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Anonymer User
5,0
Veröffentlicht am 20. Januar 2014
Auf anhieb einer meiner Lieblingsfilme geworden! Einfach aber auch einfach genial! Wie schön, dass ein so schwieriges Thema so leicht behandelt werden kann! Es geht nicht um Hetero- oder Homosexualität, es geht um Liebe.
Der tunesisch-französische Regisseur Abdellatif Kechiche und die beiden Hauptdarstellerinnen haben mit „Blau ist eine warme Farbe“, der dem Originaltitel nach das Leben der Adèle erzählt, die Goldene Palme in Cannes abgeräumt.
Adèle (Adèle Exarchopoulos) findet als Schülerin heraus, dass sie sich mehr zum weiblichen Geschlecht hingezogen fühlt. Sie verliebt sich in die angehende Kunstmalerin Emma, die anfangs blau gefärbte Haare trägt, älter und reifer ist. Emma ist auch mehr straight und dominant, während Adèle unsicher ist und sich in verschiedenen Situationen gerne durch Lügen retten möchte. Die beiden ziehen zusammen und erleben einen Lebensabschnitt voller Glück, das durch aufkommende Schwierigkeiten gebremst wird.
Eine aufkommende Liebe mit aufkommenden Problemen als Drama. Aha. Das ist eher die unneueste Idee, auch wenn Beziehungsgeschichten Homosexueller weit weniger auf der Leinwand erscheinen. Es kommt also sehr darauf an, mit welcher Intensität dargestellt wird und wer vor und hinter der Kamera steht. Kechiche hat sich 177 Minuten genommen, um die Darstellung eines einige Jahre dauernden Lebensabschnitts der Adèle dem Kinobesucher näher zu bringen. Es sind Zeitsprünge enthalten, die gut erkennbar gesetzt sind und den dazwischenliegenden Szenen noch mehr Raum geben. Insbesondere Freunde der Nahaufnahmen von Gesichtern kommen voll auf ihre Kosten, denn nicht nur Kameramann und Beleuchter, sondern auch die Schauspielerinnen geben unter der Führung des fordernden Regisseurs alles.
Adèle ist die schwierigere Rolle. Die erst 20 Jahre junge Schauspielerin mit gleichem Vornamen gibt der jungen, sensiblen Schülerin und späteren Lehrerin reichlich Ausdruck. Ihre Gesichter, die Neugier, Verlegenheit, Verliebtheit, Trieb und Enttäuschung in der Jugend und später zeigen, sind ablesbar und wirken echt. So durfte die Kamera für wirklich gelungene Aufnahmen oft näher an die liebende, lügende Heulsuse heran. Das Verhalten der Emma ist für den Film einfacher zu konstruieren. Die tatsächlich ältere und erfahrenere Schauspielerkollegin Léa Seydoux („Mission: Impossible – Phantom Protocol“, „Robin Hood“ von Ridley Scott, „Midnight in Paris“) macht es nicht minder gut als Adèle Exarchopoulos. Sie hat den etwas kleineren Anteil am Geschehen und zieht die gegenüber Adèle weiter entwickelte Emma kontinuierlich durch die stimmungsgeladene Handlung.
Kechiche hat den Schwerpunkt darauf gelegt, möglichst alles Gegebene äußerst ausgiebig mit Details zu füllen, um jeweils die Stimmung von Adèle einzufangen. Dadurch wird keine Langeweile, sondern Interesse an der Beobachtung und wegen der hervorragenden schauspielerischen Leistungen Glaubwürdigkeit erzeugt. Es wird das Familienleben beleuchtet, die Schule und hauptsächlich die Beziehung zu Emma und ihrem Umfeld mit allen Entwicklungen. Dazu gehört auch der Sex. Kechiche, der auch das Drehbuch mitgeschrieben hat, hat sich dazu entschieden, auch diese Szenen reichhaltig und realistisch auszugestalten, um den Rhythmus des Films nicht zu stören. Er hätte sie sicherlich weglassen und es bei den sanften Berührungen außerhalb des Schlafzimmers belassen können. Dass der Regisseur mit seiner Entscheidung auf Gegenstimmen stoßen musste, war klar. Aussagen, die auf Lachhaftigkeit, Rubbeldiekatz oder Pornografie lauten, wonach der Zuschauer zum Voyeurismus gezwungen werde, weil bestimmte Körperteile nicht hollywoodlike mit einem Unschuld heischenden Laken in schneeweiß bedeckt sind, zeugen vom stark unterschiedlichen Empfinden der Menschen bis zur Verklemmtheit; die Goldene Palme wurde übrigens von der renommierten Jury nicht als Trostpreis an die Hauptdarstellerinnen ausgegeben. Die gezeigten Bilder der Triebhaftigkeit einer jungen Liebe sind einfach nicht weniger intensiv als die vielen anderen. Dass Adèle Exarchopoulos sich später über die häufigen Wiederholungen bei den Dreharbeiten beschwerte, ist die andere Sache.
