Mehr! Dieses kleine Wort ist bei der Produktion von Fortsetzungen in Hollywood die alles bestimmende Maxime. Mehr Action, mehr Effekte, mehr Figuren, mehr Schauplätze – es wird alles getan, um den Fans im neuen Film ein noch größeres Spektakel zu bieten als zuvor. Nach oben sind da keine Grenzen gesetzt und wer glaubte, dass sich etwa die bombastische Schlacht von New York im Finale des Mega-Blockbusters „Marvel’s The Avengers“ nicht mehr steigern lässt, dem wird im zweiten Teil nun das Gegenteil bewiesen. Joss Whedon lässt in seinem Superhelden-Sequel „Avengers: Age of Ultron“ eine episch ausgewalzte Actionszene auf die andere folgen und diesmal rund um den Globus gleich mehrere Städte in Schutt und Asche legen. Außerdem wird das Figurenarsenal massiv mit neuen Mitspielern und alten Bekannten aufgestockt: Der Exzess wird zum Erzählprinzip. Dieser Gigantismus ist in großen Teilen beeindruckend, gelegentlich aber auch erdrückend. So sind bei diesem Action-Feuerwerk gegenüber dem Vorgänger Abstriche in Sachen Humor festzustellen, auch das Augenzwinkern von „Thor“ oder die Leichtigkeit von „Iron Man“ werden nicht ganz erreicht. Nichtsdestotrotz ist „Age of Ultron“ ein weiterer packender Comic-Blockbuster, in dem das Marvel-Kinouniversum konsequent ausgebaut wird. Und dank Joss Whedons gutem Gespür für den Umgang mit großen Ensembles gibt es hier auch Platz für feinfühlige Figurenporträts, wobei einige Helden aus der zweiten Reihe ins Rampenlicht rücken.
Seitdem die Terrororganisation H.Y.D.R.A. wieder präsent ist, sind die Avengers im Dauereinsatz: Regelmäßig stürmen Captain America (Chris Evans), Iron Man (Robert Downey Jr.), Thor (Chris Hemsworth), Black Widow (Scarlett Johansson), Hawkeye (Jeremy Renner) und der zum Hulk mutierende Bruce Banner (Mark Ruffalo) die Verstecke des Feindes. In Osteuropa finden sie die Festung, in der H.Y.D.R.A.-Anführer Baron von Strucker (Thomas Kretschmann) das Chitauri-Zepter samt des Infinity Stones versteckt hat, mit dem Thors Halbbruder Loki einst die Erde angriff. Die Auseinandersetzung mit den über erstaunliche Fähigkeiten verfügenden Geschwistern Quicksilver (Aaron Taylor-Johnson) und Scarlet Witch (Elizabeth Olsen) bereitet den Avengers einige Kopfschmerzen, aber dennoch tragen sie den Sieg davon – zumindest scheinbar. Iron Man alias Tony Stark vermutet in dem erbeuteten „Unendlichkeitsstein“ den Schlüssel zur Herstellung von Künstlicher Intelligenz und damit zu seinem bereits lange geplanten Friedensprogramm namens Ultron. Er experimentiert auf eigene Faust – mit unerwünschten Folgen: Die K.I. (Stimme: James Spader) erwacht zum Leben. Doch Ultron will nicht dienen, sondern herrschen und Frieden kann nach Meinung der sich schnell im gesamten Internet und in Dutzenden Roboterkörpern breitmachenden Superintelligenz nur erreicht werden, wenn die Menschheit von der Erde getilgt wird…
„Avengers: Age of Ultron“ ist in erster Linie ein Action-Spektakel. Schon der Vorgänger hob sich hinsichtlich des Aufwands bei Kampfszenen deutlich von den Marvel-Einzelhelden-Filmen ab. Im zweiten Teil setzt Joss Whedon nun noch einen drauf, beginnt den Film gleich mit einer großen Actionszene rund um die Erstürmung der H.Y.D.R.A.-Festung und gönnt uns auch im weiteren Verlauf nur selten einmal eine längere Verschnaufpause. Das ist immer höchst rasant, eindrucksvoll und durchaus einfallsreich, etwa wenn Iron Man einen seiner Spezialanzüge einsetzen muss, um den außer Kontrolle geratenen Hulk zu stoppen, aber zum Genießen bleibt im filmischen Dauerfeuer kaum Zeit. So fehlt dann letztlich auch der einzelne herausragende Action-Höhepunkt, der neue Maßstäbe setzen würde. Und wenn die Helden im Finale räumlich getrennt an verschiedensten Fronten kämpfen, wirkt es gar für einen Moment so, als ob der Regisseur die Übersicht über die vielen Schauplätze und Mitwirkenden verloren hätte. Insbesondere eine gegen Filmende erwachende sehr mächtige neue Figur bleibt im großen Kampfgetümmel bisweilen merkwürdig absent.
