Kunstfälscher sind durchaus faszinierend. Sie verfügen über außergewöhnliche handwerkliche Fertigkeiten, die auch ein Laie erkennen und anerkennen kann. Wolfgang Beltracchi ist ein solcher Kunstfälscher und dazu ein sehr berühmter: Auf sein Konto geht der größte europäische Kunstfälschungs-Skandal der Nachkriegsgeschichte. Arne Birkenstock („Sound of Heimat“) lässt in seiner Dokumentation „Beltracchi – Die Kunst der Fälschung“ in erster Linie seinen Protagonisten selbst zu Wort kommen. Das Ergebnis ist eine äußerst unterhaltsame Selbstinszenierung irgendwo zwischen Martin Scorseses „The Wolf Of Wall Street“ und der Verehrung eines Althippies und Rockstars.
Wolfgang Beltracchi wurde als Wolfgang Fischer im Nordrhein-Westfälischen Höxter als Sohn eines Kirchenrestaurators geboren und fing bereits in jungen Jahren mit der Malerei an. Als junger Erwachsener entdeckte er sein besonderes Talent, den Stil verschiedenster anderer Maler zu kopieren und fing an zu fälschen. In rund 40 Jahren entstanden so über 300 Fälschungen, von denen viele nach wie vor unentdeckt auf der ganzen Welt in zahlreichen Museen und Privatsammlungen verstreut stehen. Beltracchis besonderer Clou bestand darin, dass er nicht Kopien von existierenden Gemälden anfertigte, sondern Bilder im Stil von Malern wie Max Ernst oder Heinrich Campendonk direkt in die Lücken in den entsprechenden Werkverzeichnissen hinein malte. Das Ganze ging so lange gut, bis aufgrund einer Nachlässigkeit Beltracchis seine Campendonk-Fälschung „Rotes Bild mit Pferden“ enttarnt wurde. Dabei galt das gefälschte Bild zuvor noch bei Experten als der absolute Höhepunkt im Schaffen des 1957 verstorbenen deutsch-niederländischen Künstlers.
Wenn „Kunst von Können kommt“ - wie ein sehr populärer Gedanke lautet – also die handwerkliche Fertigkeit die eigentliche Kunst ist, ist Beltracchi dann nicht ein Künstler, der sogar auf dem Rang eines Campendonk steht? Schließlich war der, für viele Experten beste „Campendonk“ in Wirklichkeit ein „Beltracchi“. Genau hier setzt eine der interessanten Diskussionen der Dokumentation an. Beltracchi sieht seine Schöpfungen quasi in einer Reihe mit den Originalen der von ihm kopierten Künstler. Da seine Bilder ebenso schön seinen, sieht er da keinen echten qualitativen Unterschied. Ihm gegenüber stehen Kunsthistoriker und mit ihnen auch diverse andere Personen, die in den offiziellen Kunsthandel involviert sind, die den wahren Wert der Kunst in ihrer Originalität sehen. Die Kunst liege demzufolge darin, als Erster eine neue Idee gehabt zu haben. Wenn man später einfach nur den Stil kopiere, sei das keine Kunst und verfälsche darüber hinaus auch noch die Kunstgeschichte. Regisseur Arne Birkenstock lässt diese gegensätzlichen Aussagen aufeinander prallen.
Die durch die Fälschungen betroffenen Auktionatoren und Sammler gerieren sich dabei als moralisch im Recht befindliche Geschädigte. Das hält Beltracchi dagegen für zu simpel und führt stattdessen aus, dass der Kunstmarkt so sehr nach neuen Bildern giere, dass es nur natürlich sei, wenn Fälscher die Lücke zwischen Angebot und Nachfrage schließen. Der Fälscher dreht quasi den Spieß um - und dies auf durchaus sympathische und eloquente Weise Art. Er gibt dem überhitzten Kunstbetrieb die Schuld daran, dass Leute wie er existieren. Schließlich verschließen selbst die Beteiligten, vom Gutachter über den Auktionator bis zum Käufer, die Augen vor den Fälschungen. Enttarnen will diese schließlich niemand, da man nur an einem echten Werk verdienen kann. Gelungen werden in „Beltracchi – Die Kunst der Fälschung“ diese Diskussionen angestoßen, der Zuschauer kann sich nach dem Kinobesuch seine eigenen Gedanken machen, welcher Sichtweise er zustimmen will. Vor allem ist die Dokumentation aber ein Portrait des ungemein faszinierenden Protagonisten.
