Immer häufiger heißt zu Beginn eines Films: „Basierend auf wahren Begebenheiten". Das will nicht viel heißen, schließlich formt jeder Film die Wirklichkeit mehr oder weniger stark um, ansonsten bräuchte man das Kino ja gar nicht mehr. Wenn sich jedoch die Macher einer Geistergeschichte auf wahre Begebenheiten berufen, ist das doch etwas Besonderes. Dabei geht Regisseur Pat Holden in seinem Horror-Drama „When The Lights Went Out" mit dem Spuk nicht anders um als die zahllosen Kollegen vor ihm. Mit einer sehr genauen Beobachtung der Spannungen und der Dynamik innerhalb familiärer Gemeinschaften und einer sorgfältigen Beschreibung des britischen Alltags im Angesicht von Ölkrise und Rezession Mitte der 70er Jahre zeigt er uns aber sehr wohl „wahr(haftig)e Begebenheiten".
Familie Maynard zieht in ihr Traumhaus in einer kleinen Gemeinde in Yorkshire. Tochter Sally (Tasha Connor) ist weder von dem Haus noch von der provinziellen Umgebung begeistert. Als die Lampe in ihrem Zimmer immer wieder ohne Grund zu schwingen beginnt, ist Sally verstört, als eine große Standuhr auf der Treppe sie beinahe erschlägt, ist sie entsetzt. Mutter Jenny (Kate Ashfield) tut derweil alles, um den Hausfrieden zu erhalten, denn obwohl Len (Steven Waddington) ein liebevoller Vater ist, weiß er manchmal keine andere Lösung, als seine Probleme im Pub zu ertränken.
1974 wurde Großbritannien von einer Serie von Stromausfällen heimgesucht, die eine wunderbare Basis für einen Horrorfilm abgeben. Mit den Konventionen des Genres, dem Wechsel von Licht und Schatten, den Schockmomenten und Ruhephasen spielt Holden allerdings auf recht herkömmliche Weise. Aber die Eingangsszene ist ein atmosphärisches Meisterstück: Zu unheimlich wabernden Chorälen bahnt sich die Kamera ihren Weg durch die Flure und Zimmer des leerstehenden Hauses – doch dieser subjektive Blick bricht abrupt und schockierend ab: Der Körper, dessen Blick der Zuschauer kurzfristig einnahm, baumelt erhängt an der Decke.
Die große Stärke des Films liegt weniger in den Gruselmomenten als in der differenzierten Zeichnung der Figuren. Während Sally allmählich zu einer ebenso einsamen Mitschülerin sowie zu einem vermutlich noch viel einsameren Geist Zuneigung entwickelt, lehnt Len die unerklärlichen Phänomene schroff ab - bis sie nicht mehr zu leugnen sind und sich in die ausweglos wirkende Situation noch seine Versagensangst als Vater und Ernährer mischt. Diese Verbindung von sozialem Realismus und Genrestoffen ist eine sympathische Spezialität des britischen Kinos, man denke nur an „Ganz oder gar nicht" oder an „Billy Elliot – I Will Dance". Gary Lewis, der dort Billys Vater spielte, hat hier einen eindrücklichen Auftritt als katholischer Priester, der mit kompromittierenden Fotos zu einem Exorzismus gezwungen wird. Im Finale artet „When The Lights Went Out" zwar in eine weitgehend sinnlose Fingerübung in Spezialeffekten aus, der Mittelweg zwischen Horror und sozialrealistischem Drama funktioniert bis dahin aber erstaunlich gut.
Fazit: Die Stärke von „When The Lights Went Out" liegt nicht unbedingt im originellen Erzeugen von Spannung oder Schockmomenten, sondern in der teilnahmsvollen und differenzierten Darstellung eines Alltags, in den das Unerklärliche einbricht.