Pennywise ist zurück!
Von Christoph PetersenNachdem bereits der erste Trailer für einen Weltrekord sorgte, avancierte „ES“ mit einem weltweiten Einspielergebnis von mehr als 700 Millionen Dollar (bei einem Budget von 35 Millionen) zum erfolgreichsten Horrorfilm aller Zeiten. Neben einer gerade im Horrorfach herausragenden Qualität (4,5 Sterne von FILMSTARTS) sowie einem punktgenauen Mitschwimmen auf der Nostalgiewelle hing der überragende Erfolg aber auch damit zusammen, dass sich Regisseur Andrés Muschietti und sein Drehbuchautor Gary Dauberman für „ES Kapitel 1“ genau den Teil aus Stephen Kings hochkomplex aufgebautem Megabestseller herausgepickt haben, der sich am leichtesten an ein breites Publikum bringen lässt. Denn während in der Vorlage ständig zwischen den Kämpfen der jugendlichen Verlierer und ihrer schwer traumatisierten Erwachsenen-Ichs drei Jahrzehnte später gegen Pennywise hin und her gesprungen wird, handelt der erste Kinofilm ganz geradlinig von der Auseinandersetzung der Kinder mit dem Clown. Das Ergebnis: Ein herausragend gut gemachter, aber im Vergleich zum Roman eben auch eher konventionell aufgebauter Horrorfilm.
Nun kennt wohl jeder den Moment, wo die (vergleichsweise) einfachen Aufgaben weggeschafft sind und plötzlich nur noch die ganz schweren Brocken vor einem liegen. So in etwa dürften sich auch Muschietti und Dauberman gefühlt haben, als sie mit der Arbeit am Skript zu „ES Kapitel 2“ begonnen haben. Schließlich sollte die Geschichte der erwachsenen Verlierer dramaturgisch nie für sich stehen, sondern war immer als Komplementärstück zu den Erlebnissen im Sommer vor 27 Jahren gedacht, um so die bleibenden Traumata (ohnehin eines der ganz zentralen Themen in Kings Gesamtwerk) einer solchen Schreckenserfahrung herauszuarbeiten. Aber das Erfolgsduo erweist sich auch dieser Herausforderung als gewachsen. Abgesehen von einigen kleineren Hängern im Mittelteil (das Sequel ist schließlich auch unglaubliche zwei Stunden und 45 Minuten lang) erweist sich „ES Kapitel 2“ erneut als handwerklich herausragendes, vor allem mit kreativen Kreaturendesigns und starken Schauspielleistungen begeisterndes Gruselkino, bei dem die Macher zudem von Anfang an geschickt mit der Frage kokettieren, ob sie das Originalende nun beibehalten oder vielleicht doch abändern werden.
Der Club der Verlierer 27 Jahre danach: Mike (Isaiah Mustafa), Richie (Bill Hader), Bill (James McAvoy), Beverly (Jessica Chastain) und Ben (Jay Ryan)
27 Jahre nachdem der Club der Verlierer über den Formwandler ES und seine Lieblingsgestalt Pennywise (Bill Skarsgård) triumphiert hat, wird die Kleinstadt Derry erneut von einer grausamen Mordserie erschüttert. Für Mike Hanlon (jung: Chosen Jacobs, erwachsen: Isaiah Mustafa), der inzwischen als Bibliothekar der Stadt tätig ist, steht sofort fest: Horror-Clown Pennywise ist wieder da! Also kontaktiert er die anderen Mitglieder des Clubs, um sie an ihren damaligen Schwur zu erinnern, wieder in Derry zusammenzukommen, sobald ES noch einmal zurückkehrt. Während Horrorautor Bill Denbrough (Jaeden Martell, James McAvoy), Stand-up-Komiker Richie Tozier (Finn Wolfhard, Bill Hader), der inzwischen schlanke Stararchitekt Ben Hanscom (Jeremy Ray Taylor, Jay Ryan) und Millionärsgattin Beverly Marsh (Sophia Lillis, Jessica Chastain) der Aufforderung folgen und in ihre Heimatstadt zurückkehren, verkraften es aber nicht alle erwachsenen Verlierer so gut, den Schrecken von damals potenziell noch ein weiteres Mal durchleben zu müssen ...
