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    Tatort: Kalter Engel
    Kritik der FILMSTARTS-Redaktion
    1,0
    schlecht
    Tatort: Kalter Engel
    Von Lars-Christian Daniels

    Zählt man Nora Tschirner und Christian Ulmen, die am 26. Dezember 2013 in „Die fette Hoppe“ ihr Debüt als neue „Tatort“-Kommissare in Weimar feiern, mit dazu, kommt die öffentlich-rechtliche Krimireihe aktuell auf stolze 21 Ermittler-Teams – so viele wie nie zuvor. Allein in diesem Jahr gaben Devid Striesow und Elisabeth Brück für Saarbrücken, Til Schweiger und Fahri Yardim für Hamburg sowie Wotan Wilke Möhring und Petra Schmidt-Schaller für die Hamburger Umgebung ihren schwachen (Striesow), soliden (Schweiger) und gelungenen (Möhring) „Tatort“-Einstand. Im neuen „Frankentatort“ gesellt sich 2014 ein weiteres Team hinzu. Aber braucht es tatsächlich so viele verschiedene „Tatort“-Städte und -Ermittler? Für den ebenfalls neu ins Leben gerufenen Fadenkreuzkrimi aus Erfurt ist die Antwort (noch) ein entschiedenes Nein: Das von Thomas Bohn („Reality XL“) inszenierte Debüt des jüngsten „Tatort“-Teams aller Zeiten gerät zum mittelschweren Desaster. „Kalter Engel“ ist ein fast in jeder Hinsicht katastrophaler Fernsehkrimi, mit dem der federführende MDR offensichtlich auf das junge Publikum abzielt und dabei eine kolossale Bruchlandung hinlegt.

    Nach einer schweißtreibenden Verfolgungsjagd können Kriminalhauptkommissar Henry Funck (Friedrich Mücke) und Kriminaloberkommissar Maik Schaffert (Benjamin Kramme) den mutmaßlichen Frauenmörder Roman Darschner (Godehard Giese) stellen – doch Schaffert schießt den Flüchtigen über den Haufen, weil die jungen Kommissare nicht auf Verstärkung warten wollen. Kurz vor seiner Ergreifung scheint Darschner auch noch die 24-jährige Studentin Anna Siebert (Julia Ritter) getötet zu haben: Man findet Sieberts Leiche, deren Brustwarzen merkwürdige Auffälligkeiten zeigen, an der Gera. Die strenge Kriminaldirektorin Petra Fritzenberger (Kirsten Block) verpasst Schaffert und Funck einen Rüffel für ihr ungestümes Vorgehen, setzt sie aber dennoch auf die Ermittlungen an und stellt ihnen dabei die unerfahrene Polizei-Praktikantin Johanna Grewel (Alina Levshin) zur Seite. Der ans Krankenbett gefesselte Darschner weist die Beteiligung an allen Morden zurück – und schnell verdichten sich die Hinweise, dass der Täter auch aus dem direkten Umfeld der offenbar in Saus und Braus lebenden ermordeten Studentin stammen könnte...

    Die Dialoge sind hölzerner als eine finnische Sauna, die Inszenierung unbeholfen und die begleitende Filmmusik stellenweise so kitschig, dass sich der Zuschauer vorkommt, als habe er versehentlich eine der parallel zum „Tatort“ laufenden ZDF-Schmonzetten von Rosamunde Pilcher & Co. eingeschaltet: Die leinwanderprobten Jungschauspieler Friedrich Mücke („Russendisko“), Benjamin Kramme („13 Semester“) und Alina Levshin („Kriegerin“) können einem fast leidtun. Regisseur und Drehbuchautor Thomas Bohn, der bereits zum 17. Mal für den „Tatort“ am Ruder sitzt, nötigt sie im Minutentakt zu vermeintlich hippen, aber einfach nur nervtötenden Anglizismen wie „So what?“ oder „Fuck ‚n‘ Go“, lässt die Kommissare literweise Energydrinks saufen, Kollegen mit „Alter!“ ansprechen und pseudo-tiefsinnige Resümees ziehen, während Praktikantin Grewel Kommentare abgeben muss, die an Klugscheißerei kaum zu überbieten sind. Die offenbar gezielt für das junge Publikum entworfenen Erfurter Figuren erinnern stark an die Ruhrpott-Kollegen Daniel Kossik (Stefan Konarske) und Nora Dalay (Aylin Tezel), die in den umstrittenen ersten beiden Dortmunder „Tatort“-Folgen „Alter Ego“ und „Mein Revier“ weniger durch wertvolle Beiträge zu den Ermittlungen, sondern vor allem durch seichtes „GZSZ“-Gehabe und ein tempofreies Techtelmechtel in Erscheinung traten.

