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    Tatort: Abgründe
    Kritik der FILMSTARTS-Redaktion
    3,0
    solide
    Tatort: Abgründe
    Von Lars-Christian Daniels

    Die Drehbuchautoren der öffentlich-rechtlichen Krimireihe „Tatort“ versuchen sich immer wieder an der Aufarbeitung aktueller gesellschaftlicher Reizthemen oder dem Anprangern sozialer Missstände – mit mal mehr, mal weniger überzeugenden Ergebnissen. Dass der Wiener „Tatort: Abgründe“ mit dem Thema Kinderpornografie im März 2014 dermaßen das Zeitgeschehen treffen würde, war bei den Dreharbeiten allerdings kaum abzusehen: Im Kasten war der achte gemeinsame Einsatz von Moritz Eisner (Harald Krassnitzer) und Bibi Fellner (Adele Neuhauser) schließlich schon viele Monate vor dem „Fall Edathy“, der parallel zur Erstausstrahlung die deutsche Medienlandschaft dominiert. Es handelt sich wohl eher um einen Zufallstreffer: Kindesmissbrauch wird in der Krimireihe schließlich häufig thematisiert, und so ist es auch nicht überraschend, dass der bis dato dreimalige Wiener „Tatort“-Regisseur Harald Sicheritz und Drehbuchautor Uli Brée in ihrem Film nur wenig Neues zu erzählen haben. „Abgründe“ ist dennoch ein ordentlicher Sonntagabendkrimi: Die Wiener Hauptkommissare sind einmal mehr in Bestform und sorgen mit Dialogwitz und sympathischen Extratouren für die besten Momente in einem grundsoliden, aber lange zu geradlinig verlaufenden „Tatort“ aus Österreich.

    Die kleine Melanie Pölzl wurde im niederösterreichischen Gieselbrunn entführt und fünf Jahre lang in einem Verlies gefangen gehalten – von einem Pfarrer, der sich kurz nach der Flucht des Mädchens vor einen Zug warf. Für die Staatsanwaltschaft war der Fall damit gelöst – nicht aber für Franziska Kohl, die Leiterin der „Soko Melanie“. Die ehemalige Geliebte des Wiener Oberleutnants Moritz Eisner (Harald Krassnitzer) ermittelte weiter, kam aber trotz aller Anstrengungen nicht voran. Als das Haus, in dem Melanie gefangen gehalten wurde, abgerissen werden soll, machen die Bauarbeiter eine schaurige Entdeckung: Im Keller liegt die Leiche von Kohl, die dort wochenlang gelegen hat, nicht vermisst wurde und verdurstet ist. Für Eisner ist die Nachricht ein Schock – und Grund genug, den Fall gemeinsam mit Major Bibi Fellner (Adele Neuhauser) neu aufzurollen. Doch die Ermittlungen geraten ins Stocken: Ihr Vorgesetzter Ernst Rauter (Hubert Kramar), die Staatsanwaltschaft und das Ministerium scheinen großes Interesse daran zu haben, Kohls Tod als Unfall zu den Akten zu legen und die Hintergründe der Entführung unter Verschluss zu halten. War der Tod des Pfarrers vielleicht gar kein Selbstmord? Eisner und Fellner werden vom Dienst suspendiert – und stoßen bei ihren heimlichen Nachforschungen auf ein Kinderporno-Netzwerk, das bis in die höchsten gesellschaftlichen Kreise reicht...

    Ist der Cop erst suspendiert, lebt es sich ganz ungeniert: Moritz Eisner und Bibi Fellner sind bei weitem nicht die ersten „Tatort“-Kommissare, die auch ohne Dienstwaffe und Ausweis zur Tat schreiten. Dem Zuschauer ist das egal, denn am Ende rechtfertigt der gute Zweck natürlich die Mittel, und bis dahin nehmen die Wiener Ermittler den Freibrief für unkonventionelle Methoden gerne an: Eisner ballert dem tatverdächtigen Bauunternehmer Werner Nussbacher (Thomas Mraz) nachts den Flat-Screen-Fernseher vom Tisch, sprengt harmonische Familienfeiern in prunkvollen Villen und tritt so ziemlich jedem auf die Füße, der nicht bei drei in Deckung gesprungen ist. Das ist zwar nur bedingt realistisch, aber entwaffnend unterhaltsam und oft amüsant – vor allem, weil Fellner keinerlei Hemmschwellen zeigt und ihren Kollegen förmlich dazu anstiftet, über die Stränge zu schlagen. „Wir arbeiten in einem Saustall, und du hältst dich an die Regeln!“ wirft sie dem verdutzten Eisner an den Kopf, und hat ja durchaus Recht: Wenn Kollegen und Staatsanwaltschaft machen, was sie wollen, warum sollten es dann nicht auch die Hauptkommissare tun?

