Jeffrey C. Chandor hat mit seinem ersten Langfilm „Der große Crash – Margin Call“ aufsehen erregt und für das selbstgeschriebene Drehbuch 2012 eine Oscar-Nominierung erhalten. Nun folgt „All Is Lost“ mit der Besonderheit, dass nur ein Schauspieler agiert.
Ein Mann auf hoher See (Robert Redford), ganz allein mit seinem Einmaster, 1700 Meilen vor der Küste Sumatras. Die Kollision mit einem Schiffscontainer verursacht ein Leck. Nachdem dieses behelfsmäßig repariert ist und die Kommunikationsgeräte funktionslos bleiben, zieht ein Sturm auf, und dieser ist nicht der letzte. Es beginnt ein Kampf ums Überleben.
Er hat nicht mal einen Namen. Im Abspann ist „our man“ zu lesen. Doch unser Mann hat selbstverständlich einen Namen. Er heißt Robert Redford und ist unser Mann aus Hollywood. Für den Film von Chandor begibt er sich auf einen Segler und zeigt sein 77 Jahre altes Gesicht in die Kamera. In den 1970ern war der Rothaarige ein, wenn nicht der Leinwandstar und zieht nun abermals das Publikum vor die Leinwand. Einen Ehren-Oscar für sein Lebenswerk als Schauspieler hat er bereits erhalten und einen weiteren als Regisseur, 1981 für „Eine ganz normale Familie“.
Und so strahlt der in Seenot geratene durch einen hervorragenden Redford die Ruhe eines erfahrenen Mannes aus. Chandor setzt in seiner Inszenierung auf Realismus. Den wie aus der Dose klingenden Soundtrack, der zum Glück nur sporadisch zu hören ist, hätte er weglassen müssen. Fast stoisch nimmt unser Mann hin, was ihm die tosenden Naturgewalten antun. Not macht erfinderisch. Yes, he can. Und das sieht niemals übertrieben aus, weil Chandor unseren Mann mit seinen Schritten nicht ständig Erfolg haben lässt, erst recht nicht dramatisch spektakulär auf die letzte Sekunde, auf den letzten Meter und mit den üblichen Thriller-Tricks („Gravity“). Und bei einigen Artikeln des Survival-Equipments wird erst mal die Gebrauchsanweisung studiert; grandios. Die scheinbar nahe Rettung vergeht mehrmals und belastet die Psyche. Geschickt gelingt es dem Regisseur, die ungefähr acht Tage Seenot in 106 Minuten Film unterzubringen. Und unserem Mann wird allmählich alles an Möglichkeiten und Willen weniger; die Szenerie nähert sich dem Filmtitel.
Aber wer ist unser Mann? Reicht es, nichts von ihm zu wissen, außer dass er alt ist und mit Notsituationen gelassen und geschickt umgehen kann? Nein, das reicht für anspruchsvolles Kino natürlich nicht. „Nordwand“ (2008 von Philipp Stölzl) erzählt die Geschichte von Bergsteigern, die in den 1930ern daran scheitern, die berüchtigte Nordwand des Eiger erstmals zu besteigen. Bei dem auf Tatsachen beruhenden Plot lernt der Zuschauer die Protagonisten kennen, fiebert später um jeden Höhenmeter mit und ist beim Anblick des letzten nach aufopferndem Kampf erfrorenen Mannes der Gruppe emotional fertig. Der Film hat vielen Kritikern missfallen, weil er sich nicht ausreichend differenziert mit dem Nationalsozialismus auseinandergesetzt hat. Wer ist unser Mann in „All is Lost“? Welche Vergangenheit hat er, die ihn so werden ließ, wie er ist? Bei „Melancholia“ lässt Lars von Trier die Welt untergehen und gewährt (nicht nur in diesem Film) tiefe Blicke in die von ihm geschaffenen Charaktere. Die Folge war der Abspann mit einer langen, von Emotionen ausgelösten Stille im Publikum. Wer ist unser Mann? Richtiges Dabeisein gelingt überwiegend nicht, Langeweile kommt aber aufgrund der findigen Inszenierung auch nicht auf.
Und zum Ende ist doch die Prise zu viel Salz in der Meeressuppe. Einige der im Saal Anwesenden, die annähernd in Redfords Alter gewesen sein dürften, haben gelacht.
Unterm Strich bleibt Chandors Unternehmen ein Experiment, welches im Beobachtungskino durchfällt, „our man“ bleibt his man.