Das Drama „Aloft“, das im Wettbewerb der Berlinale 2014 seine Premiere feierte, entfaltet trotz einer dünn gestrickten, ja fast schon hanebüchenen Story beträchtliche Wirkung. Dies liegt vor allem an „Oscar“-Preisträgerin Jennifer Connelly als schöne Schmerzensfrau mit der Gabe und noch mehr der Bürde, eine Wunderheilerin zu sein. Beträchtlichen Anteil hat aber auch die Peruanerin Claudia Llosa, die Regie führte und auch das Drehbuch schrieb. Mit ihrem Spiel auf zwei Zeitebenen zwingt sie den Zuschauer zur Mitarbeit, ohne ihn zu überfordern, weiß daneben ihren Darstellern jederzeit packende Emotionen zu entlocken. Starpower, raffinierte Konstruktion und Mut zum Pathos vereinen sich zu einem Melodram um Verlustschmerz und tragische Schuld, das trotz der inhaltlichen Schwächen und der starke Esoterik-Anklänge zu gefallen weiß.
Inmitten eines öden Landstrichs malocht die verwitwete Nana Kunning (Jennifer Connelly) in einem Schweinemastbetrieb. Ihr schwer kranker Sohn Gully (Winta McGrath) soll mit Hilfe eines Wunderheilers, des „Architekten“ Newman (William Shimell), wieder gesund werden. Doch der Falke von Gullys älterem Bruder Ivan (Zen McGrath) sabotiert dies, als er in die tempelartige „Struktur“ hineinfliegt, die Newman für seinen Heilprozess aus kleinen Hölzern gebaut hat, und sie zum Einsturz bringt. Viele Jahre später taucht die Journalistin Jannia Ressmore (Mélanie Laurent) unter einem Vorwand bei Familienvater Ivan (jetzt Cilian Murphy) auf, um den Aufenthaltsort seiner Mutter zu erfahren. Nana Kunning führt inzwischen am Polarkreis selbst Wunderheilungen durch. Aus irgendeinem Grund scheint Ivan seine Mutter zu hassen. Widerwillig begibt er sich mit Jannia auf eine lange Wanderung ins Eis.
Warum hat Ivan eine so schlechte Beziehung zu seiner Mutter? Was ist mit Gully passiert? Wie hat sich Nana zur Wunderheilerin entwickelt? Die Neugier darauf, dies zu erfahren, nimmt während des Schauens von „Aloft“ von Minute zu Minute zu. Die Irritation darüber, dass sich der Anfang des Films als Vergangenheit entpuppt, wenn einem unversehens der erwachsene Ivan entgegentritt, ist rasch verflogen. Mit ihrem System der stetigen Zeitsprünge entfacht Claudia Llosa die Neugierde des Zuschauers, der jedem Rückblick gespannt entgegen blickt, um dort die neueste Enthüllung zu den Figuren zu erfahren.
Llosa scheut dabei nicht vor einer gehörigen Portion Sentimentalität zurück. Wie schon in ihrem Drama „Eine Perle Ewigkeit“, das 2009 auf der Berlinale mit dem Goldenen Bär als bester Film ausgezeichnet wurde, beutet die Regisseurin schwere Erkrankungen als publikumswirksames Thema aus. Das verstärkt sie hier noch mit einer Menge Esoterik, die sicher den einen oder anderen Zuschauer gedanklich aussteigen lassen wird. Weihevolles „umwabert“ die Wunderheilungen förmlich, als Stimme des Zweifels fungiert hier nur Ivan, dies aber vor allem aus der Motivation, ein tiefes Schuldgefühl zu verdrängen.
Claudia Llosa inszeniert diese Geschichte von Krankheit und Heilung vor einer grandiosen Naturkulisse, die Kameramann Nicolas Bolduc („War Witch“) genauso gekonnt einfängt wie die ausdrucksstarken Gesichter der Schauspieler. Die werden meist in einer ungewöhnlichen Einstellung irgendwo im Zwischenraum von Großaufnahme und halbnaher Distanz gezeigt. Anfangs nervt dieser ungewohnte Blick auf die Antlitze, doch nach und nach zeigt sich, wie gut auf diese Weise das Mienenspiel in Szene gesetzt wird. Fast wirkt es dann auch so, als könnte man allein aus dem Mienen der Figuren ablesen, warum Ivan zum Beispiel so heftig gegen seine Mutter wettert, Frau (Oona Chaplin) und Kind so unwirsch behandelt und was die Journalistin Jannia Ressmore sich von dem Treffen mit Nana Kunning erwartet.
Fazit: „Aloft“ ist ein dünn gestricktes, aber ungemein herzergreifendes Melodram.
Dieser Film läuft im Programm der Berlinale 2014. Eine Übersicht über alle FILMSTARTS-Kritiken von den 64. Internationalen Filmfestspielen in Berlin gibt es HIER.