Achtung: „Captive“ basiert auf realen Ereignissen, deren Ausgang in der folgenden Kritik eine wichtige Rolle spielt. Wer von diesen Vorkommnissen noch nichts gehört hat und sich die Spannung erhalten will, der sollte den Text erst nach dem Kinobesuch lesen.
Am 11. März 2005 entkam der des Mordes angeklagte Brian Nichols nach einem Amoklauf aus einem Gerichtsgebäude in Atlanta, Georgia. Auf seiner Flucht verschanzte er sich im Haus der drogensüchtigen Ashley Smith und nahm die Besitzerin als Geisel. Nach einer Nacht ließ er sie laufen und ergab sich wenig später der Polizei. Nachdem Smith erzählte, dass sie Nichols Passagen aus dem religiösen Ratgeber „The Purpose-Driven Life“ (deutscher Titel: „Leben mit Vision“) vorgelesen habe, bevor er aufgab, schossen die Verkaufszahlen des von dem evangelikalen Pastor Rick Warren verfassten Buchs in die Höhe und überschritten die Marke von 30 Millionen Exemplaren. Man könnte meinen, dass ein solcher Bestseller keine weitere Werbung braucht, aber genau das ist Jerry Jamesons Verfilmung der Ereignisse von Atlanta: Wenn im Abspann von „Captive“ ein Talkshow-Ausschnitt zu sehen ist, in dem Oprah Winfrey die echte Ashley Smith mit Buchautor Warren zusammenbringt und dazu inbrünstig Gott preist, und wenn es außerdem heißt, dass man nicht perfekt sein muss, um dem Herren als Werkzeug zu dienen, dann wird aus dem Geiselnahme-Thriller ganz zum Schluss endgültig ein christliches Erbauungsdrama. So ist dann auch der Hinweis auf die „wahre Geschichte“ zu Filmbeginn hier mit Vorsicht zu genießen, denn Glaube und Fakten werden in „Captive“ auf fragwürdige Weise vermischt.
Was in eindimensionaler religiöser Überhöhung endet, beginnt als Mischung aus Sucht-Drama und Action-Thriller, ehe es sich zu einem zunächst spannungsvollen Kammerspiel zwischen den beiden auf je eigene Weise traumatisierten Hauptfiguren entwickelt. Für Ashley sind die idyllischen Zeiten mit ihrer kleinen Tochter nur noch fiebrige Erinnerung, der Weg aus dem Drogensumpf scheint unendlich weit zu sein und das ihr in guter Absicht überreichte Exemplar von „The Purpose-Driven Life“ landet zunächst im Papierkorb. Brians erste Attacke auf eine Wärterin wiederum ist inszeniert wie eine Art Anfall – samt Bildaussetzern. Im weiteren Verlauf der ziemlich spannenden und zugleich faszinierend zwiespältigen Rache- und Ausbruchssequenz ist aus seiner Perspektive zu sehen, wie er den Richter, eine Gerichtsschreiberin sowie einen Polizisten erschießt, und auch die weitere Flucht erlebt das Publikum an und auf Brians Seite.
David Oyelowo („Selma“) spielt Brian Nichols als gequälte Seele, die nach außen nur Verbitterung und Härte zeigt. Die (Hinter-)Gründe der Figur bleiben indes im Unklaren, ihre psychologischen Abgründe werden genauso wenig erkundet wie die von Ashley Smith. Kate Mara („House Of Cards“) stehen zu Beginn im Wechsel resignierte Erschöpfung und drogenbefeuerte Energie im Gesicht, später zeigt sie in der Bedrohungssituation mutigen Pragmatismus. Aber wenn sie Brian schließlich mithilfe von Rick Warrens erbaulichen Parolen klarmacht, dass auch sein Leben einen Sinn hat, dann können selbst die engagierten Schauspieler diesen Glaubenssprung nicht glaubhaft erscheinen lassen. Wer sich als Betrachter nicht einfach so dem Willen der Filmemacher und des Buchautoren hingeben will, dem geht es mit „Captive“ ähnlich wie dem von Michael K. Williams („The Wire“) gespielten Detective Chestnut, der nach all den erstaunlichen Pannen und Wendungen im Nichols-Fall frustriert den Kaffeeautomaten traktiert.
Fazit: Gut gespieltes Geiselnahme-Drama, dem simple christliche Lebensweisheiten übergestülpt werden.