Familienbeziehungen und vor allem geschwisterliche Bande haben im Schaffen der Filmemacherin Margarethe von Trotta schon immer eine besondere Rolle gespielt. Bereits in „Schwestern oder Die Balance des Glücks“ (1979), in „Die bleierne Zeit“ (1981) oder in der Tschechow-Adaption „Fürchten und lieben“ (1988) widmete sich die einstige Fassbinder-Schauspielerin den komplexen Gefühlen und Konflikten zwischen Schwestern. Die drei Filme werden daher auch gern als Trilogie betrachtet. In ihrem neuesten Werk „Die abhandene Welt“, das auf der Berlinale 2015 uraufgeführt wurde, greift die Regisseurin die Thematik nun ein weiteres Mal auf und gibt ihr eine deutliche autobiografische Färbung, denn die Prämisse des tragikomischen Familiendramas ist von Trottas eigenen Erfahrungen entliehen: Ihre Halbschwester, von der sie nichts wusste und die bei Adoptiveltern in Moskau aufwuchs, nahm nach „Schwestern“ Kontakt mit ihr auf. Aus dieser Keimzelle entwickelte die Filmemacherin eine fiktive Geschichte, doch trotz der faszinierenden Grundidee und einer hervorragenden Besetzung verliert „Die abhandene Welt“ in seinem Verlauf an innerer Spannung und von Trotta verliert sich schließlich mehr und mehr im Trivialen.
Paul Kromberger (Matthias Habich) ist wie vom Blitz getroffen. Durch Zufall entdeckt er im Internet das Bild der amerikanischen Opernsängerin Caterina Fabiani (Barbara Sukowa), die seiner verstorbenen Frau Evelyn zu nahezu hundert Prozent ähnlich sieht - wie eine Doppelgängerin. Aufgekratzt setzt er seine Tochter Sophie (Katja Riemann) darauf an, mehr über die mysteriöse Frau herauszufinden. Sophie, arbeitslose Jazzsängerin, die sich mit der Durchführung von freien Trauungen Geld dazu verdient, fliegt kurzerhand nach New York, um Caterina nach einem Auftritt in der berühmten Metropolitan Opera abzupassen. Die Sängerin stellt sich als unausstehliche Diva heraus, an die emotional nur schwer heranzukommen ist. Doch Sophie weiß sich zu helfen und beginnt eine Affäre mit Caterinas jovialem Agenten Philip (Robert Seeliger). Sie bekommt prompt eine weitere Chance, zu Caterina vorzudringen, doch die kapselt sich brüsk ab und will nichts von einer möglichen Verwandtschaft in Deutschland wissen. Als Sophie sich an Caterinas schwer demente Mutter Rosa (Karin Dor) wendet, droht die Situation zu eskalieren…
Im Vergleich zu ihrem vorigen Film „Hannah Arendt“, einem superben Drama über die berühmte Philosophin und ihre Berichte vom Eichmann-Prozess, schlägt Margarethe von Trotta hier einen leichteren und vor allem uneinheitlicheren Erzählton an. Während der Vorgänger (ebenfalls mit Barbara Sukowa) durch die mühelose Verbindung von Privatem und Politischem, von lockerer Konversation und tiefschürfender Auseinandersetzung gefiel, finden die Gegensätze in „Die abhandene Welt“ nicht so recht zusammen. Mit der Ausgangssituation um die mögliche Entdeckung einer unbekannten Schwester am anderen Ende der Welt weckt die Regisseurin und Autorin zwar die Neugier des Zuschauers und außerdem verstärkt sie die mysteriösen Aspekte durch das Doppelgänger-Motiv. Aber die spannende Auseinandersetzung mit persönlicher und kollektiver Schuld, mit einer belastenden Vergangenheit und verdrängten Gefühlen gerät immer mehr aus dem Fokus und weicht schließlich einem austauschbaren Familiengeplänkel mit zunehmend komödiantischem Touch. Das existenzielle Drama und der mal sanfte, mal gröbere Humor stehen sich hier gleichsam gegenseitig im Weg und so wirkt etwa die Wandlung von Matthias Habichs Paul Kromberger vom Galan zum Kauz alles andere als überzeugend.
In diesem Film prallen immer wieder Welten aufeinander: Die Konfrontation zwischen den so unterschiedlichen Protagonistinnen wird flankiert durch den Gegensatz zwischen den Hauptschauplätzen, dem gediegenen Düsseldorf, wo die Regisseurin im Übrigen auch ihre eigene Kindheit verbracht hat, sowie der pulsierenden Weltmetropole New York. Dort ist das Reich der nah an der Grenze zur Parodie angelegten und teils bis zum Klischee übersteigerte Operndiva-Schreckschraube Caterina, die nur dank der mit sichtlicher Freude ihr Gift verspritzenden Barbara Sukowa („Lola“, „Hannah Arendt“) trotzdem als vergnügliche Figur erscheint. Katja Riemanns („Rosenstraße“, „Fack ju Göhte“) Sophie wiederum ist der komplette Kontrast zu Caterina: unprätentiös und doch charmant. Ihre seltsame Ad-hoc-Affäre mit dem attraktiven Agenten-Macho Philip („If you sleep with me, I'll help you“) sorgt allerdings für Irritation. Die plötzliche Liebschaft kommt nicht nur aus dem Nichts, sondern sie bleibt auch so seicht und bemüht, dass sie einzig als dramaturgischer Notnagel erscheint – ohne sie wäre der Film an der Stelle in einer erzählerischen Sackgasse.
Fazit: Mit vertrauten und bewährten Hauptdarstellerinnen, die sich auch als Sängerinnen beweisen, arbeitet Margarethe von Trotta in dem leichtfüßigen, aber uneinheitlichen Drama „Die abhandene Welt“ die eigene Vergangenheit auf.