Als der Privatsender RTL II im Jahr 2004 damit begann indische Filme zu zeigen, kannten hierzulande nur Insider den Begriff Bollywood. Mit der Wortkreuzung aus Bombay und Hollywood wird die indische Filmindustrie in Anlehnung an die amerikanische Traumfabrik beschrieben. Doch schon lange bevor Bollywood-Filme auch international für Furore sorgten, war der Hindi-Film etabliert: Bereits 1913 wurde die erste indische Produktion gedreht und seit 1930 entstehen jedes Jahr hunderte Werke in den Filmstudios des früheren Bombays (heute Mumbai). Mit der Dokumentation „Bollywood: Die größte Liebesgeschichte aller Zeiten" setzen Rakeysh Omprakas Mehra („Rang De Basanti – Die Farbe Safran") und Jeff Zimbalist („The Two Escobars") der Geschichte Bollywoods ein filmisches Denkmal, das genauso bunt und überdreht ist wie die porträtierten Filme selbst.
Über zwei Milliarden Fans hat das indische Kino mittlerweile weltweit, so zumindest eine Aussage auf den zu Beginn des Films eingeblendeten Texttafeln. Eine sagenhafte Erfolgsgeschichte, die die beiden Dokumentarfilmer in den folgenden knapp 80 Minuten eng mit der Entwicklung Indiens verknüpfen. In den vier Abschnitten „Independence", „Escapism", „The System" und „A new Order" wird der direkte Einfluss der Historie des Landes – von Ghandis gewaltfreiem Widerstand gegen die britische Kolonialherrschaft bis hin zum Kashmir-Konflikt – auf die Entwicklung des Bollywood-Kinos aufgezeigt.
Doch genau wie ein Bollywoodfilm für den durchschnittlichen westlichen Kinogänger beim ersten Mal eine höchst ungewöhnliche Seherfahrung ist, handelt es sich bei „Bollywood: Die größte Liebesgeschichte aller Zeiten" auch um keinen gewöhnlichen Dokumentarfilm. Über weite Strecken werden mit schnellen Schnitten Tanz-und Gesangseinlagen aus der Geschichte des Bollywood-Kinos zusammengefügt. Thematisch nur rudimentär verbunden stehen altes und neues Bild- und Tonmaterial nebeneinander und bilden ein knallbuntes Potpourri indischer Filmkunst.
Wer sich allerdings interessante Hintergrundinformationen zum indischen Kino-Phänomen erhofft wird enttäuscht. Mehr als eine farbenprächtige Hommage an den Hindi-Film ist diese Dokumentation nicht. Nur kurz werden Themen wie etwa die abgöttische Verehrung eines indischen Superstars wie Shah Rukh Khan durch seine Fans angeschnitten, dann aber schnell wieder zugunsten der 67. Tanzeinlage fallen gelassen. Nur gelegentlich werden diese von sehr kurzen Interviewfetzen unterbrochen, in denen einige der großen Namen der indischen Traumfabrik wie die auch im Westen erfolgreichen Stars Aishwarya Rai („Der rosarote Panther 2") und Anil Kapoor („Slumdog Millionär", „24") zu Wort kommen. Mehr als ein Bruchteil der überschaubaren Länge von 77 Minuten machen diese Interviews aber nicht aus.
Am Besten lässt sich dieser Bilderreigen wohl mit einem Kaleidoskop vergleichen, in dem sich aus unzähligen bunten Einzelteilen ein großes Gesamtbild zusammensetzt. Ohne Frage beinhaltet die Dokumentation „Bollywood: Die größte Liebesgeschichte aller Zeiten" die neun Rasas, die traditionell überlieferten Bestandteile indischer Kunst: Liebe, Pathos, Wut, Heldentum, Ekel, Komik, Wundersames, Schrecken und Friedvolles. Doch die Regisseure schaffen es nicht, aus diesen Einzelteilen mehr zu formen, als ein langes Bollywood-Zitat.
Fazit: Eine knallig bunte Collage über den Mythos Bollywood, die jedoch nur echte Fans wirklich begeistern wird.