Gone Girl ist ein guter Film - die Kritik von Herrn Baumgardt kann ich aber in wenigstens einem entscheidenden Punkt, den überragenden Wendungen, nicht teilen und deswegen verfasse ich selber diese Kritik. Um meine Kritik an diesem Aspekt greifbarer zu machen, werde ich MASSIV spoilern müssen. Lesen Sie deshalb die Kritik bitte nur dann, wenn Sie den Film bereits gesehen haben oder es Ihnen nichts ausmacht, Entscheidendes vorab zu erfahren.
Vorab aber noch ein paar zustimmende Worte zu Herrn Baumgardts Kritik: Die durchaus knifflige Narrative des Buchs setzt Fincher souverän um, geradezu unspektakulär routiniert mag man fast sagen. Die Musik von Trent Reznor ist sehr atmosphärisch und passt in nahezu jedem Augenblick. Und die Darstellerriege ist absolut grandios. Vor allem Rosamund Pike und Carrie Coon stehlen Augenblick um Augenblick mit ihrem emotionalen und facettenreichen Mimenspiel. Erstere bewirbt sich damit ziemlich sicher für einen Academy Award.
So, nun aber zum Inhalt und damit zu SPOILERN:
Der große, große Twist in der Mitte des Films ist schlichtweg zu erahnen. Ein "Mordfall ohne Leiche" ist von vornherein immer etwas suspekt und die Darstellung von Ben Affleck bzw. seines Charakters lässt von vornherein kaum einen Zweifel daran, dass er unschuldig ist. Zu ahnungslos, zu unbeholfen und zu sehr mit Überraschtheit und Neugierde forscht er selbst nach dem Verbleib seiner Teuersten. Da der Film sich ansonsten aber auch nicht etwa wie Prisoners darum bemüht, andere Tatverdächtige zu ermitteln und einem stattdessen immer wieder diese von Amy initiierte Schnitzeljagd präsentiert, wird man doch praktisch auf den Moment gedrängt, in dem sich herausstellt, dass sie ihren Tod nur inszeniert hat. Die Hinweise liefern allzu offensichtlich Kompromittierendes über Ben Afflecks Charakter, das Verbrechen wirkt zu sehr durchplant und die schiere Abwesenheit an anderen Tatverdächtigen sorgt dafür, dass man diese Variante beinahe erwägen MUSS.
Das ist zugegebenermaßen eine Kritk, die man speziell dem Film anlasten muss, da das Buch Nick wesentlich ambivalenter darstellt und ihn weniger in die Opferrolle rückt.
Ab der Wendung, die zumindest durch das Ausmaß ihrer Kaltblütigkeit schockt, gesellen sich zu meinem Unmut auch noch diverse Schönheitsfehler, was die Logik des Streifens anbelangt. Amy verkauft dem FBI, dass Desi sie verschleppt habe in das Haus am See. Wie kann sie sicher sein, dass ein reicher (und dementsprechend vielleicht vielbeschäftigter Geschäftsmann) für den Zeitpunkt ihres Verschwindens kein Alibi hat? Warum hat ihn niemand gesehen? Wir erinnern uns: Der alte Nachbar sitzt schon morgens vor dem Haus und ruft sogar wegen der ausgesperrten Katze Nick an. Das Haus in dem Amy angeblich festgehalten wurde ist videoüberwacht. Zeigen die Aufnahmen dann nicht, wie sie freiwillig mit ihm das Haus betritt? Wochen später als sie behauptete? Man sieht schließlich, dass es auch eine Kamera am Parkplatz gibt. Wohin führt die Chose mit dem Tagebuch in diesem Fall? Wer soll es weshalb verbrannt haben? Wieso sollte Desi die Waffe, mit der er Amy niederschlug, am Tatort lassen? Diese und andere Fragen trüben das Gesamtbild und sorgen dafür, dass Amy nicht unfassbar klug und berechnend wirkt, sondern geben mir eher das Gefühl, sie profitiere davon, dass mit ihrem Fall vor allem ErmittlerInnen betraut waren, die ihren Job nicht besonders gut machen.
Im Schlussakt wartet man außerdem permanent darauf, dass die Geschichte den entscheidenden Haken schlägt und Amy vorführt. Ein Charakter, der sich zwei Filmstunden dagegen aufbäumt, zu unrecht beschuldigt zu werden und sogar einen Anwalt heuert, um seiner betrügerischen Gattin das Handwerk zu legen...So ein Charakter knickt auf den letzten Metern einfach ein, hat es den Anschein. Dabei beginnt er doch gut: Mit seinem kalkulierten Interview lockt er sie erfolgreich aus der Reserve - er kennt die Psyche seiner Frau und ihre Schwächen. Ich hätte es in diesem Sinne konsequent gefunden, wenn er sie zB im gemeinsamen Interview psychologisch in die Ecke getrieben hätte. ein wenig "Frost/Nixon". Geradezu schreiend angeboten hätte sich dazu auch die Figur "Amazing Amy", die möglicherweise als Idealfigur Druck ausübte, der der realen Amy letztendlich einen gehörigen Knacks verpasste. Diese Spur wird allerdings nie verfolgt und so sind die letzten 20 Minuten ein stetiger Abgesang auf den vorher so beherzten Nick Dunne. Man fragt sich mit dem Beginn der Credits ernsthaft, was für eine Schandtat dem armen Kerl zum 6. Hochzeitstag winkt.
Unter dem Etikett eines Thrillers - eines Thriller von David Fincher, der so auch Sieben inszenierte - erhoffte ich mir eine abschließende Wendung, einen dramatischen Höhepunkt irgendetwas anderes als das, was ich bekam: Eine konsequente "Femme-fatale-Erfolgsstory" ohne erkennbares Wenn&aber.
Herr Baumgardt nennt viele Stärken des Films, die auch ich sehe und bei denen ich ihm zustimmen würde. Darunter auch die Auslegung als Medienkritik und zynische Dekonstruktion der Ehe.
Aber um eine derartig ungetrübte Lobeshymne auf den Film zu singen, hat mir "Gone Girl" zu viele Schönheitsfehler und lässt das gewisse Etwas vermissen.