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    The Strange Colour Of Your Body's Tears
    Kritik der FILMSTARTS-Redaktion
    4,5
    hervorragend
    The Strange Colour Of Your Body's Tears
    Von Gregor Torinus

    Im Jahre 2009 sorgte der Neo-Experimentalfilm „Amer“ für großes Aufsehen. Genau in jenem Jahr, in dem sich mit Dario Argento einer der ehemals größten Virtuosen der Horror-Spielart Giallo ausgerechnet mit einem programmatisch „Giallo“ betitelten filmischen Fehlgriff endgültig für die Rente empfahl, wirbelte das bis dahin recht unbekannte französisch-belgische Regieduo Hélène Cattet und Bruno Forzani gleich mit ihrem Debüt das gesamte Genre einmal komplett durcheinander und setzte es ganz neu zusammen: „Amer“ ist ein derart ikonografisch-fetischistisches audiovisuelles Ausnahmewerk, dass sich die Frage stellt, wie Cattet und Forzani dieses Niveau bei einem Nachfolger nur halten können sollen. Doch mit ihrem zweiten Spielfilm „The Strange Colour of Your Body's Tears“ knüpfen sie an den herausragenden Vorgänger an und liefern erneut eine einzige ungebremste Explosion der Kreativität.

    Der Telekommunikationsfachmann Dan Kristensen (Klaus Tange) kehrt von einer Dienstreise aus Frankfurt ins heimatliche Brüssel zurück. Zu seiner großen Überraschung ist sein Apartment von innen verschlossen; von seiner Frau fehlt jede Spur. Dan fragt im Haus herum, ob jemand etwas mitbekommen hat. Es zeigt sich, dass eine Nachbarin ihrerseits ihren Mann vermisst. Am nächsten Tag klopft ein Mann an Dans Tür, der sich als Kommissar Vincentelli (ebenfalls Klaus Tange) vorstellt...

    Der Vorgänger „Amer“ ist ein einziger visueller Rausch, in dem die markantesten Attribute des Giallo wie schwarze Handschuhe, Rasierklingen und in Close-Ups gefilmte weit aufgerissene Augen benutzt werden, um sich klassischer Narration komplett zu verweigern. Das Ergebnis ist ein Experimentalfilm, der ausschließlich über Bilder und Stimmungen funktioniert, das Erzählen einer Geschichte wird fast komplett ausgespart. Was jedoch an rudimentärer Handlung vorhanden ist, ergibt eher ein Drama über die seelischen Nöte der Protagonistin auf dem Weg ihrer Entwicklung vom Kind zur jungen Frau als genretypische Murder-Mystery-Unterhaltung. Dabei nahm das Regie-Duo in Kauf, dass Form und Inhalt nicht hundertprozentig zusammenpassten. Die Nähe zu den bekannten italienischen Vorbildern aus den 70er-Jahren wurde in „Amer“ unterstrichen durch einen Soundtrack, der ausnahmslos aus der Musik alter Gialli wie „Der Tod trägt schwarzes Leder“ bestand. In diesen Kontext wollte die erzählte Coming-of-Age-Geschichte sich nicht immer ganz einfügen.

    In „The Strange Colour of Your Body's Tears“ nähern sich Hélène Cattet und Bruno Forzani wieder mehr den Ursprüngen des Genres, transformieren es zugleich aber auch endgültig in etwas Anderes, etwas Neues, etwas Eigenes und Einzigartiges. Der Retro-Soundtrack aus „Amer“ wurde durch einen Originalsoundtrack ersetzt, der deutlich zurückhaltender und unaufdringlicher die Bilder untermalt. Deutlich gesteigert wird hingegen das unglaublich intensive hyperreale Sounddesign. Jedes Geräusch wird, wie unter einer akustischen Lupe verstärkt, dem Zuschauer überdeutlich ins Bewusstsein gebrannt. Ebenfalls erneut vorhanden sind die visuellen, stark fetischistischen Motive. Aber anstatt die klassischen Einstellungen des italienischen Genrefilms der 70er wie in „Amer“ lediglich in HD zu reproduzieren, dominiert in „The Strange Colour of Your Body's Tears“ die Leichtigkeit eines rein spielerischen cineastischen Experiments.

    „The Strange Colour of Your Body's Tears“ ist so ein einziger gewaltiger exzessiver Taumel aus weit aufgerissenen Augen, allen denkbaren und undenkbaren Variationen an Split-Screens, Rasierklingen auf Brustwarzen, wilden Kaleidoskop-Wirbeln, übergroßen Nahaufnahmen, knalligen Farben, elegantem Schwarz-Weiß, aufdringlicher Erotik, brutaler Gewalt, verqueren Schrägansichten, Bildern betörender Schönheit, prätentiösen Kameraspielen, nervenden Wiederholungen, einzigartigen Experimenten, atemberaubenden Schwenks und kunstvoll elaborierten Perspektivwechseln. Das ist Kino in Reinkultur: Nur noch die Bilder erzählen! Die letzten verbliebenen narrativen Schnipsel werden wie von einem Ventilator verwirbelt und zu immer neuen temporären Gebilden zusammensetzt, die schneller wieder eingerissen werden, als sie aufgebaut wurden.

    Wenn man dieses außergewöhnliche Werk tatsächlich mit anderen Filmen vergleichen will, bietet sich am ehesten das Bild einer Synthese aus Dario Argentos Giallo-Meisterwerk „Rosso – Farbe des Todes“ und aus David Lynchs Psycho-Noir „Lost Highway“ an. Allerdings wirkt selbst Lynchs äußerst kryptisches filmisches Rätsel im Vergleich zu „The Strange Colour of Your Body's Tears“ fast wie Hollywood-Mainstream-Kino. Wo sich bei Lynch alle Puzzleteile am Ende zu einer vielfältig interpretierbaren Geschichte zusammensetzen, nutzen Cattet und Forzani die wenigen Plotschnipsel vornehmlich um den Zuschauer immer wieder kräftig an der Nase herumzuführen. Am Ende ist die Story ohnehin sekundär, es zählen nur die Bilder in diesem wunderschön-wahnsinnigen Experimentalfilm auf LSD. Auf diese muss man sich einlassen, was ein Maximum an Konzentration verlangt, aber schlussendlich atemberaubend ist. Wer zu Beginn nicht dem Sog erliegt, wird sich allerdings durch die folgenden 100 Minuten quälen.

    Fazit: Mit „The Strange Colour of Your Body's Tears“ arrangieren Hélène Cattet und Bruno Forzani endgültig die Elemente klassischer Gialli zu einem komplett neuen, unglaublich schönen, unbeschreiblich faszinierenden, aber auch ungemein anstrengenden Bilder-Inferno, was Genre-Fans zu Recht als Instant-Klassiker feiern werden.

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