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    Tom Meets Zizou
    Kritik der FILMSTARTS-Redaktion
    4,0
    stark
    Tom Meets Zizou
    Von Lars-Christian Daniels

    Thomas Broich – der geniale Ballkünstler mit dunkler Wuschelmähne und dem Auge für den freien Mann, der, den Teamkollegen und Medien in Anspielung auf seine Leidenschaft für Philosophie und klassische Musik einst neckisch „Mozart" tauften – müsste eigentlich „Carl Orff" gerufen werden. Warum? Diese und andere Fragen beantwortet Adolf-Grimme-Preis-Gewinner Aljoscha Pause in seiner starken Dokumentation „Tom meets Zizou – kein Sommermärchen", die den Ausnahmefußballer und Privatmenschen Broich in dicht erzählten 135 Minuten ohne eine Sekunde Leerlauf porträtiert. Pause charakterisiert einen von seinen Trainern häufig unverstandenen Filigrantechniker, ein viel zitiertes „ewiges Talent", das nach der verpatzten EM 2004 in Deutschland noch als großer Hoffnungsträger im Hinblick auf die Weltmeisterschaft 2006 im eigenen Land galt – und heute nicht nur angesichts der Früchte tragenden DFB-Nachwuchsarbeit, gefeierten WM-Helden wie Mesut Özil und Thomas Müller oder neuen Top-Talenten wie Mario Götze fast schon in Vergessenheit geraten ist.

    „Tom meets Zizou", dessen Titel an Broichs großes Vorbild Zinedine Zidane und seine private Email-Adresse „tommeetszizou@aol.com" angelehnt ist, zeichnet die Karrierestationen des gebürtigen Bayern chronologisch nach. 2003 beginnend, in der Rückrunde seiner ersten Zweitliga-Saison in der Burghausener Provinz, in der Broichs Stern am deutschen Fußballhimmel aufging, unterbricht Pause die Rückblicke regelmäßig durch Interviews, die den „Mozart" von heute beim Campen in der australischen Wildnis zeigen. Besonders ausführlich schildert Pause die richtungsweisende Zeit bei der Gladbacher Borussia, den folgeschweren Konflikt mit dem niederländischen Trainer Dick Advocaat und sein anschließendes dreijähriges Engagement beim 1. FC Köln, in dessen Rahmen Broich die Bekanntschaft mit dem als „Messias" umjubelten Christoph Daum machen durfte. Seine vorerst letzte Bundesliga-Station blieb der 1. FC Nürnberg, wo Broich auf seinen alten Freund Michael Oenning, der ihn bereits bei den „Fohlen" als Co-Trainer gefördert hatte, traf. Nach schlechten Leistungen und immer stärkeren Depressionen entschloss sich Broich im Sommer 2010, seine Zelte in Deutschland abzubrechen und in der australischen A-League neu anzufangen.

    „Tom meets Zizou", der Eröffnungsfilm des 11mm-Filmfestivals 2011, ist kein Fußballfilm im eigentlichen Sinne, und vor allem: kein Sommermärchen. Das macht schon der Untertitel deutlich, mit dem Pause eindeutig Stellung bezieht: Der Filmemacher möchte nicht im Stile von „Deutschland. Ein Sommermärchen" unterhalten, sondern aufklären. Anders als Sönke Wortmann quetscht Pause seinen Film daher in kein dramaturgisches Korsett und verzichtet darauf, emotionale Momente der Broichschen Fußballerkarriere entsprechend in Szene zu setzen. Dass der Regisseur ausgerechnet beim Schlussakkord die bis dato eingeschlagene erzählerische Linie verlässt und mit bedeutungsschweren Texteinblendungen ein sportfilmähnliches Finale konstruiert, bleibt die einzig nennenswerte Schwäche einer ansonsten großartigen, ehrlichen Dokumentation. Broichs persönliches Happy End, bei der Wahl zu Australiens Fußballer des Jahres 2011 den zweiten Platz zu belegen und mit Brisbane Roar die Meisterschaft zu gewinnen, mag man dem Filmemacher kaum vorwerfen – wohl aber die Art der Inszenierung, die „Tom meets Zizou" eine Spur zu melodramatisch ausklingen lässt.

