Auch nach dem Abgang von François Truffaut, Claude Sautet und zuletzt Eric Rohmer bleiben die französischen Filmemacher die Meister der großen Gefühle, die manchmal nur auf Nebengleisen ihrer Erfüllung zustreben können. Ein beeindruckendes Zeugnis dafür legt Regisseur Benoît Jacquot mit seinem hochpoetischen und gleichzeitig enorm alltäglichen Melodram „3 Herzen“ vor. Was technisch gesehen eine ménage à trois darstellt, erweist sich vor allem als eine Art Doppelporträt der Liebe: In der einen Erscheinungsform wird sie gelebt, in der anderen eher erträumt. Durch eine realistische Handlung im Dekor der oberen bürgerlichen Mittelschicht sind beide unauflöslich ineinander verschränkt.
Ein Mann mit Herzbeschwerden, den man später als den Steuerbeamten Marc (Benoît Poelvoorde) kennenlernt, verpasst auf Dienstreise in einem Provinzstädtchen den Zug. Eine Frau, die später als Antiquitätenhändlerin Sylvie (Charlotte Gainsbourg) vorgestellt wird, zeigt ihm ein Hotel. Beim Spazierengehen in der abendlichen Stadt verlieben sie sich ineinander. Sie wollen sich nächste Woche in Paris sehen. Aber auf dem Weg zum Treffpunkt hat Marc einen leichten Herzinfarkt. Sylvie ist bei seiner Ankunft schon weg. Enttäuscht ist sie mit ihrem Mann Christophe (Patrick Mille) in die USA aufgebrochen. Wieder in der Provinzstadt trifft Marc auf Sophie (Chiara Mastroianni). Sie verlieben sich ineinander. Sophie trennt sich von ihrem Freund (Cédric Vieira), zieht bei ihrer Mutter (Catherine Deneuve) aus und mit Marc zusammen. Sie wollen heiraten. Was der Zuschauer weiß, aber Marc erst schmerzlich herausfinden muss: Sylvie und Sophie sind Schwestern und einander das Wertvollste auf der Welt.
Wofür schlägt das Herz, wenn man verliebt ist? „3 Herzen“ liefert zwei, möglicherweise sogar drei Versionen einer Antwort. Ohne ihre Namen zu kennen, absolut spontan, überlassen sich Marc und Sylvie ihren Empfindungen. Das ist die Liebe als Abenteuerreise ins Unbekannte. Sophie hingegen trifft Marc im Finanzamt, er hilft ihr im Antiquitätenladen bei der Buchführung, für die vor ihrem Weggang Sylvie zuständig war, wird allmählich mit ihr vertraut, baut eine gemeinsame Existenz mit ihr auf. Das ist die Liebe als verlässlicher Grundton des Daseins. Und als drittes gibt es noch die Schwesternliebe, die zwischen Marc und Sylvie steht, als letztere aus Amerika zurückkehrt und die alte Leidenschaft eine neue Chance erhält.
Die eigentlich meist fragil wirkende Charlotte Gainsbourg („Nymphomaniac“) verkörpert Sylvie mit wilder Mähne unerhört feminin und wunderbar burschikos. Als sie erfährt, dass sie Marc an Sophie verloren hat, verfällt die eigentlich mutige und experimentierfreudige Sylvie in Traurigkeit und lehnt sogar das Kind ihrer Schwester ab. Die eigentlich ängstliche Sophie hingegen, die Chiara Mastroianni („Huhn mit Pflaumen“) hervorragend mit einer leicht weltfremden Damenhaftigkeit versieht, erscheint dank Marc plötzlich selbstbewusst. Marc aber, dem Benoît Poelvoorde („Mein liebster Alptraum“) eine fast schon zu demonstrative Durchschnittlichkeit gibt, hat seine Seelenruhe verloren.
Ganz allmählich holen die Forderungen der Liebe, zu der es nie kam, diejenigen der Liebe, die nun gelebt wird, ein. Was mit verfehlten Begegnungen und ausweichenden Blicken zwischen Marc und Sylvie wieder beginnt, mündet in kleine Fluchten abrupt gestillten Begehrens. Dem fügt Regisseur Jacquot genial-reine Phantasie-Momente der Wunscherfüllung hinzu, die dem Charakter der Beziehung vollendet entsprechen – und bei denen man fast darum flehen möchte, sie könnten in einer besseren Wirklichkeit Bestand haben.
Fazit: „3 Herzen“ besticht als starkes modernes Melodram. Der Liebe als Form bürgerlicher Existenz wie als unerhörtes Rumoren darunter wird gleichermaßen auf den Grund gesehen, nicht abstrakt, sondern mit Feingefühl, was unwiderstehlich bewegend ist.