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    Ralph reichts 2: Chaos im Netz
    Kritik der FILMSTARTS-Redaktion
    4,5
    hervorragend
    Ralph reichts 2: Chaos im Netz

    Die Prinzessinnen rocken!

    Von Christoph Petersen

    Nachdem Walt Disney Animation in „Ralph reichts“ die Welt klassischer Arcade-Videospiele zu einem ebenso kurzweiligen wie berührenden Animations-Abenteuer mit wahren Heerschaaren bekannter und unbekannter Computerspielfiguren verwurschtelt hat, stellen sich die Regisseure Phil Johnston und Rich Moore in der Fortsetzung nun sogar einer noch viel größeren Herausforderung: „Ralph reichts 2: Chaos im Netz“ presst die ganze Bandbreite des Internets von viralen Videos bis zu aufdringlichen Pop-ups, von freundlichen Likes bis zu fiesen Kommentaren, von Auktionshäusern bis zu Suchmaschinen in 112 unfassbar unterhaltsame Minuten – und das auf eine unendlich clevere Weise, die das tragische Scheitern von „Emoji – Der Film“ im Nachhinein nur noch so viel trauriger erscheinen lässt. Mit „Die Unglaublichen 2“ und jetzt „Ralph reichts 2“ ist Disney/Pixar in diesem Jahr einen Fortsetzungs-Doppelschlag gelungen, der alle anderen Animationsstudios wie Vanellope ihre „Sugar Rush“-Kontrahentinnen chancenlos in einer Staubwolke weit abgeschlagen zurücklässt.

    Videospielfigur Randale-Ralph (Stimme im Original: John C. Reilly) will seiner besten Freundin, der Arcade-Rennfahrerin Vanellope von Schweetz (Sarah Silverman), nur einen Gefallen tun, als er extra für sie in ihrem Automatenspiel „Sugar Rush“ eine neue Rennstrecke anlegt. Dummerweise endet die gutgemeinte Tat mit einem gebrochenen Lenkrad. Nun bleiben nur noch wenige Tage, bis Mr. Litwak (Ed O’Neill) den Automaten für immer ausstöpselt. Aber zum Glück hat der Spielhallen-Betreiber erst vor kurzem einen Wifi-Router installiert – und so machen sich die besten Freunde auf in die Weiten des WWW, um dort ein neues Lenkrad aufzustöbern. Tatsächlich werden sie bei eBay fündig, allerdings verstehen sie das Konzept der Auktionsplattform nicht, weshalb sie einfach immer höhere Summen rausschreien, bis sie schließlich für 27.001 Dollar den Zuschlag erhalten. Natürlich haben Ralph und Vanellope nicht so viel Geld (geschweige denn überhaupt welches) und ihn bleiben nur 24 Stunden, um es irgendwo im Internet aufzutreiben und so die Annullierung der Auktion zu verhindern...

    Die Liste der cleveren Ideen, mit denen die „Ralph reichts 2“-Macher die positiven wie negativen Eigenheiten des Internets in ihrer Animationsfilm-Wunderwelt zum Leben erwecken, ist schier endlos. Beim ersten Mal Angucken bekommt man davon wahrscheinlich nur einen Bruchteil mit und trotzdem ist mein Notizblock nach der Pressevorstellung randvoll geschrieben mit solchen kreativen Details, von denen ich an dieser Stelle aber nur ein einzelnes stellvertretend verraten will, um euch nicht den Spaß zu nehmen, sie selbst alle auf der Leinwand zu entdecken: Wenn der Videoportal-Algorithmus Yesss (Taraji P. Henson) auf den letzten Drücker noch schnell ein paar Millionen Views generieren muss, schickt sie eine Art Drückerkolonnen-Armee los, um Besucher anderer Webseiten abzuwerben. Und was sind das wohl für Verkäufer-Soldaten, die einen so lange nerven, bis man sich die Videos ansieht, ob man nun will oder nicht? Genau, Pop-ups! Perfekt getroffen.

    Und dass nach den etlichen originalen Videospielfiguren im ersten Teil diesmal jede Menge reale Internetportale mitsamt ihren Logos im Film vorkommen, trägt ungemein zum Wiedererkennungswert bei: Obwohl das Abenteuer in einem abstrakten Cartoon-Universum spielt, wird man quasi im Sekundentakt an sein tagtägliches Onlineverhalten erinnert. Und mitunter fühlt man sich womöglich sogar ein wenig ertappt, schließlich bewegen sich die Avatare der Internetnutzer die meiste Zeit über wie willenlose Massen durch die von Marken-Logos geprägte Welt von „Chaos im Netz“. Sowieso spart der Film auch die unschönen Seiten des Internets nicht aus – und damit ist nicht nur so etwas Technisches wie ein alles zerstörender Virus gemeint, sondern auch ganz simple, aber tief verletzende Hasskommentare, mit denen sich der zwar viral steilgehende, aber dennoch sehr sensible Ralph plötzlich auseinandersetzen muss.