    Pause, der in den vergangenen Jahren vor allem durch zwei Dokumentationen über Homosexualität im Profifußball aus sich aufmerksam machte, benötigt ansonsten keine schmalzigen Xavier-Naidoo-Songs, um dem Zuschauer begreiflich zu machen, dass der Weg zum gestandenen Bundesligaprofi mitunter steinig und schwer sein kann. Die zurückgenommenen Klavierklänge seines Soundtracks harmonieren hervorragend mit der authentischen Charakterisierung eines eigenwilligen Fußballprofis, den die Medien schnell als „anderen Fußballer" ausmachten und daher nur zu gern beim Blättern in einem Buch auf dem Rasen des Mönchengladbacher Bökelbergstadions ablichteten.

    Dass Broich bei den Interviews heute einräumt, dieses Theater viel zu lange mitgespielt zu haben, zeugt von seinem Reifeprozess und ist zugleich nur einer der vielen entlarvenden Einblicke, die „Tom meets Zizou" in das knallharte Profigeschäft und die gnadenlose Medienlandschaft liefert: Wer auffällt, bekommt in Krisenzeiten schnell Probleme. Der tägliche Leistungsdruck, die Definition über Benotungen in der Fachpresse und das vorschnelle Schaffen von Fußballhelden – selbst Broich, der im Entmüdungsbecken und in der Halbzeitpause Hemingway und Tolstoj liest, kann sich dem „kicker" und der „Sport-BILD" nicht entziehen. Mehr als einmal fällt der Name Sebastian Deisler, auch der 2009 verstorbene Torwart Robert Enke ist in einem kurzen Spielausschnitt zu sehen.

    So formuliert Pause ein entscheidendes Statement: Es gibt Wichtigeres im Leben als Fußball. Broich, der 2004 beim Debüt von Jürgen Klinsmann nicht für die DFB-Elf nominiert wurde und am Abend des Länderspiels enttäuscht mit seiner Freundin Backgammon spielt, hat das irgendwann erkannt. Gedankenverloren setzt er sich ans Klavier und klimpert „The Sound of Silence", veranstaltet mit Freunden in seiner WG Musikabende und freut sich über kleine Erfolge beim Töpferkurs. Dass diese Lebenseinstellung nicht immer mit dem Leistungsdenken seiner Trainer in Einklang zu bringen ist, belegt eine der herausragenden Sequenzen des Films. Pause montiert ein Interview mit Christoph Daum parallel zu retrospektiven Äußerungen Broichs – und entlarvt den ehemaligen FC-Trainer dabei als oberflächlichen Schaumschläger, der sich von Fans und Journalisten zwar als großer Motivator feiern lässt, die Psyche seines sensiblen Kreativmannes aber nicht ansatzweise begriffen hat.

    Für die humorvolleren Zwischentöne sorgen vor allem die amüsanten Kommentare von Ex-Mitspielern, die von „Mozart" zu anspruchsvoller Literatur und Theaterbesuchen „genötigt" wurden, aber vor allem die entwaffnende Selbstironie, die der Fußballer bei den rückblickenden Interviews verschmitzt an den Tag legt. Vom modernen Fußball heißt es oft, ihm fehle es an „echten Typen" – den Netzers, den Effenbergs, den Baslers. Mit Thomas Broich hat vergangenen Sommer ein solcher die deutsche Fußballbühne leise, still und heimlich verlassen. „Tom meets Zizou" wird bleiben – und damit das hervorragende Porträt eines sympathischen jungen Mannes, den man über die Medien zwar wahrgenommen, aber nie wirklich kennen gelernt hat.

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