Das von vielen Fans erhoffte Meisterwerk ist „Avengers: Age of Ultron“ so zwar nicht geworden, doch starke Unterhaltung bietet auch dieses Stelldichein der Superhelden allemal. Dafür sorgen in erster Linie einige neue sowie bisher eher stiefmütterlich behandelte Figuren, denen emotional mitreißende Momente gegönnt werden. Nachdem selbst Darsteller Jeremy Renner („The Hurt Locker“) öffentlich Kritik am Umgang mit seiner Rolle Hawkeye in „The Avengers“ geübt hatte, ist Whedon sichtlich bemüht, dem Bogenschützen nun Gerechtigkeit widerfahren zu lassen. Er hebt Hawkeyes Bedeutung für das Team hervor und gibt der Figur mit einer geschickt eingebauten Familiengeschichte neue Tiefe. Auch der persönliche Hintergrund von Black Widow wird in „Avengers 2: Age of Ultron“ endlich genauer beleuchtet. Das ist im Übrigen so gut gelungen, dass sich die Macher eines eventuell kommenden Solofilms gar nicht mehr groß mit der Ursprungsgeschichte aufhalten müssen. Mit Scarlet Witch, die von der beeindruckenden Elizabeth Olsen („Martha Marcy May Marlene“) facettenreich verkörpert wird, feiert zudem eine zweite starke Frauenfigur ihre Franchise-Premiere. Die traumatisierte und nur schwer Vertrauen fassende Kämpfernatur mit ihren Manipulationsfähigkeiten ist ein Gewinn für das „Avengers“-Kinouniversum. Olsens „Godzilla“-Co-Star Aaron Taylor-Johnson und sein Quicksilver bleiben dagegen abgesehen von einigen Action-Momenten eher blass. Er ist nur ein nötiges Anhängsel, um die Figur von Scarlet Witch auszugestalten.
Joss Whedons Fokus liegt in „Age of Ultron“ merklich auf Figuren, die aktuell keine eigenen Solofilme haben, entsprechend rückt auch „Hulk“ Bruce Banner immer wieder in den Vordergrund. Er muss das Monster in sich herauslassen, um dem Team zu helfen, gleichzeitig aber fürchtet er auch, was dieses Monster anrichten wird. Der von Mark Ruffalo („Foxcatcher“) ein weiteres Mal überzeugend dargestellte Konflikt wird durch die romantischen Gefühle, die Banner für Black Widow hegt, noch verstärkt. Sie binden ihn zusätzlich an die Gruppe, obwohl er gleichzeitig den Wunsch hat, sich in die alte Einsamkeit zurückzuziehen, wo er niemandem schaden kann. Hier gibt es einen willkommenen Hauch von Tragik und großen Emotionen, die dem Spektakel zumindest ein bisschen Bedeutungsschwere geben. Die anderen bewährten Recken treten demgegenüber ein wenig zurück, werden aber keineswegs auf die Ersatzbank verbannt. In durch Scarlet Witch ausgelösten Albtraum-Erlebnissen bekommen sie dramatische Szenen. Daneben finden die Frotzeleien zwischen Captain America und Tony genauso eine Fortsetzung wie die amüsanten Momente um Halbgott und Frauentraum Thor. Die „alten“ Helden, ihre Eigenarten und ihre Vergangenheit werden dabei kaum mehr „erklärt“, „Age of Ultron“ ist stärker als frühere Marvel-Epen ein Film für Kenner. Neueinsteigende Zuschauer haben es in dieser verzweigten Comic-Welt schwer und wer bei einem Begriff wie Infinity Stone nur Bahnhof versteht, der bleibt außen vor. In der Konsequenz ist die fast schon Richtung Pulp gehende Einführung eines komplett neuen Helden eine mehr als deutliche Annäherung an die Comic-Ursprünge.
Passend zu dem Bemühen, dem Fan-Publikum von allem noch mehr zu bieten, ist auch die Gefahr, die den Avengers droht, groß wie nie. Wer das Team für unbesiegbar hielt, sieht nun: Gegen Ultron scheint es keine Chance zu haben. Die Marvel-Verantwortlichen wissen ganz genau, dass die Qualität von Superhelden-Unterhaltung meist sehr eng mit der Personalie des Antagonisten verknüpft ist. Aber so groß seine Macht auch ist: So imposant wie Vincent D’Onofrio als Wilson Fisk in der düsteren Netflix-Serie „Daredevil“ ist Ultron nicht und auch nicht so verschlagen wie etwa Loki in „The Avengers“. Aber James Spader lehrt uns als eigentlich gesichtslose, in einen Roboterkörper schlüpfende Super-Intelligenz trotzdem eindrucksvoll das Fürchten, denn der Star aus „Boston Legal“ und „Blacklist“ versteht es meisterhaft, mit seiner Stimme umzugehen. Wie er einzelne Wörter betont, beschwört zumindest in der Originalfassung eine diabolisch-bedrohliche Atmosphäre herauf. Dass der Künstlichen Intelligenz die „menschliche“ Seite fehlt, die gerade die auf unterschiedliche Art nach Liebe und Anerkennung suchenden genannten zwei Marvel-Schurken so auszeichnet, lässt ihn dabei sogar noch gefährlicher wirken.
Fazit: „Avengers: Age of Ultron“ ist ein bombastisches Superhelden-Spektakel, aus dem trotzdem vor allem die ruhigeren, emotionaleren Momente hervorstechen.