"Victor Frankenstein - Genie und Wahnsinn" von Paul McGuigan kommt einfach nicht aus dem Quark und enttäuscht auf ganzer Linie. Dabei ist der Ansatz interessant: Die Geschichte wird aus Sicht von Igor, Frankensteins Assistenten, erzählt und würde somit einen neuen Blickwinkel auf die altbekannte Handlung erlauben. Mit Daniel Radcliffe als Igor, James McAvoy als Victor Frankenstein und Dr. Moriarty-äh-Andrew Scott als Inspector Turpin ist der Film auch noch herausragend besetzt, sogar die Love-Interest-Alibifrau Jessica Brown Findlay als Lorelei macht einen tollen Job und schafft es, ihrer Nebenfigur Profil und Persönlichkeit zu verleihen. Die mise en scène und die Kostüme sind ebenfalls großartig und entführen den Zuschauer in das London des späten 19. Jahrhunderts. Nach einem starken Anfang mit spannender, actiongeladener Fluchtszene ebbt der Film jedoch komplett ab und dümpelt danach trantütig seinem viel zu späten Ende entgegen.
Das Problem bei "Victor Frankenstein" ist, dass zu viel behauptet und zu wenig gesagt, gedacht, gefühlt und getan wird. Man sieht und hört fast zwei Stunden lang vier Talking Heads beim Moralisieren und Thesenaufstellen zu. Dabei stehen Victor Frankenstein, Inspektor Turpin und Lorelei jeweils für eine bestimmte These in Bezug auf das Erschaffen von neuem Leben durch den Menschen. Frankenstein, wahnsinnig vor Ehrgeiz, will unbedingt Leben erschaffen, weil
er Schuldgefühle wegen seines toten Bruders hat
oder so. Inspektor Turpin glaubt laut Drehbuch ganz doll an Gott, was sich daran erkennen lässt, dass ständig in Nahaufnahme das Kreuz und der Rosenkranz gezeigt werden, die er fest in den Händen hält. Deswegen ist er aus Prinzip dagegen, dass der Mensch Gott spielt und damit basta. Lorelei hingegen ist die Stimme des Herzens und der Liebe, sie ermutigt Igor, auf sein Gewissen zu hören und seiner Intuition zu vertrauen (merkt dabei aber nicht, dass sie Igor genauso bequatscht und in ihre - wenn auch menschlich-liebevolle - Ideologie einzubinden und zu manipulieren versucht.) Das ist eigentlich hochspannend und mit etwas mehr Tempo, pointierten Dialogen, raffinierten Schnitten und schärferer, entschlossenerer Figurencharakterisierung wäre das auch eine coole Sache geworden. Insbesondere dadurch, dass mit dem Vierten im Bunde, Hauptfigur und Erzähler Igor, eine Zwischenstellung inmitten dieser drei grundverschiedenen Positionen vorhanden ist. Er verspürt den Wissensdurst, Forschergeist und Ehrgeiz von Frankenstein, spürt jedoch die Menschenliebe und das unbestimmte Gefühl schlechten Gewissens beim Gedanken, den Toten nicht ihre Ruhe zu gönnen, wie Lorelei. Und ein leichtes Unbehagen beim Gedanken, Gott zu spielen, grummelt da auch in seinem Hinterkopf, wenn auch nicht so fanatisch wie beim Inspektor.
Leider hat das nicht geklappt. Die Figur des Inspektors wirkt völlig überflüssig und redundant, er findet immer nur das heraus, was der Zuschauer schon längst weiß, und hinkt mit seinen Erkenntnissen im Vergleich zur Zuschauerinformiertheit meilenweit hinterher. Sein Glaube wirkt aufgesetzt und überzeugt kein Stück, es sei denn, man ist ohnehin selber strenggläubig und von vorneherein prinzipiell seiner Meinung, aber dann schaut man sich ja so einen Film gar nicht erst an. Mit Ausnahme Igors machen keine der Figuren eine Entwicklung durch, sie haben von Anfang an dieselbe Einstellung, dieselbe Haltung und lassen sich durch nichts davon abbringen. Wie Engelchen und Teufelchen, Über-Ich und Es zerren sie alle an Igor und seinem Selbstverständnis, seinem Gewissen, und wollen ihn auf ihre Seite ziehen. Das passiert aber so lahm und lustlos, dass keinerlei Spannung entsteht. Die an sich fantastischen Schauspieler werden - so scheint es - vom Regisseur völlig alleine gelassen. Mit großer Anstrengung schwimmen sie gegen das zähe Drehbuch, die wächserne Figurenkonzeption und die starren Dialoge an, ohne dass es ihnen gelingt, irgendwo Fuß zu fassen.
Fazit: Der Film hätte Potenzial gehabt, ist aber komplett in die Grütze gegangen. Schade. Lohnt sich nicht.