    Leider münzt Drehbuchautor Uli Brée diese Steilvorlage erst spät in spannende Krimi-Unterhaltung um: „Abgründe“ kommt relativ schleppend in Fahrt, weil fast eine Dreiviertelstunde lang kaum mehr stattfindet als die altbekannten Kabbeleien zwischen den Kommissaren und „denen da oben“. Das hat man im „Tatort“ schon oft gesehen, und auch das Thema Kindesmissbrauch – man denke zurück an den jüngsten Saarbrücker „Tatort: Adams Alptraum“ – ist alles andere als neu. Die hoffnungslosen Flirtversuche von Julia Wiesner (Stefanie Dvorak) mit dem genervten Eisner wirken seltsam konstruiert, und so wird das zähe Aufrollen des zu den Akten gelegten Falls erst dann zur prickelnden Angelegenheit, als Eisners Tochter Claudia (Tanja Raunig) ins Visier der Kriminellen gerät und ihrem Vater endgültig die Sicherungen durchbrennen. Bis dahin entschädigen die großartigen Dialoge der einmal mehr prächtig harmonierenden Ermittler für die eine oder andere Länge: Während Fellner immer etwas mehr aus ihrer umtriebigen Vergangenheit preisgibt, als ihr gestresster Kollege hören möchte, regt sich Eisner fürchterlich über die pannenanfällige „Schlampenschleuder“ von Fellners Busenkumpel Inkasso-Heinzi auf, die sie noch immer als Dienstwagen missbraucht und dabei ein Jagdgewehr im Kofferraum spazieren fährt.

    Die Rollen von Gut und Böse – mit Ausnahme von Chef Ernst Rauter, der zwischen den Stühlen sitzt – sind klar verteilt: Bauunternehmer Nussbacher sieht mit Pullunder, Riesenbrille, Schnurrbart und Spießerfrisur schon aus wie ein Kinderschänder aus dem Bilderbuch, der undurchsichtige Kollege Markus Frey (Michael Dangl) verhält sich einfach viel zu verdächtig, als dass er nichts auf dem Kerbholz hätte, und der scharfe Kasernenton des schwerreichen Paul von Fichtenberg (Heinz Trixner) lässt kaum ernste Zweifel an einem finsteren Doppelleben aufkommen. Warum die Wiener Ermittler zu keinem Zeitpunkt auf die Idee kommen, mal mit dem damaligen Entführungsopfer Kontakt aufzunehmen, bleibt indes unklar: Die kleine Melanie ist schließlich noch am Leben und sollte eigentlich am besten wissen, ob sie in dem Verlies des Priesters von einem oder von mehreren Männern missbraucht wurde. Vielleicht einfach deshalb, weil sich ohnehin eher die Frage nach der jeweiligen Funktion der Beteiligten stellt – und ob es den Ermittlern am Ende gelingt, die einflussreichen Kriminellen hinter Schloss und Riegel zu bringen. Die pfiffige und konsequente Schlusspointe ist dabei der beste Einfall in einem Spiel ohne Regeln, in dem es am Ende nur Verlierer gibt.

    Fazit: Für Fans von Moritz Eisner und Bibi Fellner ist der „Tatort: Abgründe“ ein Pflichttermin. Die Wiener Ermittler harmonieren einmal mehr prächtig und schlagen über die Stränge wie selten – waren in den letzten Jahren aber auch schon mit besseren Drehbüchern gesegnet, die mehr als ein paar starke Dialoge und einen ungewöhnlichen Schlussakkord zu bieten hatten.

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