Über Jahrzehnte lieferte Sebastião Salgado mit seinen Schwarz-Weiß-Fotos erschütternde Dokumente aus den Krisen- und Elendsregionen der Welt. Mit Greisenmienen, obwohl oft noch im jugendlichen Alter, entkräftet und nicht selten mit einem zum Skelett abgemagerten Kind auf den Armen blickten die Menschen, die Salgado porträtierte, den Betrachter ernst und mahnend an. Nun widmet Wim Wenders mit „Das Salz der Erde“ dem Mann hinter den Bildern seinerseits ein Porträt in Form eines Dokumentarfilms. Als Co-Regisseur, allerdings mit weniger kreativem Anteil, wie er selbst in einem Gespräch durchblicken ließ, firmiert dabei Juliano Ribeiro Salgado, der Sohn des Fotografen. Behutsam, respektvoll und zurückhaltend nähern sich die zwei Regisseure dabei dem Künstler. Das Einvernehmen zwischen den Porträtisten und dem Porträtierten ist sogar so harmonisch, dass man sich bisweilen einen kritischen Unterton wünscht.
Mit einer blinden Tuareq-Frau, eingehüllt in ihre traditionelle Kleidung, begann Wenders´ Beschäftigung mit dem Werk Salgados. Er entdeckte das Bild, so erzählt der Regisseur aus dem Off, vor 25 Jahren in einer Galerie in Los Angeles, erwarb es, hängte es über den Schreibtisch und war fortan von Salgado fasziniert. Ein persönlicher Kontakt mit dem Fotografen kam erst viel später zustande. Anlässlich von dessen neuestem Projekt „Genesis“ über die Schönheit der Natur ergibt sich die Gelegenheit, zusammen mit Salgados Sohn Juliano den Meister bei der Arbeit zu beobachten und ihn gleichzeitig sein Leben berichten zu lassen. In Brasilien aufgewachsen, aber unter der Militärdiktatur der 1950er und 1960er Jahre mit seiner Frau zur Übersiedlung nach Europa gezwungen, strebt Salgado zunächst eine Karriere in der Wirtschaft an. Doch als seine wahre Berufung erweist sich die Fotografie und dank seiner Frau Lelia findet er dafür große Themen: die Folgen von Ausbeutung und Unterdrückung, Hungersnöten und militärischen Konflikten.
In Anlehnung an die Bibel sind mit dem Titel „Das Salz der Erde“ die Menschen auf diesem Planeten gemeint. Wie Salgado es gelingt, ihnen einen Teil der Würde zurückzuerstatten, die ihnen Katastrophen und Kriege geraubt haben, wird auf eindrucksvolle und vielleicht einzigartige Weise vermittelt. Wim Wenders hat dazu eine so genannte „Teleprompter-Dunkelkammer“ eingerichtet. Vor dunklem Hintergrund kommentiert Salgado seine Fotos, die er auf einem Bildschirm sieht. Hinter dem Bildschirm postiert, nimmt Wenders´ Kamera ihn dabei auf. So kann der Filmemacher Salgados Gesicht und imponierenden kahlen Schädel mit den Bildern verschmelzen lassen. Künstler und Werk spiegeln sich ineinander.
Salgados Fotos besitzen zweifellos auratische Kraft. Sie manifestiert sich darin, dass einerseits die gezeigte Not ebenso berührt wie aufgrund ihrer Ferne eine schnelle Abhilfe illusorisch erscheint, und andererseits die Notleidenden Gelegenheit haben, aus den Bildern heraus auf die zu blicken, die ihnen bisher nicht genug Aufmerksamkeit geschenkt haben. Deshalb aber auch dem Fotografen nur noch Bewunderung zu zollen, die insbesondere die überwiegend in leicht verschwommenem Videoformat gedrehten Aufnahmen des Sohnes bezeugen, greift aber insgesamt etwas zu kurz. „Das Salz der Erde“ ist so vor allem eine Eloge auf den Portraitierten. Welchen (menschlichen) Preis es aber hat, so großartige Bilder hervorzubringen, bleibt außen vor.
Wie schon in seinen Dokumentarfilmen „Buena Vista Social Club“ und „Pina - tanzt, tanzt sonst sind wir verloren“ vermeidet Wenders nämlich den Blick hinter die Kulissen künstlerischer Tätigkeit. Der Mensch Salgado wie auch seine fotografische Methode und Motivation bleiben so an interessanten Stellen außen vor. Julianos Gesicht ist unendlich traurig und Wenders selbst erwähnt die häufigen Abwesenheiten des Vaters in Julianos Kindheit. Weiter unter die Lupe genommen wird das Vater-Sohn-Verhältnis nicht – weder von Wenders noch vom Sohn selbst. Und was hat Sebastião Salgado denn über die Jahrzehnte immer wieder an die schrecklichsten Orte der Erde getrieben? Auch hierzu gibt es weder eine Frage noch eine Antwort, sondern es wird nur deutlich, dass der Fotograf irgendwann nicht mehr konnte: Seit dem hautnah erfahrenen Grauen des Völkermords von Ruanda änderte sich seine Arbeit. Er sucht nun Trost in ökologischen Projekten, fotografiert nun bevorzugt die Natur und Naturvölker.
Fazit: Die Hommage auf einen der größten zeitgenössischen Fotografen beeindruckt trotz des fehlenden Blickes auf den Mensch dahinter methodisch und stilistisch.