Dabei geht Regisseur Birkenstock auch der Arbeitsweise des Fälschers auf den Grund. So zeigt er, wie dieser ein für 50 € auf dem Trödel erstandenes altes Ölbild in einen äußerst wertvollen Klassiker der Modernen Malerei verwandelt. Dabei wird deutlich, wie wichtig die Detailarbeit ist. Ein alter Galeriestempel, der sich zufällig auf der alten Leinwand befindet, hilft Authentizität vorzugaukeln. Dazu wird nach dem Abbeizen des alten und dem Malen des neuen Bildes Staub und Dreck aus der damaligen Zeit zwischen Leinwand und Keilrahmen gestreut. Es wird deutlich, dass das Malen nur die halbe Miete des Fälschers war. Erst die vielen kleinen Tricks haben ihn so erfolgreich gemacht. So hat seine Frau Helene einen alten Kunstsammler-Onkel erfunden, aus dessen Nachlass angeblich ein Großteil der Bilder stammte. Für den Beweis der Echtheit der Bilder nahm Beltracchi – natürlich mit einer historisch akkuraten Kamera - Fotos von seiner als ihre eigene Großtante verkleideten Frau auf, die inmitten ihrer „Kunstsammlung“ an einem runden Tisch eine Tasse Tee trinkt. Das verschwommene Ergebnis ist eine der vielen schreiend komischen Pointen dieser humorvollen Dokumentation.
Beltracchi ist ein faszinierender Lebemann. Auf die Aussage, dass es besser sei, ein kurzes und intensives, als ein langes und langweiliges Leben führen, entgegnet er lapidar, dass es doch am besten sei, lang und intensiv zu leben – so wie er das bislang gemacht hat! Eine anschießende Fotomontage zeigt den Meisterfälscher süffisant grinsend zusammen mit seiner Frau Helene am Strand, auf der Segeljacht oder beim fröhlichen Spielen mit den Kindern. Die beiden wirken wie unverhofft zu Geld gekommene Hippies, welche sorglos in den Tag hinein leben. Es ist ein Leben in Saus und Braus, bei dem Beltracchi wie eine kleine Ausgabe des von Leonardo DiCaprio in Martin Scorseses „The Wolf Of Wall Street“ beeindruckend verkörperten Börsen-Brokers Jordan Belfort wirkt. Mit diesem verbindet ihn auch das nicht vorhandene Unrechtsbewusstsein. So zeigt eine Szene Beltracchi beim Abschiedsessen mit seinen Nachbarn in Südfrankreich. Dort wird darüber gescherzt, welche wilden Theorien man darüber hatte, wie Beltracchi zu seinem offensichtlichen Reichtum gekommen sei. Dass er nun ein Kunstfälscher ist, ist zwar eine Überraschung, aber auch kein Grund zur Bestürzung. Man plant deshalb bereits ein Wiedersehen, sobald Beltracchi wieder aus dem Gefängnis frei kommt.
Das Ehepaar Beltracchi lässt sich – übrigens eine weitere Analogie zu Jordan Belfort – durch Auffliegen und Haft nicht unterkriegen, sondern schaut bereits in die Zukunft: Die Villen in Frankreich und in Freiburg wird man zur Zahlung der Prozesskosten zwar verkaufen müssen, dafür hat Wolfgang Beltracchi bereits ein sehr schönes, altes Ateliergebäude bei Köln erstanden. Dort wird das am offenen Vollzug teilnehmende Ehepaar jeden Tag ihrer mehrjährigen Gefängnisstrafe zum Arbeiten hinfahren. Schließlich dient das Eröffnen einer neuen Zukunftsperspektive der erfolgreichen Resozialisierung. Beltracchi hat auch bereits ein neues Geschäftsmodell: Ab sofort will er neben eigenen Bildern vor allem echte Betracchi-Fälschungen verkaufen. Das bedeutet, er macht fast so weiter wie bisher, aber signiert seine falschen „Max Ernsts“ zukünftig mit seinem eigenen Namen. Dabei versichert Beltracchi mit seinem typischen Grinsen, dass dies vollkommen legal sei, da eine Kopie erst mit einer imitierten Unterschrift zu einer Fälschung werde.
Fazit: Arne Birkenstocks Dokumentation „Beltracchi – Die Kunst der Fälschung“ zeigt ähnlich wie Martin Scorceses „The Wolf Of Wall Street“ die äußerst unterhaltsame und zudem wahre Geschichte eines durchtriebenen Schlitzohrs, das sich bei seinen Gaunereien keinerlei moralischer Schuld bewusst ist. Dabei hat der Kunstfälscher Wolfgang Beltracchi was Sympathiepunkte anbelangt ganz klar die Nase vorne.