Mein Konto
    Der Fall Chodorkowski
    Kritik der FILMSTARTS-Redaktion
    3,5
    gut
    Der Fall Chodorkowski
    Von Robert Cherkowski

    Das Klischee eines superreichen russischen Wirtschaftstycoons sieht in etwa so aus: Er ist ein eiskalter Profiteur des Turbokapitalismus mit einer feisten Fratze und lauernden Augen, der kriminelle Hintergrund und die Raffgier stehen ihm gleichsam ins Gesicht geschrieben – für den rollenden Rubel tut er alles. Auch in Cyril Tuschis Dokumentation „Der Fall Chodorkowski" begegnet uns dieser Typus immer wieder, aber in ihrem Zentrum steht ein trotz einst ähnlichen Reichtums schon äußerlich ganz anderer Charakter: Mit der Geschichte von Aufstieg und Fall des Michail Chodorkowski, der beim Putin-Regime in Ungnade fiel und seit 2005 in Haft sitzt, porträtiert der Filmemacher nicht nur eine vielschichtige Persönlichkeit, die nie dem Bild des gierigen Raffzahns entsprach, sondern auch die Zeit und das Land, die sie hervorgebracht haben.

    Der Mann im Zentrum des Films ist auch im Westen sehr bekannt geworden: Mit der Übernahme einst staatlicher Ölfelder wurde Michail Borissowitsch Chodorkowski in den 1990er Jahren schnell zum reichsten Mann der russischen Unternehmer-Elite und zum potentiellen nächsten Regierungschef. Er war dabei anders als viele andere neureiche Mogule, er setzte sich für ein besseres Bildungssystem ein und bekämpfte die Korruption. Egal, was Chodorkowskis Antrieb gewesen sein mag - als die Regierung ihn zum Erzfeind erklärte, ihn aus reichlich fadenscheinigen Gründen einkerkerte und seinen Multimilliarden-Konzern Jukos erst verschleuderte und dann von seinen Konkurrenten zerschlagen ließ, war das Spiel für ihn aus. Erst im Dezember 2010 wurde Chodorkowski in einem heftig umstrittenen neuen Prozess wegen angeblicher Veruntreuung und Geldwäsche zu 14 Jahren Haft verurteilt.

    Cyril Tuschi wollte diesen Mann, an dem sich die russischen Geister scheiden, sprechen und bemühte sich um ein Interview mit dem einst „reichsten Mann unter 40". Dieser lange Zeit vergebliche Versuch bildet die Grundlage und den roten Faden für „Der Fall Chodorkowski", der im Februar 2011 noch ein brisantes Politikum war und bei der Berlinale für großes Aufsehen inklusive eines bösen Raunens aus dem Kreml sorgte. Nun hat sich der Wirbel gelegt und es gilt, die filmischen Qualitäten des Werks in den Blick zu nehmen. Tuschis Spurensuche ist über weite Strecken temporeich und auch gestalterisch ansprechend aufbereitet. So gibt es neben dem kurzen Gespräch mit Chodorkowski selbst nicht nur Interviews mit Vertrauten, Mitwissern, Freunden und Familienmitgliedern – es kommen auch zahlreiche Skeptiker und Gegner zu Wort, die seine zahlreichen Versäumnisse und „Gaunereien" aufzählen und sich dagegen wehren, ihn zum Märtyrer zu stilisieren. Auch der deutsche Ex-Außenminister Joschka Fischer bequemte sich vor die Kamera und ringt sich ein paar recht kaltschnäuzige Statements ab. Dazu geizt Tuschi nicht mit aufschlussreichem Archivmaterial.

    Cyril Tuschi gerät auf etwas unbeholfenen Wegen das ein oder andere Mal selbst ins Zentrum seines Films und nicht nur da liegt dann die Frage nahe, worum es in seiner Dokumentation eigentlich gehen soll: Ist es das Leben und Wirken des Titelhelden, der über den gesamten Film ein Phantom bleibt und dessen Biografie hier mehr als widersprüchlich und teilweise unzusammenhängend nachgezeichnet wird? Sind es das moderne Russland und seine kapitalistischen Auswüchse? Ist es der Machtkampf zwischen den beiden hochintelligenten Alphatieren Chodorkowski und Putin, die sich vielleicht ähnlicher sind als man glauben möchte? Oder ist es am Ende ein Protokoll von Tuschis frustrierenden Versuchen, eine Mauer des Schweigens zu durchbrechen? All das steckt zumindest im Ansatz in „Der Fall Chodorkowski", aber die Elemente wollen sich nicht recht zu einem Ganzen fügen.

    Der Eindruck der Uneinheitlichkeit ist bei einem so tagesaktuellen und umstrittenen Gegenstand letztlich kaum vermeidbar und so sind die Stärken von „Der Fall Chodorkowski" eher darin zu sehen, Denkanstöße und ein möglichst umfassendes Bild zu liefern. So erscheint Chodorkowskis Karriere als höchst widersprüchliche und komplizierte Angelegenheit: Einst ein Sympathisant sozialistischer Ideen hat er sich nach dem Ende des Kalten Krieges dem ungezügelten freien Markt verschrieben und dabei Milliarden gescheffelt. Als zahlreiche Unternehmen von staatlicher in private Hand übergingen, profitierte kaum jemand mehr als Chodorkowski und er war bald schon einer der mächtigsten Menschen im Lande - ein Duzfreund von Boris Jelzin und später auch von Wladimir Putin. So recht scheint er seine frühen Überzeugungen jedoch nie aufgegeben zu haben und letztendlich war es offenbar vor allem sein Wunsch, Russland etwas zurückzugeben und das Land lebenswerter zu machen, die seinen Sturz besiegelten. Vielleicht war es aber auch seine Absicht, „Jukos" an amerikanische Öl-Multis zu verkaufen... Also alles nur fromme Gesten oder doch wahres Engagement? Die Sachlage, wie Tuschi sie darlegt, ist undurchsichtig, wenn nicht gar ein unlösbares Rätsel.

    Fazit: Cyril Tuschi wirft mit seinem überlangen Porträt einer schillernden Persönlichkeit und ihres Heimatlandes viele spannende Fragen auf, lässt dabei aber leider besonders gegen Ende einen klaren erzählerischen Zugriff vermissen.

    Möchtest Du weitere Kritiken ansehen?
    Das könnte dich auch interessieren
    Back to Top