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    Jackie - Wer braucht schon eine Mutter?
    Kritik der FILMSTARTS-Redaktion
    4,0
    stark
    Jackie - Wer braucht schon eine Mutter?
    Von Katharina Granzin

    Auch das Roadmovie ist dem Wandel der Zeiten unterworfen. Während zu „Easy Rider"-Zeiten das Unterwegssein auf Amerikas Straßen gleichbedeutend mit absoluter Unabhängigkeit war und der Rest der Welt einem am Hinterrad vorbeigehen konnte, ist man in Zeiten moderner Kommunikation auch „on the road" meist nicht sehr weit vom nächsten Sendemast entfernt und öfter erreichbar, als man sich wünschen würde. Und so gehören dann auch Handy und Laptop zu den wichtigsten Nebendarstellern im niederländischen Roadmovie „Jackie – Wer braucht schon eine Mutter", in dem die Schwestern Carice und Jelka van Houten Zwillinge spielen, die überraschend in die USA reisen müssen, um ihre unbekannte Leihmutter in eine Reha-Klinik zu transportieren. Die Befreiung von der Tyrannei der kleinen elektronischen Helfer wird zu einem nicht unwichtigen Teil der Handlung, die versiert zwischen Komödie und Drama pendelt und dabei viele große Momente hat. Eine hübsche Pointe übrigens, dass in diesem von der Niederländerin Antoinette Beumer („Loft - Liebe, Lust, Lügen") gedrehten Roadmovie ein Wohnmobil das Fortbewegungsmittel der Wahl ist.

    Die Zwillingsschwestern Sophie (Carice van Houten) und Daan (Jelka van Houten) könnten kaum unterschiedlicher sein. Während die ehrgeizige Sophie ihr Leben gänzlich der Karriere widmet, lebt die naiv-verpeilte Daan, die mit dem gutaussehenden Joost (Jeroen Spitzenberger) verheiratet ist, eher in den Tag hinein. Die Schwestern sind bei zwei Vätern aufgewachsen, einem schwulen Paar, das seinen Kinderwunsch 33 Jahre zuvor mit Hilfe einer amerikanischen Hippiefrau verwirklicht hat, die sich als Leihmutter zur Verfügung stellte. All die Jahre hat die Frau nichts von sich hören lassen, doch plötzlich erreicht die Schwestern in den Niederlanden ein Anruf aus den USA, dass ihre Mutter sich einen komplizierten Beinbruch zugezogen habe und jemand sie aus der Klinik abholen müsse. Das erste Zusammentreffen mit der verwahrlost wirkenden, starrköpfigen Jackie (Holly Hunter), die kein Wort mit ihnen spricht, ist wenig ermutigend. Doch während der Fahrt durch den Süden der USA, die kleinere Abenteuer unterschiedlicher Couleur bereithält, kommen die Schwestern sowohl einander als auch der fremden Mutter näher.

    In der Grundkonstellation ist „Jackie" in mancher Hinsicht das Gegenstück zu Lisa Cholodenkos oscarnominiertem Überraschungserfolg „The Kids Are All Rright" von 2010, doch geht dem niederländischem Leihmutter-Roadmovie die etwas zu kalkulierte Gefühligkeit der amerikanischen Samenspender-Familienkomödie ab. Auch „Jackie" zielt auf das Anstiften mehrgleisiger Gefühlsverwirrungen ab, doch wird hier mit den Emotionen der Zuschauer entschieden deutlicher Achterbahn gefahren. Immer wenn man gerade bereit ist, sich nachhaltig gerührt zu fühlen, folgt garantiert eine Szene, in der es einen eher schüttelt – häufig vor Lachen, manchmal auch vor Schreck. Am Ende des Films werden beide Schwestern sich aus den Sackgassen befreit haben, in die sie ihre Leben jeweils manövriert hatten, und das schicke Handy der blonden Daan wird in hohem Bogen einen Canyon hinabsegeln – eine hübsche kleine Hommage an „Thelma & Louise", die sich noch mitsamt Auto selbst hinabstürzen mussten. Überhaupt ist Ridley Scotts Klassiker ein großes Vorbild, doch verzichtet „Jackie" auf den Bonnie-und-Clyde-Handlungsstrang, der diesem seine selbstzerstörerische, tragische Dynamik gab.

    Antoinette Beumer und ihre Drehbuchautorinnen Marnie Blok („Simon") und Karen van Holst Pellekaan („Cool Kids Don't Cry") spielen virtuos auf der dramaturgischen Klaviatur zwischen Komödie und Drama, aber mit anderer Zielsetzung. Sophies und Daans Befreiung von überkommenen Erwartungshaltungen der Gesellschaft läuft auf ein Ende zu, das zwar ebenfalls nicht ohne Tragik ist, doch allein deswegen nachhaltig befriedigt, weil völlig andere Erwartungen erfüllt werden, als man am Anfang noch glauben durfte. Auch die Darstellerinnen machen „Jackie" zu einem Vergnügen, allen voran die unvergleichliche Holly Hunter in der Titelrolle. Die einst für ihre stumme Rolle in „Das Piano" mit dem Oscar gekürte Schauspielerin hat hier wieder einmal kaum Text, füllt aber ihre Rolle mit umso größerer Leinwandpräsenz. Carice („Game Of Thrones", „Black Book") und Jelka van Houten („Verführerisches Spiel") glänzen in ihren, ihnen auf den Leib geschriebenen Rollen. Jelka brilliert zusätzlich als Sängerin – unter anderem in einem charmantem Duett mit Country-Sänger Howe Gelb von der Band „Giant Sand", der vermutlich nicht seiner schauspielerischen, sondern seiner musikalischen Fähigkeiten wegen in einer Nebenrolle besetzt wurde.

    Fazit: „Jackie – Wer braucht schon eine Mutter" ist ein niederländisches Roadmovie in der Nachfolge von „Thelma & Louise", das eine dramaturgisch überzeugend geschriebene und inszenierte Achterbahnfahrt für familiäre und andere Gefühle bietet.

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