Wenn es in Rupert Everetts Oscar-Wilde-Biopic „The Happy Prince“ auf das Ende zugeht, legt der Regisseur, Drehbuchautor und Hauptdarsteller den herzzerreißenden Finalsatz aus Peter Tschaikowskys Sinfonie Nr. 6 in h-moll über die Bilder. Das Adagio lamentoso, dem die Sinfonie ihren Beinamen „Pathétique“ verdankt, wird hier zum extrem langsam interpretierten Klagegesang für den ruiniert verstorbenen Literaten ganz wie es einst zum Abschiedsgruß des kurz nach Fertigstellung des Meisterwerks verstorbenen Komponisten selbst wurde. Und wenn die Musik uns über den Abspann aus dem Film hinausbegleitet. eröffnen sich weitere Assoziationsfelder, denn so wie Oscar Wilde wegen seiner Homosexualität erst im Gefängnis und dann im Exil landete, so konnte auch Tschaikowsky zur fast gleichen Zeit im Zarenreich seine schwulen Neigungen nicht offen ausleben. Dieses ungemein wirkungsvolle Ende ist das Ende eines großen Melodrams, einer raffinierten Gefühlsorgie im Geiste der Spätromantik – nur ist der Film davor alles andere als das.
1897. Der Schriftsteller Oscar Wilde (Rupert Everett) wird nach Haft und Zwangsarbeit aus dem Gefängnis freigelassen, aber der einst gefeierte Künstler, dem seine Homosexualität zum Verhängnis wurde, bleibt auch nach der Entlassung ein Geächteter und flüchtet ins Pariser Exil. Dort betäubt er seinen Schmerz mit rauschenden Festen, aber seinen extravaganten Lebensstil kann er sich eigentlich schon lange nicht mehr leisten. Gegen den Rat seiner Freunde Reggie Turner (Colin Firth) und Robbie Ross (Edwin Thomas) lässt er sich von seinem jungen Geliebten Lord Alfred Douglas (Colin Morgan), den alle nur Bosie nennen, überreden, mit ihm für einen längeren Aufenthalt nach Neapel zu fahren. Doch Bosie ist nicht so reich begütert wie er vorgibt und außerdem stellt auch Oscars Ehefrau Constance (Emily Watson), die mit den beiden gemeinsamen Söhnen im fernen Heidelberg lebt, ihre finanziellen Zuwendungen ein. Wilde steht vor den Trümmern seiner Beziehung zu Bosie und vor dem endgültigen Ruin…
Rupert Everett beginnt seine erste Arbeit als Filmregisseur recht überraschend: In zwei Texttafeln informiert er uns über Oscar Wildes Verurteilung wegen „Unzucht“ sowie seine Beziehung zu Bosie. Diese Art von Zusammenfassung steht sonst eher am Ende von Filmen (auch hier gibt es so etwas da dann auch wieder) und dass es nach diesem etwas unvermittelten Einstieg dann tatsächlich fast ausschließlich um den sozialen Abstieg des einstigen literarischen Weltstars und seine schwierigen letzten Lebensjahre im Exil geht, mag man bedauern. Die besseren Zeiten bleiben abgesehen von einigen fast schon unwirklichen Rückblenden ausgeblendet. Durch diese Beschränkung bekommt der Film einen melancholischen Charakter, der durch Everetts Darstellung des Künstlers noch verstärkt wird.
Der Regisseur und Hauptdarsteller ist ein Spezialist für die Werke und das Leben des irischen Autors von „Das Bildnis des Dorian Gray“ und „Salome“. So war Everett nicht nur in den Wilde-Verfilmungen „Ein perfekter Ehemann“ und „Ernst sein ist alles“ zu sehen, sondern stand auch schon als der Künstler selbst auf der Londoner Bühne. Hier knüpft er daran an und kombiniert den sardonischen Witz des Schriftstellers (an Bonmots gibt es keinen Mangel) mit einer Mischung aus trotziger Realitätsverweigerung und fatalistischer Klarsicht. Auch ohne dass wir die großen Jahre des Genies sehen, wird die besondere Aura des Mannes lebendig – und zugleich ist er ein armes Würstchen. Denn bei aller Intelligenz hat er sich in den echten Langweiler Bosie verliebt, der sich mit dem treuen Robbie Ross um die Gunst des Autors zankt, dem unterdessen kein vernünftiger Satz mehr von der Feder fließt.
Als fiebriges Porträts eines Ausgestoßenen ist „The Happy Prince“ durchaus gelungen und auch die Ausschmückung der historischen Umstände (und Kostüme und Frisuren) sorgt für sehenswerte Szenen. Bei einer kuriosen „Reise nach Jerusalem“ nur unter Männern etwa wird fast das ganze Spektrum vom Akzeptierten bis zum Tabuisierten durchexerziert und mit doppeltem Boden versehen. Wenn die Musik stoppt, wird nicht nur um die freien Stühle gerungen, man muss auch seine Kleidung nach und nach ablegen. Als eine italienische Mama das frivole Spielchen stürmt, weil sie ihren Sohnemann der Untreue verdächtigt, erwischt sie ihn splitternackt in den Armen eines anderen, lässt sich aber trotzdem dadurch beruhigen, dass ja gar keine Frauen da seien…
Sowohl der ironische Doppelsinn solcher Momente als auch die selbst fast schon märchenhafte Entrücktheit der den Film einrahmenden kurzen Szenen, in denen Wilde seinen Kindern sein Märchen „Der glückliche Prinz“ vorliest, fehlen allerdings dem eigentlichen dramatischen Kern der Erzählung: Denn im Grunde ist „The Happy Prince“ eine ganz klassische Liebesdreiecksgeschichte mit allem, was dazugehört. Aber gerade dieses Zentrum bleibt seltsam farb- und leblos und damit unemotional, was zu nicht unerheblichen Teilen an der farb- und leblosen Art liegt, mit der die beiden jungen Männer porträtiert werden, die um den spitzzüngigen Protagonisten konkurrieren. Es mag historisch korrekt sein, dass Bosie ein uninteressanter Opportunist war und Robbie ein allzu braver Ja-Sager, aber ein dramatische Funken schlagender Konflikt ergibt sich daraus nicht, eher so etwas wie eine Seifenoper ohne Überschwang.
Fazit: Rupert Everett ist als Oscar Wilde voll in seinem Element, aber seine beiden für die Erzählung wichtigsten Mitstreiter sind nicht auf der Höhe.
Wir haben „The Happy Prince“ auf der Berlinale 2018 gesehen, wo der Film als Berlinale Special Gala gezeigt wird.