ICH WOLLT' ICH WÄR EIN HUHN
von Michael Grünwald / filmgenuss.com
Der Däne Anders Thomas Jensen ist wohl der Mann, der uns Männer am besten versteht. Seine Filme sind die einzig wahren Männerfilme, und dabei ist es ein falscher Weg, anzunehmen, Männerfilme seien solche mit ordentlich Wumms und Jason Statham und die hübsche Dame am Ende, die dem Dreitagebart-Solokämpfer schmachtend um den Hals fällt. Nein, sowas sind keine Männerfilme. Da braucht es schon mehr Gefühl. Wie Anders Thomas Jensen es eben hat. Würden wir Männer all den Schnickschnack und die ganze Fassade endlich weglassen, würde zum Vorschein kommen, was sich in seinen Filmen stets beobachten lässt: Verschrobenene, komplexbeladenene Sonderlinge mit nerdigen Skills und wenig Chancen beim weiblichen Geschlecht. Erziehungsgestört, aber liebesbedürftig und nicht wissend wohin mit der Libido. Das sind Szenarien, die lassen sich mit nichts vergleichen. Adams Äpfel zum Beispiel: Männer im Miteinander. Was da für eine Eigendynamik entsteht, muss man entdecken. Zuletzt im Kino: Helden der Wahrscheinlichkeit. Auch hier maskuline Handschlagsqualitäten und XY-Freundschaften, die das Universum in seiner Logik ad absurdum führen. Mit Men & Chicken schießt Jensen in Sachen Groteske aber wirklich den flugunfähigen Vogel ab. Hier finden Brüder zueinander, denen man, würde man sie nicht näher kennen, tunlichst aus dem Weg gehen würde. Auf dem zweiten Blick aber ist die Freakshow eine sensible Angelegenheit, über die unangebracht wäre, sich lustig zu machen. Das geht vielleicht nur, weg man wegsieht. Was wiederum nicht gelingt, bei all den verqueren Ideen, die Anders Thomas Jensen hier Stück für Stück aneinanderreiht. Men & Chicken ist ein irres Panoptikum über Verwandtschaft, Gene und das Tier im Manne.
Es ist schon eigenartig, wie alles anfängt. Da sind die Brüder Gabriel und Elias (Mads Mikkelsen in seiner wirklich schrägsten Rolle – ein Beweis mehr, was der Mann alles spielen kann), die eines Tages vom Tod ihres Vaters erfahren, der wiederum eine Videobotschaft hinterlassen hat, die besagt, dass beide im Grunde adoptiert sind und ihr richtiger Vater auf der Insel Ork (!) lebt. Die beiden machen sich auf die Reise und stoßen dort auf eine Bruchbude von Herrenhaus, in dem drei weitere Brüder hausen, gemeinsam mit unzähligen Nutztieren aller Art, alle mit einer Hasenscharte, alle verwahrlost, verpeilt und unheilbar exzentrisch. Und auch so ziemlich pervers, gelinde gesagt. Der Vater selbst lässt sich nicht blicken, und so richtig willkommen sind Gabriel und Elias auch nicht. Die Hartnäckigkeit der beiden macht sich aber bezahlt, und nach und nach ändert sich so einiges im Leben außerhalb der Norm.
Über Geschmack lässt sich streiten. Über das Ziehen der Grenze vom guten zum schlechten ebenso. Anders Thomas Jensen weiß das, will aber mit seiner kuriosen Familiendramödie sicherlich nicht provozieren. Dieses Entrümpeln männlicher Stereotypien gelingt ihm ausgezeichnet, dieses Durcheinanderwirbeln seltsamer Weltbilder ebenso. Dabei beruht der schlechte Geschmack von Men & Chicken bis zum letzten Schimmelfleck an der Wand des vor Schmutz und gammeligen Zeugs vollgestopften Hauses auf keinerlei Zufall. Selten haben Verwahrlosung und Vergänglichkeit eine so opulente Bühne wie diese ergeben. Schäbigkeit hat Stil – gibt’s das? In diesem Film schon. Die Ideale des Schönen lassen sich dann doch noch in der Sanftheit brüderlichen Füreinanders entdecken, während der Rest dem Abnormen seinen Platz in der Gesellschaft gibt. Am Ende kippt der skurrile Reigen in monströse Phantastik und betritt eine Metaebene, die unter anderem bei David Cronenberg oder Guillermo del Toro zu finden gewesen wäre, hätte Thomas Anders Jensen nicht seine Brüderpartie ihre eigene Bestimmung finden lassen, jenseits aller Ordnung.
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