    Dem 885. „Tatort“ mangelt es aber nicht nur an glaubwürdigen Ermittlern, sondern auch an einem guten Drehbuch, einer spannenden Inszenierung und Thüringer Lokalkolorit – für eine Kleinstadt wie Erfurt gleich doppelt wichtig, wenn sie sich in der immer unübersichtlicheren „Tatort“-Landschaft dauerhaft  als eigenständige Produktion behaupten will. Außer ein paar Szenen auf dem Gelände der Universität und einer Dialekt sprechenden Kollegin von der Spurensicherung ist von Land und Leuten wenig zu spüren – stattdessen hat die Requisite einfach ein bisschen im Fanshop von Rot-Weiß Erfurt eingekauft. In Studenten-Spinden baumeln einsame RWE-Wimpel, während Fußballfan Schaffert – auch das verbindet ihn mit dem Dortmunder Kollegen Kossik, dessen Herz für den BVB schlägt – aus Kaffeetassen mit Vereinslogo trinkt und bei der Diskussion der aktuellen Ermittlungen im Präsidium mit einem autogrammverzierten Fußball herumspielt. Auch Funcks müder Currywurst-Flirt mit der hübschen Valerie (Karoline Schuch, „Hannas Reise“) gerät dank himmelschreiend einfallsloser Standardfloskeln, entsetzlich konstruierter Spontanromantik und vollkommen witzfreien Neckereien zur ärgerlichen Geduldsprobe. Überhaupt kauft man Mücke, der mit seinen schauspielerischen Qualitäten gegenüber dem verkorksten Drehbuch auf verlorenem Posten steht, seinen harten Jung-Cop mit weichem Kern zu keinem Zeitpunkt des Films ab.

    Auch von den Nebendarstellern kann sich niemand in den Vordergrund spielen: Kriminaldirektorin und Muttertier Fritzenberger (Kirsten Block) zeigt für die kleineren Eskapaden ihrer Jungkommissare, die stark an die in den späten 90er Jahren auf RTL ermittelnden „SK-Babies“ erinnern, Verständnis und nervt schon bei ihren ersten Sätzen, als sie Schaffert und Funck im Präsidium die Leviten liest. Außer Seiberts Mitbewohnerin Lisa Kranz (ein Lichtblick: Henriette Confurius) bekommt keine der tatverdächtigen Figuren Raum zur Entfaltung, auch „SOKO Stuttgart“-Darsteller Karl Kranzkowski („Der Untergang“) ist in seiner Rolle als Professor, der seine an den Rollstuhl gefesselte Frau mit jungen Studentinnen betrügt, jederzeit unterfordert. „Kalter Engel“ mangelt es aber auch einfach an einem interessanten Thema: Frauenmörder, die doch keine sind, eine betrogene Liebende, Medikamentenmissbrauch – das alles hat man im „Tatort“ schon um Längen spannender und authentischer gesehen. Da tröstet es wenig, dass sich zumindest Praktikantin Grewel im Verlauf der neunzig Minuten ein wenig von ihrem anfänglichen Klugscheißer-Image emanzipieren und am Ende einen wertvollen Beitrag zur Antwort auf die Täterfrage leisten darf.     

    Fazit: Das Debüt des jüngsten Ermittlerteams aller Zeiten geht vollkommen in die Hose – „Kalter Engel“ ist eine der schwächsten „Tatort“-Folgen des Jahres 2013.

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