„James Bond will return“. Das ist so sicher wie das Amen in der Kirche – seit 1962 ist darauf Verlass! Zum offiziell 24. Mal zieht der Geheimagent ihrer Majestät in Sam Mendes‘ bombastischem Action-Thriller „Spectre“ in den Kampf, um böse Schurken, die nach der Weltherrschaft greifen, aufzuhalten. Der überwältigende Erfolg des Vorgängers „Skyfall“ (weltweites Einspielergebnis: 1,1 Milliarde Dollar) ermöglichte ein Budget von 245 Millionen Dollar – und jeder Cent dieser gigantischen Summe ist auf der Leinwand sichtbar. Neben einem Feuerwerk an aufwändigen Actionsequenzen bietet „Spectre“ einen Daniel Craig in Bestform, knackig-scharfzüngige Dialoge und zynisch-spaßige Oneliner. Die Story allerdings bleibt episodenhaft und die beliebig wirkende Motivation des bösen Gegenspielers steht auf tönernen Füßen. Dennoch schließt sich mit „Spectre“ ein erzählerischer Kreis: Was in „Casino Royale“ begonnen und mit „Ein Quantum Trost“ fortgeführt wurde, was danach in „Skyfall“ einen emotionalen Höhepunkt fand, das wird mit „Spectre“ zu einem befriedigenden Ende gebracht. Dass der in seinen öffentlichen Auftritten ohnehin schwer amtsmüde wirkende Daniel Craig noch ein fünftes Mal als 007 vor die Kamera tritt, ist daher mehr als fraglich.
Der britische MI6-Geheimagent James Bond (Daniel Craig) richtet bei einer nicht autorisierten Solo-Mission in Mexiko-Stadt Chaos und Verwüstung an, als er den Schurken Marco Sciarra (Alessandro Cremona) tötet. Nach diversen diplomatischen Verwicklungen suspendiert Geheimdienst-Chef M (Ralph Fiennes) 007 vom Dienst, was den Agenten aber nicht davon abhält, seine Jagd nach Sciarras Hintermännern auf eigene Faust fortzusetzen. In Rom nimmt er sich Lucia (Monica Bellucci), die Witwe des Getöteten zur Brust, was ihn schließlich zu einem Treffen der Geheimorganisation Spectre führt. Deren mysteriöser Boss Franz Oberhauser (Christoph Waltz) ist ein alter Bekannter des Agenten. Im MI6 stehen unterdessen die Zeichen auf Umbruch. M wird von Max Denbigh (Andrew Scott), dem neuen Leiter des Centre for National Security, unter Druck gesetzt, das Doppelnull-Programm zu beenden und stattdessen auf den totalen Überwachungsstaat zu setzen. Bond führt seinen Feldzug davon ungerührt fort und gerät bald mit der Hilfe von Quartiermeister Q (Ben Whishaw) und Sekretärin Miss Moneypenny (Naomie Harris) an die Ärztin Madeleine Swann (Léa Seydoux), die Tochter seines Feindes Mr. White (Jesper Christensen). Sie soll ihn seinem Ziel näher bringen: Oberhauser aufzuspüren und zu töten.
Nach dem Mega-Erfolg von „Skyfall“ standen den Bond-Machern alle Möglichkeiten offen: Sie hätten die Gunst der Stunde durchaus nutzen können, um verrückte Ideen zu verfolgen oder ausgefallene Dinge auszuprobieren. Aber stattdessen scheuen Regisseur Sam Mendes („American Beauty“) und seine Mitstreiter das Risiko und bauen auf das klassische Höher-Schneller-Weiter-Prinzip. Hier wird geklotzt, als gäbe es kein Morgen (was zumindest für Mendes und Craig sogar wahrscheinlich zutrifft). Das Spektakel funktioniert über weite Strecken ganz prächtig und macht eine Menge Spaß. So ist die Eröffnungssequenz in den Straßen von Mexiko-Stadt während des Fests der Toten der bombastischste Auftakt, der bisher in einem Bond-Film zu sehen war: Tausende von Statisten, einstürzende Gebäude, ein Todeskampf im Hubschrauber – das ist einfach großes Kino. Von diesen gigantischen Actionnummern hat „Spectre“ gleich ein halbes Dutzend zu bieten. Ob zu Fuß, im Hubschrauber, im Flugzeug, im Sportflitzer oder im Zug, egal ob in Rom, im österreichischen Altaussee, im marokkanischen Tanger oder in London: Das Tempo ist immer hoch, die Schlagkraft der Action enorm und die wie immer rund um den Globus verstreuten Schauplätze stehen damit im doppelten Sinne für die beeindruckenden Schauwerte eines ganz und gar unbescheidenen Films.
