weiß, dass ihre Zeit gekommen ist und hat sich damit abgefunden. Doch wie geht der Rest ihrer Familie damit um? Und wie stehen wir als Zuschauer zu Esthers Entscheidung? Wer sich auf „Silent Heart“ einlässt, bekommt ein intensives, hochemotionales Familiendrama geboten, in dem es zwar um ein komplexes und schweres Thema (Suizid im Krankheitsfall) geht, das dabei aber nie belehrend und vor allem nie erdrückend wirkt. Obendrein wartet der Film mit einem großartigen, mehrere Generationen übergreifenden Schauspielerensemble auf, das sich sehen lassen kann.
Esther (Ghita Nørby) und ihr Ehemann Poul (Morten Grunwald) haben ihre Familie zu sich in ihr Haus auf dem dänischen Land eingeladen, um dort ein gemeinsames Wochenende zu verbringen. Es sollen ihre letzten gemeinsamen Tage sein, denn Esther, die an ALS leidet, hat beschlossen, selbstbestimmt zu sterben. Ihre Töchter Heidi (Paprika Steen) und Sanne (Danica Curcic) akzeptieren Esthers Wunsch, doch je näher der Moment des endgültigen Abschieds rückt, desto stärker hinterfragen die Schwestern ihre Haltung. Vor allem Sanne, die in Begleitung ihres Freundes Dennis (Pilou Asbæk, „Game of Thrones“) angereist ist, glaubt insgeheim, dass es für die Ausführung der Entscheidung der Mutter noch zu früh ist. Als Heidi erfährt, dass Sanne plant, den Suizid zu verhindern, geraten die beiden Schwestern, zwischen denen noch verdrängte Konflikte stehen, aneinander und das Wochenende nimmt einen unerwarteten Verlauf…
„Silent Heart – Mein Leben gehört mir“ ist kein Film, in dem das Für und Wider eines selbstbestimmten Todes diskutiert wird, im Gegenteil: Regisseur Bille August („Fräulein Smillas Gespür für Schnee“) und sein Drehbuchautor Christian Torpe (Schöpfer der dänischen Erfolgsserie „Rita“) stellen sich überraschend klar auf Esthers Seite. Vielmehr geht es um die Frage, die sich Esther, ihr Mann und ihre Töchter – und in der Verlängerung wir als Zuschauer – als Konsequenz von Esthers Entschluss stellen: Was tun wir mit der Zeit, die uns noch bleibt? So ist „Silent Heart“ letztlich kein Film über das Sterben, sondern einer über das Leben: Als Esther am Sonntag, dem letzten Tag ihres Lebens, im Ehebett aufwacht, bittet sie ihren Mann, die Vorhänge noch einmal zu schließen, damit sie wieder einschlafen und noch ein allerletztes Mal aufwachen kann. Es sind unaufgeregt inszenierte, berührende Szenen wie diese, die „Silent Heart“ nachhallen lassen. Fast schon schade ist daher ein (halbwegs) überraschender Plot-Twist gegen Ende, der zwar erklärt, warum genau Esthers beste Freundin Lisbeth (Vigga Bro) dem Familienwochenende beiwohnen darf, die Handlung des Films aber unnötig dramatisiert.
Bille August kehrt nach „Nachtzug nach Lissabon“ mit seiner internationalen Starbesetzung zurück in sein Heimatland Dänemark, wobei sich die einheimischen Darsteller keineswegs hinter Jeremy Irons, Charlotte Rampling und Co. verstecken müssen. Vor allem das zentrale Frauen-Trio überzeugt: Paprika Steen („Das Fest“) und Danica Curcic („Schändung“) sorgen dafür dass die von ihnen gespielten Schwestern in ihrer gewollten Gegensätzlichkeit nie schablonenhaft wirken. Und dann ist da schließlich noch Ghita Nørby (sie arbeitete schon 1992 bei „Die besten Absichten“ mit Bille August zusammen), die Grande Dame unter den Schauspielerinnen Dänemarks. Sie stattet Esther bei all ihrer körperlichen Kraftlosigkeit mit einer ungeheuren, auch im Angesicht des nahenden Todes nicht schwindenden Stärke aus, und zeigt damit, dass ein Freitod, der schlimmeres Leiden verhindert, nicht von Hilflosigkeit und Schwäche zeugen muss, sondern ein Ausdruck von Stärke, Mut und Entschlossenheit sein kann.
Fazit: Unaufdringlich führt Regisseur Bille August ein starkes Schauspielerensemble durch ein berührendes Familiendrama, das zum Reflektieren über die eigene Sterblichkeit einlädt.