    Ganz klar im Zentrum steht aber natürlich weiterhin der Spaß – und so laut gelacht wie bei der zu gleichen Teilen niedlichen wie bösen Mobile-Game-Mid-Credit-Sequenz aus „Chaos im Netz“ (Sichwort: „platzendes Häschen“) haben wir schon eine gefühlte Ewigkeit nicht mehr. Aber nicht nur die Pointen sitzen sicher, auch in Sachen Action hat „Ralph reichts 2“ eine Menge zu bieten. Ein größerer Teil des Sequels spielt nämlich in dem Rennspiel „Slaughter Race“, das sicher nicht von ungefähr eine Menge Parallelen zu „GTA“ aufweist und zudem mit dem wohl großartigsten Hai-Cameo aller Zeiten aufwartet. Die zentrale Verfolgungsjagd kann es dabei zwar nicht ganz mit der ähnlich gelagerten VR-Rennsequenz aus Steven Spielbergs „Ready Player One“ aufnehmen, kommt aber zumindest erstaunlich nahe dran. Und nachdem sich Vanellope ja schon im ersten Teil als bisher wohl eigenwilligste Disney-Prinzessin erwiesen hat, setzt sie diesen Weg nun unbeirrt fort, wenn sie die süßlich-bunte Welt von „Sugar Rush“ endgültig hinter sich lassen will, um fortan in der abgefuckt-dreckigen, erbarmungslos-tödlichen Welt von „Slaughter Race“ das Gaspedal durchzutreten.

    Apropos moderne Royals: Nachdem die Disney-Verantwortlichen das Vermächtnis ihrer legendären Animationsfilm-Prinzessinnen von Schneewittchen und Cinderella über Arielle und Pocahontas bis hin zu Tiana und Merida über Jahrzehnte hinweg gehütet haben wie ihren Augapfel, ist mit „Ralph reichts 2“ endlich der Zeitpunkt bekommen, um der eigenen Studiohistorie auch mal mit einer gesunden Portion Selbstironie zu begegnen. Die Sequenz, in der Vanellope auf einer Disney-Fanpage auf all die anderen Prinzessinnen trifft, hat im Vorfeld des Kinostarts den Rest des Films fast schon ein wenig überschattet. Aber man reibt sich im ersten Moment eben auch erst mal ungläubig die Augen, wenn Disney hier seine ikonischen und immer auf ein Podest gestellten Figuren erst einmal anständig durch den Kakao zieht – und das nicht mit irgendwelchen Gags, sondern mit welchen, die auch das eigene, über Dekaden hinweg wohlgepflegte Frauenbild scharf kritisieren. Natürlich steckt dahinter auch ein Stück weit Kalkül. Schließlich muss Disney seine wichtigsten Figuren irgendwann fit fürs neue Jahrtausend machen, statt sie weiterhin in der Vor-#MeToo-Ära veröden zu lassen. Aber berechnend hin oder her – der selbstentlarvende und zugleich ermächtigende Auftritt der Prinzessinnen ist so oder so entwaffnend komisch.

    „Ralph reichts“ ist ein leuchtendes Beispiel für die alte Walt-Disney-Weisheit, dass es in einem guten Film für jedes Lachen auch eine Träne geben sollte. In „Chaos im Netz“ dauert es diesmal allerdings sehr viel länger, bis der Film nicht nur unterhält, sondern auch berührt – eine stärkere emotionale Komponente kommt nämlich erst im finalen Drittel dazu, während zuvor eher die WWW-Entdeckungsreise als die Figuren im Mittelpunkt stehen. Allerdings funktioniert der zentrale Konflikt zwischen Penelope und Ralph dann auch wirklich gut – und die Moral von der Geschicht‘ wirkt dann auch nicht wie eine der guten alten Disney-Weisheiten, sondern der Protagonistin angemessen erstaunlich modern, relevant und ambivalent. Mit „Ralph reichts 2“ scheint nun auch Disneys Animationsabteilung endgültig im neuen Millennium angekommen zu sein. Herzlich willkommen!

    Fazit: „Ralph reichts 2: Chaos im Netz“ ist einer der cleversten Filme, die jemals animiert wurden – und zum Schreien komisch ist er noch dazu!

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