Daniel Craig („Verblendung“) hat sich im Vorfeld von „Spectre“ teilweise sehr abfällig über die Figur des Doppelnullagenten geäußert, aber von dieser Unzufriedenheit ist auf der Leinwand nichts zu spüren. Im Gegenteil: Einmal mehr bietet der blonde Brite eine Top-Leistung, die Rolle ist ihm inzwischen in Fleisch und Blut übergegangen. Jede Geste und jeder Oneliner sitzt mit größter Selbstverständlichkeit – ganz wie zu Zeiten von Sean Connery und Roger Moore. Die mentalen Probleme aus „Skyfall“ werden nicht mehr thematisiert, Bond ist nun einfach ein kompromissloser und gefühlskalter Attentäter. Zugleich ist er aber auch ein Dinosaurier im modernen Geheimdienstbetrieb. Sein Typ ist beim neuen starken Mann im Hintergrund (aalglatt: „Sherlock“-Bösewicht Andrew Scott) nicht mehr gefragt: Die Zukunft gehört der Überwachungstechnik. Diese „Systemfrage“ gibt „Spectre“ erzählerische Zugkraft, zumal auch die Geheimorganisation Spectre nichts anderes betreibt als Denbigh (genannt C) und seine Leute – nur auf der anderen Seite des Gesetzes.
Mit dem zweifachen Oscarpreisträger Christoph Waltz („Inglourious Basterds“, „Django Unchained“) tritt ein hochdekorierter Schauspieler in die große Tradition der Bond-Bösewichte ein. Der schillernde Deutsch-Österreicher passt sich gut ein, launig wie eh und je pendelt er zwischen Genie und Wahnsinn. Die Motivation für die monströsen Pläne seiner Figur wirkt jedoch altbacken und an den Haaren herbeigezogen, nur durch Waltz‘ unwiderstehliches Charisma wird dieser seltsame Franz Oberhauser letztlich zu einem würdigen 007-Gegner. Die Frage, ob sich hinter ihm tatsächlich wie im Vorfeld vielfach vermutet der Erzbösewicht Ernst Stavro Blofeld verbirgt, der 007 bereits sieben Mal (das inoffizielle Sean-Connery-Comeback „Sag niemals nie“ mitgezählt) das Leben schwer machte, wird eindeutig beantwortet, sie ist aber für den Film selbst gar nicht so wichtig. Viel bedeutsamer ist der erzählerische Bogen, der in diesem Zusammenhang gespannt wird: Durch ihn werden alle bisherigen Craig-Bonds zu einer zusammenhängenden Tetralogie verknüpft.
In einem Interview nannte Daniel Craig seinen 007 durchaus nachvollziehbar einen Frauenhasser. In „Spectre“ ist davon wenig zu sehen, Bonds Geplänkel mit dem anderen Geschlecht wirken vor allem nebensächlicher als sonst: Stephanie Sigman („Miss Bala“) räkelt sich nur für einen kurzen Moment, auch Naomie Harris als Miss Moneypenny kommt der Agent kaum mehr als einen Augenblick näher, während er Monica Bellucci („Matrix Revolution“) immerhin fünf Minuten Aufmerksamkeit gönnt. Das zentrale „Bond-Girl“ ist die überzeugende Léa Sedoux („Blau ist eine warme Farbe“), deren Figur sich als einzige auf Augenhöhe mit Bond befindet. Auch durch die sehr braven Sex-Szenen ist der Aspekt „Bond und die Frauen“ in „Spectre“ allerdings nur Pflichtprogramm. Es gehört eben zu einem Bond-Film wie der Wodka Martini, die Gadgets, die schnellen Autos und der Titelsong. Der heißt hier „Writings On The Wall“, wird gesungen von Sam Smith (der für die Komposition angeblich nur 20 Minuten brauchte, was man ihr nach Meinung des Rezensenten auch anhört) und dürfte mehr als alles andere an „Spectre“ polarisieren. Immerhin punktet Ben Whishaw („Das Parfum“) als nerdiger Quartiermeister Q mit trockenen Sprüchen und Ralph Fiennes („Der englische Patient“) sammelt als M Sympathiepunkte, dazu stürzt sich Dave Bautista („Guardians Of The Galaxy“) als tumber Scherge Mr. Hinx in der Tradition des „Beißers“ Richard Kiel durchschlagskräftig in jeden Zweikampf.
Fazit: Sam Mendes‘ „Spectre“ ist ein erzählerisch etwas holpriger, aber höchst unterhaltsamer und überaus spektakulärer Agenten-Action-Thriller.