Sprache ist Identität. Wer sie nicht nur sprechen, sondern auch lesen und schreiben kann, besitzt ein mächtiges Werkzeug. Mit diesem Werkzeug umzugehen, möchte die titelgebende Protagonistin in „Papusza – Die Poetin der Roma“ erlernen, doch in ihrem Clan erntet sie damit nur Misstrauen. Schließlich wird sie wegen ihrer poetischen Bestrebungen sogar aus der Gemeinschaft ausgeschlossen. Papusza starb 1987 - sie hieß mit bürgerlichem Namen Bronisława Wajs und ist die wohl bekannteste Lyrikerin der Roma. Die Verfilmung ihrer Lebensgeschichte von Joanna Kos-Krauze und Krzysztof Krauze ist ein episches Drama in Schwarz-Weiß, das unter die Haut geht.
1910 wird ein Mädchen geboren. Die alten Frauen des Roma-Clans wünschen ihr, sie möge „leicht wie eine Feder auf der Erde gehen“. Den Namen Papusza lehnen sie jedoch ab – er bedeutet „Puppe“ und sie fürchten, das Kind könne später einmal Schande bringen. Papuszas Clan ist vom Unglück verfolgt: Nirgends sind die Roma gern gesehen, immer werden sie mit Diebstahl und Betrug in Verbindung gebracht. In der Nazizeit werden viele von ihnen brutal ermordet. Papusza (Jowita Budnik) will unbedingt lesen lernen, doch sie muss es heimlich tun und klaut, um den Unterricht bei einer Bäuerin bezahlen zu können. Sie ist fasziniert von den Möglichkeiten des Ausdrucks, von Wissenschaft und Erinnerung. Mit Hilfe eines „Gadjos“ (der Ausdruck der Roma für Nicht-Romani) veröffentlicht sie ihr erstes Buch – es sind Gedichte über das Leben der Roma. Ihr Umfeld wirft ihr daraufhin die Preisgabe von Geheimnissen ihres Volkes vor und beschimpft sie als Verräterin…
In vielen Ländern leiden Roma (wie die Sinti) bis heute unter Verfolgung und Hass. Trotzdem macht das polnische Filmemacher-Duo nicht nur die politische Dimension und die schwierige Beziehung zwischen Polen und den Roma zum Thema, sie erzählen in langen, nicht-chronologischen Einstellungen und panoramaartigen Bildern zugleich von einer Welt, die von Natur, Musik und dem Zusammenhalt der Familien beziehungsweise der Clans geprägt ist. Auf der anderen Seite verfallen sie aber auch nicht der Versuchung, sich zu sehr der Folklore hinzugeben: Die Musik von Jan Kanty Pawluśkiewicz ist authentisch, aber nicht anbiedernd, und weil die Regisseure auch die Feindseligkeit und Ignoranz der Roma gegenüber anderen Kulturen und dem Fortschritt im Allgemeinen nicht aussparen, kann man ihnen auch auf keinen Fall vorwerfen, sie würden hier etwas romantisieren.
Fazit: Im Mittelpunkt von „Papusza – Die Poetin der Roma“ steht die faszinierende Lebensgeschichte einer gebrochenen Künstlerin: ein berührendes Epos, das die archaische und brutale, zugleich aber auch wunderschöne und naturverbundene Welt der Roma lebendig werden lässt.