Als Comic-Gigant Marvel 2011 sein damals noch im Aufbau befindliches „Avengers“-Filmuniversum um „Thor“ und damit um die Götterwelt Asgard erweiterte, war dies ein durchaus riskantes Unterfangen. Schließlich schien die den meisten Kinozuschauern bis dahin nur aus „Iron Man“ und kurze Zeit später auch „Captain America“ bekannte „Avengers“-Welt mit ihren Science-Fiction-Anklängen buchstäblich in einer anderen Dimension zu liegen als die göttlichen Gefilde von Thor & Co. Doch Marvel-Mastermind Kevin Feige und Regisseur Kenneth Branagh gelang es in „Thor“ die scheinbaren Gegensätze überzeugend zu vereinen – oder wie sagt es der Protagonist an einer Stelle selbst: „Eure Vorfahren nannten es Magie, ihr nennt es Wissenschaft. Ich komme von einem Ort, an dem das ein und dasselbe ist.“ Mit „Thor – The Dark Kingdom“ wird der Bogen nun noch weiter gespannt. Unsere Erde wird erst im Finale zum (Kriegs-)Schauplatz, gleich in den ersten Minuten wird dagegen durch verschiedene Fantasy-Welten gesprungen und auch der Erzählton wird immer wieder gewechselt. Neuregisseur Alan Taylor überspannt damit zumindest phasenweise den Bogen, „Thor 2“ erweist sich als unausgegorener Mix, bei dem „Star Wars“ auf „Der Herr der Ringe“ trifft, sich „Game Of Thrones“ und „Battlestar Galactica“ begegnen, Slapstick-Komik nicht immer ganz stimmig mit großem Drama kombiniert wird, ehe das Ganze schließlich noch mit einer Prise Erich von Däniken garniert wird. An Kenneth Branaghs glückliche Verbindung aus Shakespeare und krachender Superhelden-Action in „Thor“ reicht diese Fortsetzung nicht heran, aber dank der exzellenten Darsteller, allen voran Tom Hiddleston und Szenendieb Stellan Skarsgard, bereitet sie trotzdem einigen Spaß.
Nachdem nicht mehr in allen neun Welten geglaubt wird, dass der übermächtige Allvater Odin (Anthony Hopkins) tatsächlich alles im Griff hat, hat sein Sohn Thor (Chris Hemsworth) alle Hände voll zu tun. Ständig müssen hammerschwingend im Universum Aufstände niedergeschlagen werden. Für die Liebe bleibt da keine Zeit, außerdem hat Odin seinem Sohn ohnehin jeglichen Kontakt zur sterblichen Erdenbewohnerin Jane Foster (Natalie Portman) untersagt. Doch als der allessehende Torwächter Heimdall (Idris Elba) die neugierige Wissenschaftlerin nicht mehr auf der Erde erblicken kann, reist der besorgte Thor ins Reich der Menschen und stellt fest, dass eine unheimliche Macht Besitz von seiner großen Liebe ergriffen hat. Der göttliche Held nimmt Jane mit nach Asgard, wo der zunächst wütende Odin schnell erkennt, dass hier böse Mächte am Werk sind, die eigentlich vor tausenden von Jahren von seinem Vater vernichtet wurden. Malekith (Christopher Eccleston), Anführer der Dunkelelfen und einstiger Schöpfer der zerstörerischen Kraft will Jane benutzen, um alle neun Reiche des Universums für immer in der Dunkelheit des Nichts versinken zu lassen. Nachdem er mit seiner Armee die Verteidigungslinien von Asgard durchbricht, kommt es zu einem verlustreichen Kampf und er kann so gerade noch zurückgeschlagen werden. Odin ist bereit, jeden seiner Bürger bei der Verteidigung von Asgard zu opfern, aber Thor hat eine andere Idee und begeht Hochverrat: Er will Jane zur „dunklen Welt“ bringen, den Ort, wo damals alles begann. Dort will er Malekith eine Falle stellen. Die verschlungenen Wege dorthin kennt allerdings nur sein im Kerker sitzender Bruder Loki (Tom Hiddleston). Doch kann Thor dem „Meister der Illusion“ vertrauen?