Schon nach der Eröffnungssequenz ist klar, dass „ES Kapitel 2“ der im Vergleich zum Vorgänger sehr viel düsterere Film wird. Aber das ist ja auch kein Wunder. Denn wo Pennywise im Jahr 1989 noch in ein (vermeintliches) Kleinstadtidyll hereinbricht, erweist er sich im Jahr 2016 nur als weiteres Symptom einer ohnehin von Traumata gebeutelten Welt. Dazu passend beginnt Muschietti seine Verfilmung mit dem Hassverbrechen an einem schwulen Paar, das zwar bereits im Roman eine zentrale Rolle spielt, in der Mini-Serie von 1989 aber ausgespart wurde. Dabei gerät die Brutalität, mit der die homophoben Angreifer (einer von ihnen ist noch ein Kind) auf ihre Opfer eintreten, derart intensiv, dass der kurz darauf folgende Moment, in dem Pennywise dem von der Brücke geworfenen Adrian Mellon (Queer-Cinema-Wunderknabe Xavier Dolan) in den Arm beißt, vergleichsweise harmlos wirkt. Ein grandioser Downer-Einstieg ...
... nach dem man sich sofort fragt, ob Muschietti bei der Zeichnung der Verlierer wohl genauso radikal weitermachen wird. Die Antwort lautet leider: nein. Trotz der stolzen Laufzeit wird sogar erstaunlich wenig Zeit darauf verwendet (selbst im Vergleich zur insgesamt ja viel kürzeren Mini-Serie), die erwachsengewordenen Protagonisten in ihrem neuen, noch immer von den damaligen Traumata geprägten Alltag zu zeigen. Das ist vor allem bei der Figur von Beverly Marsh sehr schade – denn wo die Beziehung zwischen ihr und ihrem Mann sowohl im Buch als auch in der 89er-Verfilmung auf verstörende Weise abgefuckt war, erweist sich ihr Ehemann nun in seiner einzigen kurzen Szene als Stereotyp des krankhaft eifersüchtigen Schlägers. Das ist funktionell, aber nicht sonderlich aufregend.
Pennywise (Bill Skarsgård) wütet wieder
Die knappe Einführung der erwachsenen Figuren ist zwar schade, aber für den weiteren Film zum Glück kein Problem. Muschietti hat schließlich auch abseits der beiden Stars James McAvoy („Glass“) und Jessica Chastain („Interstellar“) eine herausragende Gruppe von Schauspielern zur Verfügung, die nicht nur allesamt sehr passend zu ihren 27 Jahre jüngeren Ichs gecastet wurden (vor allem Teach Grant ist als inzwischen in der Psychiatrie einsitzender Henry Bowers einfach perfekt), sondern auch der psychologisch-dramatischen Ebene der Geschichte eine Gewichtigkeit verleihen, die man sonst im Mainstream-Horrorkino in den allermeisten Fällen vergeblich sucht. Vor allem das im ersten Teil etablierte Zusammengehörigkeitsgefühl der Verlierer spürt man auch beim ersten Treffen der Derry-Rückkehrer in einem chinesischen Restaurant sofort wieder (und das, obwohl sich die Zahl der Rückblenden gerade in Anbetracht der Beliebtheit der Kinderdarsteller doch in Grenzen halten). Allerdings ist es auch gerade wegen dieser sofortigen Verbundenheit so schade, dass der Romanplot die Gruppe sofort wieder auseinanderreißt ...
... schließlich muss sich jeder der Verlierer zunächst einmal seinen eigenen Dämonen der Vergangenheit stellen. Aber während im Roman zum Teil viele Seiten dazwischenliegen, weil die Geschichte eben zwischen Kindern und Erwachsenen hin und her springt, folgen die fünf Episoden in der neuen Verfilmung nun Schlag auf Schlag, was dramaturgisch durchaus ein wenig redundant anmutet, zumal die ganz klar stärkste Konfrontation (aus gutem Grund) nicht nur fast vollständig als erster Trailer verwendet wurde, sondern auch als eine der ersten im Film ist. Aber letztendlich stehen dann auch in diesem Abschnitt doch klar die Qualitäten im Vordergrund – und die sind überwiegend dieselben wie beim ersten Teil: grandiose Designs, starke inszenatorische Einfälle und Bill Skarsgård („Hemlock Grove“) als Pennywise.
