Ein Blick auf das Filmposter lässt bereits erahnen, dass der amerikanisch-kanadisch-französische Horrorfilm „The Theatre Bizarre" nicht für zartbesaitete Zuschauer gemacht ist: Ein glänzender Augapfel in einem weiblichen Mund, aus dem ein dicker Blutstropfen läuft. Wer sich auf die knapp zweistündige Mischung aus Splatterorgie, Gruselmärchen, Folter-Horror und erschütterndem Drama einlässt, braucht tatsächlich definitiv ein solides Nervenkostüm. Doch der schaurige Episodenfilm hebt sich nicht nur aufgrund seiner verstörenden Bilder vom Horror-Einheitsbrei ab: Gleich sieben verschiedene Independent-Regisseure arbeiteten für das gemeinsame Filmprojekt zusammen. Richard Stanley inszenierte die Auftakt-Episode, es folgen Beiträge von Buddy Giovinazzo, Tom Savini, Douglas Buck und Karim Hussain bis zum Abschluss durch David Gregory. Die internationale Regieriege, die durch Jeremy Kasten komplettiert wird, der die Rahmenhandlung in Szene setzte, sorgt für einen äußerst unterhaltsamen Staffellauf durch die Geschichte des modernen Horrorfilms, der mit grotesken Schauergeschichten, literweise Blut und makabren Einfällen am Fließband zu den Highlights der Fantasy Filmfest Nights 2012 zählt. „The Theatre Bizarre" entpuppt sich schnell als Geheimtipp insbesondere für die Fans des Genres.
Die junge Enola (Virginia Newcomb) entdeckt auf der Straßenseite gegenüber ihrer Wohnung ein verlassenes, düsteres Schauspielhaus. Neugierig betritt sie den dunklen Bau und findet sich plötzlich in einem bizarren Theaterstück wieder: Hauptdarsteller ist die grotesk aussehende Puppe Peg Poett (Udo Kier), die ihr sechs makabre Geschichten über Wahnsinn, Lust und Tod erzählt. Vollbusige Froschfrauen, die in abgelegenen Häusern ahnungslose Touristen verführen, eine in einer blutigen Katastrophe endende Dreiecksbeziehung, morbide Traumszenarien inklusive gebratener Geschlechtsteile, grausame Verkehrsunfälle mit Todesfolge bei Mensch und Tier, eine einsame Kämpferin gegen das Vergessen von Einzelschicksalen und eine Fressorgie, die sich nicht nur Zuckerwatte und anderen Leckereien, sondern vor allem menschlichen Innereien widmet: Willkommen im „Theatre Bizarre"...
Wer eine Kinokarte für „The Theatre Bizarre" löst, kommt sich schon bald vor wie bei einem dieser typischen Kurzfilmprogramme auf Filmfestivals: Nie weiß man als Zuschauer so recht, was einen diesmal erwartet, selten findet man Gefallen an allen der gezeigten Beiträge, entdeckt aber immer wieder persönliche Highlights, die sich inmitten der bunten Auswahl verstecken. In diesem bizarren Episodenfilm ist das nicht anders: Keiner der Filme gleicht dem anderen, jeder Filmemacher bringt seine persönliche Note mit ein und drückt der bildgewaltigen Albtraum-Kollektion seinen eigenen stilistischen Stempel auf. Anders als in „Four Rooms", „Paris, Je T'Aime" oder „Night on Earth" gibt es dabei jedoch keinen echten roten Faden und keine inhaltliche Vorgabe – die Kurzgeschichten werden lediglich durch die schaurige Rahmenhandlung um Enolas Besuch im Gruseltheater um die Ecke locker zusammengehalten. Dies ist freilich wenig störend – hat die lose Aneinanderreihung doch zur Folge, dass sich jeder der Regisseure nach Herzenslust auf der Leinwand austoben und ohne thematisches Korsett seine ganz eigene Horrorvision entwerfen kann.
Die Reihenfolge der Beiträge ist dabei genau die richtige: Richard Stanleys („Hardware") eigenwillige Krötenhexe „Mother Of Toads" ergibt inhaltlich wie dramaturgisch nur zum Auftakt Sinn, während David Gregorys („Plague Town") explizites Splatter-Feuerwerk „Sweets" nur als krönendes Finale funktionieren kann. Der Härtegrad des bizarren Grauens erreicht in Gregorys Abschluss-Episode seinen fulminanten Höhepunkt und dürfte so manchen Zuschauer verstört aus dem Kinosaal entlassen – spielt die inhaltlich an Anders Thomas Jensens „Dänische Delikatessen - Darf's ein bisschen mehr sein?" angelehnte Geschichte visuell doch eher in der Liga von Peter Jacksons „Braindead": Gregory zeigt explizit, wie Leichen ausgeweidet und menschliche Innereien mit Freude verspeist werden. Fast brav fällt im Vergleich dazu Buddy Giovinazzos („Tatort") „I Love You" aus, in dem sich mit dem deutschen Charakterdarsteller André Hennicke („Sophie Scholl - Die letzten Tage") ein vertrautes Gesicht zur internationalen Besetzung gesellt. Auch „I Love You" endet natürlich im blutigen Fiasko – zuvor darf Hennickes blendend aufgelegte Leinwandpartnerin Suzan Anbeh („French Kiss") in einer Berliner Wohnung aber noch ein köstlich trockenes Beziehungsfazit ziehen: „Your penis and my vagina don't like each other."
Deutlich aus dem Rahmen fällt hingegen Douglas Bucks („Sisters – Tödliche Schwestern") atemberaubende Kurzgeschichte „The Accident", die in berührenden Bildern vom Schicksal eines bezaubernden blonden Mädchens (Mélodie Simard) erzählt, das unfreiwillig Zeuge eines Wildunfalls auf einer abgelegenen Landstraße wird. Buck gelingt dabei das Kunststück, weder den Motorradcrash selbst, noch entstellte Körper oder abgetrennte Extremitäten zu zeigen, stattdessen aber mit langen Zeitlupeneinstellungen und den unschuldigen Blicken des traurigen Mädchens eine ungemein beeindruckende und berührende visuelle Intensität zu erzeugen. Die sterbenden Augen und die zuckende Zunge des tödlich angefahrenen Hirsches schnüren dem Betrachter heftiger die Kehle zu als so manche Folter-Einlage, wie sie hier vor allem in Tom Savinis („Die Rückkehr der Untoten - Night Of The Living Dead") schräger Albtraum-Episode „Wet Dreams" an der Tagesordnung sind. Auch die von Kaniehtiio Horn („The Wild Hunt") verkörperte mordende Tagebuchschreiberin in Karim Hussains „Vision Stains", die ihren Opfern in Großaufnahme Spritzen in die Augäpfel rammt, stellt den Magen des Zuschauers auf eine harte Probe.
Fazit: „The Theatre Bizarre" liefert genau das, was der Blick aufs Kinoplakat bereits erahnen lässt. Bizarre Albträume, blutige Gemetzel, mordlüsterne Fabelwesen und nicht zuletzt eine gehörige Portion Erotik: Wer sich auf diesen skurrilen Horrortrip einlässt, kann sich über mangelnde Experimentierfreudigkeit der sechs Independent-Regisseure wahrlich nicht beklagen. Dass dabei nicht jede der sechs Episoden den Geschmack jedes Zuschauers treffen wird, versteht sich von selbst – aber gerade dieser Verzicht auf Kompromisse macht „The Theatre Bizarre" aus.