Die Macher von Marvel haben schon öfter höchst ungewöhnliche Entscheidungen getroffen, wenn es um die Auswahl der Regisseure für ihre Comic-Verfilmungen ging. Da wurde mal ein Comedy-Spezialist (Jon Favreau bei „Iron Man“ und „Iron Man 2“), mal ein Ex-Drehbuchstar (Shane Black für „Iron Man 3“) oder ein TV-Serien-Mastermind (Joss Whedon für „Marvel’s The Avengers“) verpflichtet. Doch obwohl diese Namen vorher nicht für großes Actionkino standen, machte sich das Risiko bei all diesen Beispielen bezahlt. Das gilt in ganz besonderem Maße auch für das Engagement von Kenneth Branagh für „Thor“. Der vielseitig begabte britische Shakespeare-Experte war genau der richtige Mann, um dem leichten Fantasy-Stoff etwas dramatisches Gewicht zu verschaffen, ohne dabei das Augenzwinkern zu vergessen. Branagh und seine Autoren verknüpften mit spielerischer Leichtigkeit klassische nordische Mythologie und Science-Fiction und damit auch die höchst unterschiedlichen Welten von Asgard und Midgard (=die Erde). Genau auf dieser Ebene der leichtfüßigen und jederzeit verständlichen Verbindung der Gegensätze scheitern das fast komplett neu besetzte Autorenteam und der neue Regisseur von „Thor 2“ weitgehend. Alan Taylor, der bisher nur kleinere Kinofilme wie „Kleine Gangster, große Kohle“ inszeniert hat, aber immerhin fast 20 Jahre Fernseherfahrung vorweisen kann (hauptsächlich bei HBO–Serien wie „Game Of Thrones“, „Sex And The City“ und „Die Sopranos“), gelingt es nicht, die Sagen und Geschichten aus neun höchst unterschiedlichen Reichen unter einen erzählerischen Hut zu bringen.
Während das Publikum am Anfang des ersten „Thor“-Films noch einen recht elegant in die Handlung integrierten kleinen Abriss in nordischer Mythologie bekommt, wird bei der Fortsetzung die für das Verständnis nötige Vorgeschichte vom Kampf zwischen Odins Vater und Malekith einfach vor den eigentlichen Film geklatscht. Damit bleibt diese Passage ein Fremdkörper, eine spätere (Teil-)Wiederholung der Geschehnisse durch Odin gegenüber Jane ist dann auch noch für den bereits informierten Zuschauer redundant. Etwas unglücklich ist auch, dass „Thor 2“ gelegentlich im klaren Widerspruch zu dem von Branagh etablierten Bild gerade der Götterfiguren steht. Sie holt Taylor ohne Not und ohne erkennbaren Plan von ihrem Sockel, womit er ihnen auch einen Teil ihres Charismas raubt. Dass der zuvor noch so weise und besonnene Odin nun plötzlich bereit ist, jeden Bewohner seiner Welt als Kanonenfutter in die Schlacht zu schicken, ist jedenfalls alles andere als schlüssig und scheint nur der Absicht der Autoren geschuldet, einen neuen Vater-Sohn-Konflikt aufzubauen. Eklatant ist der Wandel von einem Film zum anderen vor allem bei der Figur des Heimdall. Die mysteriöse Aura um den Torwächter, der schon seit Hunderten von Jahren allein und einsam auf seinem Posten zu verharren scheint, wurde in „Thor“ fast schon zelebriert. Wenn er sich nun in einer Taverne mit Thor auf ein Bier trifft, dann zerstört das diesen Zauber.