Vor allem die Überblendungen zwischen den Zeitebenen oder den Figuren sind etwas für Kino-Feinschmecker – wie in einem Moment das Blut von einer anderen Figur an einem anderen Ort buchstäblich in die Albträume der erwachsenen Beverly Marsh hineintropfen oder sich die Kamera den Weg hinaus aus dem pechschwarzen Dunkel von unten durch ein fast vervollständigtes Puzzle bahnt, sind nur zwei Beispiele von etlichen inszenatorischen Leckerbissen. Noch viel auffälliger als solche zum Glück nie zum Selbstzweck verkommenden, sondern immer auf die psychische Situation der Protagonisten abgestimmten Spielereien sind aber natürlich auch diesmal wieder die Kreaturen-Designs. Denen merkt man zwar immer sofort die seit seinen Kurzfilm-Durchbruch „Mama“ gepflegte Handschrift von Muschietti an, sie fallen aber trotz ihres konsequent aufeinander abgestimmten Looks wieder erfreulich abwechslungsreich aus.
Einer der ersten Höhepunkte dabei ist gleich zu Beginn die China-Restaurant-Szene, in der sich ein Teller mit Glückskeksen als Brutstätte für allerlei zunächst köstlich absurde, aber dann doch zunehmend richtig ekelhafte und grauenerregende Kreaturen entpuppt: Wenn bei einem insektenartigen Wesen die feinbehaarten Beinchen an den Augen vorbei wie bei einer pervertierten Geburt aus den Augenhöhlen hervorgekrochen kommen, merkt man den Designern ihren höllischen Spaß am Horror an. Und den haben sie – sogar noch mehr als im ersten Teil – erneut mit den Erscheinungsformen von Pennywise. Der Horror-Clown ist diesmal nämlich nicht nur noch böser (ein kleines Mädchen bei einem Baseballspiel lockt er etwa in die Falle, indem er eiskalt ihre Selbstzweifel wegen eines vermeintlich entstellenden Feuermals ausnutzt), er taucht auch noch öfter auf – und zwar auch an einigen Stellen, an denen er weder im Roman noch im TV-Zweiteiler eine Rolle gespielt hat. Vor allem im Finale ist ein Zwitterdesign zwischen Buchtreue und eigener Vision der Filmemacher besonders gut gelungen. (Wobei die grauenerregendste Pennywise-Szene in „ES Kapitel 2“ erstaunlicherweise diejenige ist, in der man ihn zur Abwechslung mal ganz kurz ohne Make-up zu sehen bekommt.)
Der Club der Verlierer 1989: Ben (Jeremy Ray Taylor), Eddie (Jack Dylan Grazer), Beverly (Sophia Lillis), Stanley (Wyatt Oleff), Bill (Jaeden Martell), Richie (Finn Wolfhard) und Mike (Chosen Jacobs)
Und apropos Finale. Der erwachsene Bill Denbrough ist in „ES Kapitel 2“ ein erfolgreicher Horrorautor, der sich aber auch immer wieder anhören muss, dass seine Geschichten zwar großartig, seine pessimistischen Enden aber zugleich auch ziemlicher Mist seien. Sogar Stephen King selbst sagt ihm das bei seinem Cameo-Auftritt als Antiquitätenhändler geradeaus ins Gesicht – und könnte dabei natürlich genauso gut mit einem Spiegel sprechen, denn die Kritiken sind allesamt welche, die er sich auch selbst schon oft in seiner unvergleichlichen Karriere anhören müsste. Die augenzwinkernd-selbstreferenziellen Hinweise auf das Ende sind natürlich ein Spiel mit der Frage, ob dieses für die Verfilmung geändert wird. Das wollen wir natürlich nicht verraten, deshalb nur so viel: Wir sind mit dem Abschluss ebenso zufrieden wie mit dem Rest des Films – und wenn der Abspann rollt, mag man kaum glauben, dass das gerade tatsächlich 165 (!) Minuten gewesen sein sollen. Mit einem solchen sympathischen Haufen Verlierer vergeht die Zeit halt wie im Flug, Killer-Clown hin oder her.
Fazit: „ES Kapitel 2“ knüpft sich den im Vergleich zum Vorgänger sehr viel schwieriger zu verfilmenden Teil des Romans von Stephen King vor – und kann trotzdem auf (fast) ganzer Ebene überzeugen. Eine starke Fortsetzung mit einer angenehm ambivalenten, weil manchmal pessimistisch-abgründigen und manchmal optimistisch-anpackenden Atmosphäre irgendwo zwischen „Die Goonies“, „Stand By Me“ und einem Horror-Clown, der kleinen Kindern die Köpfe abbeißt.