Einer der Zeitsprünge verschluckt leider das Wenigerwerden der Beziehung. Zwar wird ein Stimmungstief angedeutet, weil Adèle sich in Emmas Künstlerkreis nicht sonderlich wohl fühlt und Emma mit ihrer Ex-Freundin zusammenarbeitet, aber das Fehlen einiger Nuancen zwängt sich förmlich auf und ist der vorhergehenden Ausführlichkeit geschuldet (und vielleicht akuter Zeitnot).
Adèle wird mit den Jahren trotz Outfit und Frisur auf bieder äußerlich nicht älter oder erwachsen. Emma sagt: „Du siehst immer noch so jung aus…“. Und innerlich? Später behält eine gnadenlose Konsequenz die Oberhand in dieser eindrucksvoll erzählten Geschichte.
Ich habe erst im Nachhinein die Diskussionen zwischen den Schauspielern und dem Regisseur gelesen und ging daher unbelastet davon in die Vorstellung. Abdellatif Kechiche hat einen Film gemacht der uns die beiden Hauptdarstellerinnen sehr nahe bringt. Adèle Exarchopoulos und Léa Seydoux wurden von ihm gefordert wie wahrscheinlich selten Schauspieler für einen Film. Wir sehen eine Liebesgeschichte von Anfang bis Ende und das wird dargestellt mit einer Intensität, die über die Grenzen normaler Schauspielerei hinausgeht. Mir geht es dabei nicht um die dargestellten Sexszenen, die von beiden Schauspielerinnen sicherlich viel abverlangt haben, sondern wie alle Stationen einer Liebe gezeigt werden. Eine Liebe die mit einem Blick beginnt und schlussendlich im Streit und mit Verzweiflung endet. Großartig, wie diese Gefühlsregungen dargestellt und eingefangen werden. Es ist dabei egal ob es sich um homo- oder heterosexuelle Beziehung handelt, die gezeigten Erlebnisse, Probleme oder Verletzungen der Seele sind immer die gleichen. Die Leistungen der beiden Hauptdarstellerinnen und des Regisseurs sind jedenfalls zu Recht ausgezeichnet worden. Die danach gelesenen Statements von Adèle Exarchopoulos, Léa Seydoux und Adèle Exarchopoulos und sonstigen Beteilligten kann ich durchaus nachvollziehen, aber wie gesagt, es wurde viel gefordert und im Gegenzug viel gegeben. Kino wie es ein soll und das mir wieder mal zeigt, dass ein ausgezeichneter Film auch ohne zigmillionen Budget gemacht werden kann und vor allem Kino das berührt und einfängt.
Ich habe selten so eine grandiose schauspielerische Leistung gesehen wie die von Adèle Exarchopoulos in "Blau ist eine warme Farbe". Die Intensität der Szenen ist förmlich greifbar und das Zusammenspiel mit Léa Seydoux ist wahrlich bemerkenswert! Die Geschichte um eine junge Frau, die ihre Sexualität erforscht, ist denkbar einfach und doch so wunderbar erzählt, dass die 3 Stunden wie im Flug vorbei ziehen. Die Sexszenen sind provokant, aber gerade dadurch so emotional und "echt".
Insgesamt ein wirklich toller Film, den ich jedem ans Herz legen würde sich anzuschauen.