„Chasing the Wind“ ist der zweite Spielfilm des norwegischen Regisseurs Rune Denstad Langlo, der bereits mit seinem skurrilen Roadmovie „Nord“ auf sich aufmerksam gemacht hatte. Die Grundstimmung des Nachfolgers, zu dem der Filmemacher auch das Drehbuch verfasst hat, ist dagegen weniger absurd als ruhig und ernsthaft. Das Ergebnis ist ein manchmal allzu leises Drama, dessen Geheimnisse ganz langsam und allmählich enthüllt werden. Trotz beachtlicher darstellerischer und inszenatorischer Qualitäten fehlt dieser filmischen Studie von Melancholie, unterdrückter Trauer und dysfunktionalen Beziehungen letztlich ein wenig die dramaturgische Ausgewogenheit und die erzählerische Tiefe, um nachhaltig zu beeindrucken.
Die Norwegerin Anna (Marie Blokhus) lebt als erfolgreiche Designerin zusammen mit ihrem Verlobten Mathias (Frederik Meldal Nørgaard) in Berlin. Seit zehn Jahren war sie nicht mehr in ihrer Heimat. Doch als ihre Großmutter stirbt, reist Anna in den kleinen Küstenort im Norden Norwegens, wo sie ihre Kindheit verbrachte. Dort trifft sie auf ihren Großvater Johannes (Sven-Bertil Taube), der sich zu einem eigenbrötlerischen Sonderling entwickelt hat, mit dem zuerst kaum eine Kommunikation möglich ist. Ebenfalls schwierig ist Annas Wiedersehen mit ihrer Jugendliebe: Håvard (Tobias Santelmann) ist inzwischen Witwer und alleinerziehender Vater einer kleinen Tochter, die vom Tod ihrer Mutter traumatisiert ist. Das Mädchen verbringt einen Großteil seiner Zeit mit dem Spielen von skurrilen Katastrophenrettungsübungen. Allmählich wird deutlich, dass der Tod der Großmutter nicht der eigentliche Grund für die Sprachlosigkeit in Annas Familie ist...
Obwohl „Chasing the Wind“ ein eher melancholischer und nur selten lustiger Film ist, wirkt er zu Beginn fast wie eine Parodie auf die skandinavische Wesensart: Annas Großvater Johannes erscheint als knorriger alter Mann, der mehr mit seinem Haus und der Landschaft verwachsen ist als mit seinen Mitmenschen. Seine bevorzugte Form der Kommunikation besteht aus der Zurschaustellung einer altmodischen Art von Gelehrsamkeit durch Zitate aus Literatur, Philosophie und der Bibel. Über den Tod seiner Frau kann er mit Anna jedoch zunächst nicht sprechen. Und auch die Frau vom Bestattungsinstitut schlägt Johannes grantelnd in die Flucht - er will den Sarg lieber gleich alleine bauen. Dann überlässt er diese Arbeit jedoch dem jungen Håvard, wodurch Anna mehr Zeit mit ihrer einstigen Jugendliebe verbringen muss als beiden zunächst lieb ist - spätestens hier ist ganz klar, dass das Unterdrückte und Verdrängte der eigentliche Motor der Erzählung ist.
Die Trauer und das Unglück der Menschen stehen in auffallendem Kontrast zu der atemberaubenden Schönheit der urwüchsigen Landschaft, was der Regisseur geschickt zur Geltung bringt. Ausgiebig zelebriert er zu Beginn Annas schier endlose Reise von Berlin nach Norwegen. Der Weg beginnt mit dem Flugzeug, wird mit einer langen Busfahrt fortgesetzt, bevor er schließlich mit dem symbolischen Übersetzen einer Fähre endet. Es ist als hätte Anna die Offenheit der quirligen Großstadt verlassen, um an einen winzigen Ort am Ende der Welt zu gelangen, wo man nicht einmal mit seinem einzigen Nachbarn reden mag. So ist die Reise gleichzeitig auch eine Reise ins Innere: Anna muss sich dem ganz persönlichen Trauma aus ihrer Vergangenheit stellen, um es hinter sich lassen zu können. Das ist gut gespielt und visuell überzeugend inszeniert, aber wenn die Konflikte schließlich wenig überzeugend in Wohlgefallen aufgelöst werden, offenbaren sich deutliche dramaturgische Defizite.
Fazit: Rune Denstad Langlos „Chasing the Wind“ ist ein norwegisches Drama, wie es nordischer kaum sein könnte. Das Erzähltempo ist bedächtig, die Figuren sind unterkühlt und verschlossen und zugleich sieht das Ganze jederzeit so schlicht und perfekt aus wie ein skandinavisches Designermöbelstück. Das ist schön anzusehen, aber nur bedingt spannend.