Zu Beginn gibt es Schauplatzwechsel in viel zu hoher Frequenz und ein regelrechtes Schlachtenszenen-Potpourri: In der Vorgeschichte kämpfen Malekith und seine Getreuen gegen die Armee von Odins Vater, dann schlägt Thor mit seinen Krieger-Freunden im Reich Wanenheim irgendwelche Aufstände nieder und nur wenig später greifen die Dunkelelfen auch schon Asgard an. Mal treffen Laserwaffen auf Schwert und Schild, dann raufen sich menschenähnliche Kämpfer mit riesigen Monstern. Das alles ist mit viel Aufwand, aber weder besonders originell noch mit der nötigen Umsicht inszeniert – immerhin sorgen die Schwarzes-Loch-Granaten der Dunkelelfen für einen richtig coolen Effekt, der über die gesamte Laufzeit des Films immer wieder eingestreut wird. Die eigentlich interessanten Einblicke in bisher unbekannte Reiche und die Auftritte neuer Wesen geraten jedoch angesichts des frenetischen Erzähltempos dieses ersten Drittels, in dem sich auch noch Jane Foster in London mal wieder in Schlamassel bringt, meist bedauerlich kurz. Es braucht eine Zeit bis der Film etwas zur Ruhe kommt und die komischen Einsprengsel sind auch nicht alle vorteilhaft platziert, drei Darsteller sorgen trotzdem für frühe Glanzpunkte: Tom Hiddleston, der als Loki in seinem Kerker nicht mehr braucht als sein unvergleichlich-überlegenes Mienenspiel; Stellan Skarsgård, dessen Dr. Erik Selvig mit Nacktauftritt und Irrenhaus-Odyssee zwar zum Comedy-Sidekick degradiert wird, dabei aber verdammt lustig ist; und Chris Hemsworths beeindruckender nackter Oberkörper, der bei der Berliner Pressevorführung zum kollektiven Aufseufzen der anwesenden Kolleginnen führte.
Mit der Befreiung Lokis durch Thor und seine Freunde Volstagg (Ray Stevenson), Fandral (Zachary Levi) und Sif (Jaimie Alexander) gehört die Bühne dann aber endlich dem Trio Hemsworth/Hiddleston/Portman. Mit dem starken Mittelteil und einem dramatischen ersten Showdown in der „dunklen Welt“ kommt das Fantasy-Action-Sequel so richtig in Schwung. Auf dem Weg dahin schafft Regisseur Taylor auch den schwierigen Sprung von der eindrucksvoll-monumentalen nordischen Massenbeerdigung der bei der Schlacht gefallenen Asen zum humorvoll-actionreichen Gefängnisausbruch mit Anstand. Im Stile eines Heist-Movies wird nun die Planung in einer Taverne und die eigentliche Umsetzung der Befreiung ineinander geschnitten, wobei Spaß und Spannung Hand in Hand gehen. Loki verspottet vergnügt seinen ach so rechtschaffenen Bruder Thor, der Vater Odin belügt und betrügt, dazu setzt er seine Illusionskünste für ein bisschen Schabernack ein. Komische Höhepunkte sind auch die kurzen Begegnungen von Loki mit Zwerg Volstagg und Kriegerin Sif sowie vor allem das großartige erste Aufeinandertreffen zwischen dem befreiten Häftling und Jane Foster. Hier hat auch Oscar-Preisträgerin Natalie Portman ihre beste Szene. Die beiden Darsteller etablieren eine besondere Spannung zwischen ihren Figuren, die sie den aufmerksamen Zuschauer im Anschluss selbst dann spüren lassen, wenn Loki und Jane nur im Hintergrund agieren. Erneut zeigt sich, dass Loki gerade auch durch die ideale Besetzung mit Tom Hiddleston eine der interessantesten Figuren des „Avengers“-Universum ist, das untermauern auch die früheren dramatischen Szenen deutlich. Der eigentliche Bösewicht von „Thor 2“, der von Ex-Doctor-Who Christopher Eccleston verkörperte Finsternis-Fürst Malekith, sieht dagegen wahrlich alt aus.
Fazit: Mit „Thor 2 – The Dark Kingdom“ vergrößern die Marvel-Macher ihr episches „Avengers“-Universum weiter. Das ist höchst interessant, aber in der Stoff- und Weltenfülle auch nicht einfach zu bewältigen. Regisseur Alan Taylor hat damit einige Probleme und so bleibt es vornehmlich seinen Darstellern überlassen, für Unterhaltung und das richtige Marvel-Flair zu sorgen.
P.S.: Wie immer bei den Marvel-Filmen gilt: Beim Abspann sitzen bleiben, hier gibt es erneut gleich zwei (!) Szenen zu bewundern.