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    Heute bin ich blond
    Kritik der FILMSTARTS-Redaktion
    4,5
    hervorragend
    Heute bin ich blond
    Von Christoph Petersen

    Normalerweise ist von multiplen Persönlichkeiten nur im Zusammenhang mit schweren psychischen Störungen die Rede. Wenn man den Begriff etwas freier und weiter fasst, dann kann er jedoch auch etwas Heilsames und Befreiendes bezeichnen. So haben multiple Persönlichkeiten der niederländischen Autorin Sophie van der Stap bei der Überwindung ihres Krebsleidens geholfen. Selbst nachdem die Therapie ihr die Haare genommen hatte, wollte die junge Studentin ihr Leben nicht einfach auf Pause stellen. Sie besorgte sich verschiedene Perücken, die sie beim Ausgehen trug und für die sie sich jeweils eine eigene Persönlichkeit ausdachte. Niedergeschrieben hat sie ihre Erfahrungen noch im Krankenhaus zunächst in einem eigenen Blog, bevor sie diesen nach dem erfolgreichen Abschluss der Therapie zu dem Buch „Heute bin ich blond" (englischer Titel: „Girl with Nine Wigs") verarbeitete. Nun hat sich der deutsche Regisseur Marc Rothemund („Sophie Scholl", „Mann tut was Mann kann") des Bestsellers angenommen und ihn mit derselben sensiblen, aber deshalb nicht weniger frechen Art verfilmt, die auch schon seine Komödie „Groupies bleiben nicht zum Frühstück" auszeichnete. Das Ergebnis: ein tragikomischer Film, der Mut macht, ohne dass der Optimismus auch nur für eine Sekunde aufgesetzt wirkt!

    Eigentlich fehlt nur noch eine eigene Wohnung und es kann mit dem Studentenleben für die 21-jährige Sophie (Lisa Tomaschewsky) endlich losgehen. Doch dann die Schockdiagnose: Sophie hat einen Tumor an der Lunge. Überlebenschancen: weit weniger als 50 Prozent. Statt Vorlesungen und Partys bestimmen plötzlich Strahlentherapie und Krankenhausflure ihren Alltag. Aber das kann doch jetzt nicht alles gewesen sein, oder? Sophie rebelliert gegen den tristen Kliniktrott und beschließt, trotz Tumor ihre Träume zu leben: feiern, flirten, Sex – alles inklusive! Dabei helfen ihr ihre insgesamt neun Perücken, die sie sich nach und nach anschafft und für die sie jeweils eine eigene Persönlichkeit entwickelt: von der brünetten Stella, ein nettes Mädchen von nebenan, über die blonde Platina, die in wilden Partynächten jeden Kerl um den Finger wickeln kann, bis hin zur rosahaarigen Daisy, die über jeden noch so platten Spruch eines Typen lacht...

    Dass Sophie van der Staps Buch so unheimlich lebensecht wirkt, hat viel damit zu tun, dass es auf einem tagebuchartigen Blog beruht. Denn wer Tag für Tag schreibt, kann zwar seine Gefühle, Ängste und Beobachtungen niederschreiben, aber anders als in einer herkömmlichen Biografie noch keine Lehren ziehen. Bei dieser Art der Erzählung gibt es keine simple Moral von der Geschicht‘ – schließlich weiß der Autor selbst nicht, wie sie endet (und in diesem Fall noch nicht einmal, ob er sie überlebt). In den wenigen nicht positiven Internet-Kommentaren zum Buch findet sich deshalb immer wieder das Argument, dass Sophies Entscheidungen nicht nachvollziehbar seien. Diese Kritiker verstehen nicht, warum ihre Männerprobleme eine so große Rolle spielen, wo Sophie doch mit einer tödlichen Krankheit ringt.

    Aber gerade das ist die große Stärke des Buchs und nun auch des Films: Denn wenn eine 21-Jährige beschließt, den Krebs für ein paar Stunden Krebs sein zu lassen und stattdessen ihr eigenes Leben zu leben, dann lebt sie nun mal das Leben einer 21-Jährigen und mutiert nicht allein aufgrund ihrer Krankheit zur weisen Philosophin. Nur weil jemand Krebs hat, durchschaut er nicht plötzlich alle Bereiche des Lebens. Sophie feiert, leidet an Liebeskummer und macht all die Fehler, die junge Frauen in ihrem Alter nun einmal machen. Und Regisseur Marc Rothemund und seine (ebenfalls noch sehr junge) Drehbuchautorin Katharina Eyssen tun gut daran, ihre Protagonistin einfach alles machen zu lassen, ohne jemals mahnend den Zeigefinger zu erheben.

    Zur unerhörten Authentizität, die auch Sophies unbedingtem Lebenswillen einen viel stärkeren emotionalen Punch verleiht, trägt auch die Besetzung der Hauptrolle maßgeblich bei. Marc Rothemund hatte eine lange Liste an Anforderungen an seine zahlreichen Bewerberinnen. Sie mussten nicht nur sehr gut schauspielern können, zum Abschneiden ihrer Haare bereit sein und wie die reale Sophie van der Stap möglichst attraktiv aussehen, ihnen mussten auch alle Perücken stehen, ohne dass es nach Faschingsfeier aussieht (praktisch ein „Aschenputtel"-Casting also). Dass die neun Haarteile nun ausgerechnet Schauspiel-Newcomerin Lisa Tomaschewsky so gut standen (beim Dreh im Hamburger Schanzenviertel gab es etliche eindeutig zweideutige Angebote für das Ex-Model), ist für den Film ein Riesenglück. Tomaschewsky meistert nicht nur den Moment, in dem der lebensfrohen Beinahe-Studentin von einem Moment auf den nächsten der Teppich unter den Füßen weggezogen wird, mit Bravour, sie macht sich auch alle neun Perücken-Charaktere augenblicklich zu eigen.

    Fazit: Auch wenn man dem Tod natürlich den Mittelfinger entgegenstrecken darf, wirkt der Optimismus in Krebs-Komödien oftmals aufgesetzt. In „Heute bin ich blond" ist Sophies Lebensmut hingegen absolut glaubhaft und echt. Ein wahrhaftiges Meisterstück.

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