Man soll den Tag nicht vor dem Abend loben. Und Peter Jacksons Filme nicht vor der letzten Schnittfassung. Mit der Extended Edition von Der Hobbit - Die Schlacht der fünf Heere ist seine Mittelerde-Doppeltrilogie nun also endgültig vorbei. Zeit für ein Fazit. Oder die ultimative Kritik über drei Filme, die eigentlich einer sind.
Die Story ist bekannt: Der Hobbit Bilbo Beutlin lebt ein eigentlich friedliches Leben. Etwas aufregenderes als ein verspätetes Mittagessen kann er sich kaum vorstellen, weshalb sein Ruf bisher weitgehend unangetastet blieb. Eines Tages taucht der Zauberer Gandalf bei ihm auf und schlägt etwas unerhörtes vor: Bilbo soll bei einem Abenteuer mitmachen. Der Hobbit ist abgeneigt. Dreizehn Zwerge an seinem Abendbrottisch sorgen allerdings dann doch dafür, dass Bilbo sich schließlich mehr oder weniger freiwillig auf eine Reise macht, die nicht nur sein Leben für immer verändern wird.
Der Prolog zur Produktion: Eigentlich hatte sich Mittelerde-Zweitschöpfer Jackson schon nach seinem phänomenalen Herr der Ringe vorgenommen, nicht mehr dorthin zurückzukehren. Man müsse sich selbst übertreffen, die Erwartungen seien zu hoch und außerdem waren da ja noch die rechtlichen Differenzen zwischen diversen Filmstudios. Diese konnten glücklicherweise beseitigt werden und mit dem Fantasy-erfahrenen Mexikaner Guillermo Del Toro war bald ein geeigneter Regisseur gefunden. Leider verzögerte sich der Produktionsbeginn und Del Toro musste das Projekt verlassen, also übernahm der ohnehin als Produzent und Drehbuchautor beteiligte Neuseeländer das Ruder.
Der Filmreihe hat das weitgehend gut getan. Vieles, was man schon in der letzten Tolkien-Trilogie mochte, ist wieder einmal gut gelungen. Die Darsteller sind größtenteils hervorragend, das Design traumhaft, die Landschaften (echte und digitale) magisch, die Effekte überzeugend und die Musik unwiderstehlich. Es fällt auch von Anfang an nicht schwer, wieder in die längst Kult gewordene Welt einzutauchen und für jeweils knapp drei Stunden hemmungslos darin zu versinken. In diesem Umfang hat das noch kein anderer Film irgendeines Genres geschafft. Die meisten der neuen Figuren werden überaus gelungen porträtiert, gerade Rollen wie Balin, Gloin, Thranduil, Beorn, Bard, Radagast und natürlich Bilbo sind nahezu perfekt besetzt und fügen sich nahtlos in die Reihe der übrigen wiederkehrenden Helden ein.
Auch die Entscheidung, das relativ schmale Büchlein zu drei Filmen auszubauen, ist nicht so schlecht, wie es oft unterstellt wurde. Da sämtliche Drehbuchautoren bestens mit der Mythologie Mittelerdes vertraut sind und ohnehin noch die Verwertungsrechte des umfangreichen Anhangs von Der Herr der Ringe vorlagen, konnte noch manches ergänzt werden, das beim Lesen des Hobbits und einer allzu buchtreuen Filmfassung Fragen aufgeworfen hätte. Beispielsweise verlässt Gandalf im Buch die Reisegemeinschaft für längere Zeit und hüllt sich betreffs seiner Ziele in Schweigen. Das kann Verwirrung stiften, doch die Filme erklären, was im Sinne Tolkiens in dieser Zwischenzeit passiert. Außerdem wird die den dritten Film weitgehend beherrschende "Schlacht der fünf Heere" in der Vorlage nur sehr knapp beschrieben, während man im Kino wesentlich mehr davon sieht. Und das gerät ziemlich eindrucksvoll.
Gerade die auch vom Hobbit vorliegenden längeren "Extended Editions" enthalten noch einmal deutlich mehr Szenen, die weitere Aspekte der Handlung erklären und immer wieder mal mehr und mal weniger direkt die Brücke zum Buch schlagen. J.R.R. Tolkiens zuweilen ziemlich schelmischer Humor kommt hier mehr zum Tragen, aber auch die Tiefe der Mittelerde-Mythologie wird deutlich.
Gewöhnungsbedürftig ist in erster Linie die veränderte Ästhetik. In der Ring-Trilogie passten die auf analogem Film gedrehten Szenen mit ihren erdigen Farben hervorragend auf die große Leinwand. Von diesem Look wurde manches beibehalten, das Mittelerde des Hobbits ist im direkten Vergleich aber deutlich farbenfroher. Da fühlt man sich dann wieder daran erinnert, dass es sich ja eigentlich um ein Kinderbuch handelt und tatsächlich ist auch der erzählerische Tonfall vor allem im ersten Film ein recht heiterer. Nun ist Peter Jackson neben seinen unbestreitbaren Regiequalitäten auch ein Fan von komplexer Filmtechnik, weshalb alle Filme mit den neuesten verfügbaren digitalen Kameras in einer Auflösung gedreht wurden, die im Vergleich selbst hippe HD-DSLR-Spielereien lachhaft aussehen lassen. Die ebenfalls nicht unumstrittene doppelte Bildrate macht allein im Kino Sinn, wenn man den Film in 3D sieht. Hier handelt es sich um eine der seltenen Produktionen, die von diesem Effekt als künstlerisches Stilmittel Gebrauch macht. Da sind die 48 Bilder pro Sekunde durchaus sinnvoll, gerade Schwenks und Kranaufnahmen wirken so wunderbar glatt, als würde man mit den eigenen Augen durch ein Fenster auf Mittelerde sehen. Ohne die dritte Dimension erscheinen die Bewegungen allerdings wie in einer billigen Seifenoper und schaden dem Seherlebnis eher. Glücklicherweise wurden die Bilder für die Heimkino-Ausgaben auf eine ansprechende Bildrate heruntergerechnet.
Auch bei einigen Drehbuchideen muss man als erklärter Fan von Buch und Filmen stellenweise die Stirn runzeln. Die viel gescholtene Liebesbeziehung zwischen dem Zwerg Kili und der Elbin Tauriel gehört definitiv dazu. Da gibt es dann auch noch die oberpeinlich-süffisante Bemerkung, dass der Zwerg neben herkömmlichen Waffen "alles mögliche in der Hose haben" könnte. Dieses Niveau hat ein Peter Jackson eigentlich nicht nötig. Die angedeutete zarte, wenn auch nicht unbedingt tolkiensche, Zuneigung zwischen Gandalf und Galadriel gelingt schon eher, allerdings fragt man sich, was sie dann eigentlich noch für ihren Gemahl Celeborn empfindet, mit dem sie in Der Herr der Ringe schon ewig vermählt ist. Der die Zwerge verfolgende Ork Azog kommt zwar am Rande auch im Buch vor, wird im Film aber zum Hauptbösewicht ausgebaut. Das ist eine nette Idee, allerdings wirkt er wie einer der plattesten Filmbösewichte aller Zeiten. Ein eindimensionaler Haudrauf-Charakter ohne irgendwelche interessanten Seiten. Ganz anders der im zweiten und dritten Film auftretende Drache Smaug, der den Schatz der Zwerge geraubt hat und nicht hergeben will. Der von Sherlock-Star Benedict Cumberbatch gesprochene und per digitalem Motion-Capture-"Kostüm" zum Leben erweckte Feuerspeier ist der vermutlich gerissenste seiner Art, den man je zu sehen bekommen hat.
Andere Dinge sind Geschmackssache. Die zentrale Schlacht des letzten Films ist zwar ohne Zweifel die größte und epischste der bisherigen Mittelerde-Filme, gleichzeitig aber auch die verrückteste. Kampfwidder, Katapulte auf Trollrücken, ein scheinbar gewichtsloser Legolas und schwer gepanzerte Zwergen-Gladiator-Streitwagen mit Maschinengewehr-Pfeilschussanlage sind da nur der Anfang. Zur Atmosphäre des Abenteuerfilms passen viele dieser Einfälle ganz ausgezeichnet, aber die tragische Komponente, die einer der Gründe für das ganze Gemetzel ist, geht hier teilweise unter. Mit dem Tod einer gewissen zentralen Figur ist der Tonfall dann plötzlich wieder ernst und das regelrecht spaßige Orkschlachten wieder fast vergessen.
Durchweg gelungen ist allerdings so ziemlich alles, was mit dem titelgebenden Hobbit zu tun hat. Martin Freeman ist der beste Bilbo, den man sich für diese Filme wünschen könnte und bringt reichlich Humor, Unschuld und Neugier mit in diese gewaltige Welt. Die Mehrheit der durchaus vorhandenen direkt aus dem Buch übernommenen Szenen überzeugen darüber hinaus mit viel Genauigkeit, guter Inszenierung und einem hervorrragenden Gespür für das Werk Tolkiens. Philosophisch betrachtet ist Der Hobbit als Film ganz ähnlich wie das Leben an sich: schon für die richtig schönen Momente lohnt es sich dranzubleiben und Geduld zu haben. Vor allem langjährige Mittelerde-Fans sollten zumindest die Atmosphäre des Ganzen genießen können.
Die BluRay-Ausgaben der Kinofassung und die Extended Editions (dort sowohl DVD als auch BD) sind wie gewohnt mit Bonusmaterial vollgestopft, an dem man sich kaum sattsehen kann. Nur wenige Fragen bezüglich der vorgestellten Figuren und Völker von Mittelerde, Filmtechnik oder der Fertigung der unzähligen Kostüme, Requisiten und Sets bleiben hier offen. Selbst kritische Töne fehlen nicht. Peter Jackson gibt unumwunden zu, dass er nur sehr wenig Zeit hatte, um sich angemessen auf die Regie dieses Mammutprojektes vorzubereiten, was dem Film eben nicht nur gut getan hat. Besonders bewegend sind die Videos, in denen auf über fünfzehn Jahre Arbeit an den Filmen zurückgeblickt wird und die Würdigung des kurz vor der Fertigstellung der erweiterten Fassung verstorbenen Chefkameramanns Andrew Lesnie. Spätestens danach steht fest, dass diese Tolkien-Verfilmungen eben nicht noch ein weiteres überflüssiges Hollywood-Franchise darstellen, sondern etwas ganz besonderes.