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    Aftershock
    Kritik der FILMSTARTS-Redaktion
    1,5
    enttäuschend
    Aftershock
    Von Christoph Petersen

    Der chilenische Tausendsassa Nicolás López ist seinen Altersgenossen immer einen Schritt voraus: Schon mit zwölf Jahren schrieb er eine eigene Kolumne in der bedeutenden Tageszeitung El Mercurio – die einige Jahre später sogar dafür sorgte, dass er von der Schule flog, nachdem er das Bildungssystem des Landes kritisiert hatte. Es folgten die Gründung einer eigenen Entertainment-Webseite, einer Produktionsfirma, mehrere Auszeichnungen für Musikvideos und mit schlappen 21 dann der erste Spielfilm „Promedio Rojo“, der gleich mal von Quentin Tarantino persönlich zum lustigsten Film des Jahres 2004 hochgelobt wurde. Mittlerweile ist López 30 und Chile allein reicht ihm nicht mehr: Mit dem auf wahren Begebenheiten basierenden Erdbeben-Horror „Aftershock“ präsentiert der Regisseur nun seinen ersten englischsprachigen Film, den er mit Hilfe seines Kumpels Eli Roth (der neben der Co-Produktion auch eine Rolle übernahm) gestemmt hat. Und da die Filmemacher bei einem Budget von nach eigener Aussage gerade einmal zwei Millionen Dollar keine kommerziellen Kompromisse machen mussten (mit „Hostel“-Schöpfer und „Inglourious Basterds“-Bärenjude Roth auf dem Poster ist das im Nu wieder drin), hatten sie alle Möglichkeiten, mit ihrem Horrorstück wahrhaft zu schockieren. Aber der durchaus zivilisationskritisch angelegte Mix aus Katastrophen-Drama und Exploitation-Splatter landet schnell in ausgelutschten Genrebahnen und ist dabei nicht einmal wirklich spannend, zumal die Protagonisten alles andere als Sympathieträger sind.

    Der Millionärs-Sprössling Pollo (Nicolás Martinez) und sein Kumpel Ariel (Ariel Levy) haben Besuch von ihrem amerikanischen Freund Gringo (Eli Roth). Die drei Hipster-Machos touren gemeinsam durch die angesagtesten Clubs Chiles. Dabei macht das Trio auch die Bekanntschaft der amerikanischen Schwestern Monica (Andrea Osvárt) und Kylie (Lorenza Izzo), die von ihrer Freundin Irina (Natasha Yarovenko) begleitet werden. Gemeinsam entscheiden die sechs, am nächsten Tag einen besonders heißen Club in Valparaiso auszuchecken. Doch die wilde Partynacht in einer unterirdischen Disco endet in einer Katastrophe, als ein Erdbeben mit der vernichtenden Stärke von 8,8 auf der Richterskala die Küstenregion erschüttert. Wähnen sich Pollo, Ariel und Co. zunächst noch im Glück, da sie nicht wie viele andere direkt von herunterstürzenden Trümmerteilen zerquetscht werden, müssen sie schnell erkennen, dass der wahre Horror erst an der Erdoberfläche auf sie wartet. Denn mit dem Handynetz haben sich auch die Spielregeln einer modernen Zivilisation verabschiedet: In den Straßen herrscht blutiges Chaos!

    Wenn Eli Roths Gringo bei einer von Disney- und „Spring Breakers“-Star Selena Gomez (war gerade für ein Konzert in der Stadt und hat sich zum Kurzauftritt überreden lassen) gespielten Discobekanntschaft gnadenlos abblitzt, ist es das einzige Mal, dass Regisseur López mit der unerträglichen Machoattitüde seiner Protagonisten ironisch ins Gericht geht. Ansonsten werden „Frauenärsche ausgecheckt“ als gäbe es kein Morgen mehr - und das Publikum soll den Hipster-Idioten zumindest ab einem gewissen Zeitpunkt auch noch die Daumen drücken. Solche Typen gehören sonst üblicherweise nur zur Truppe der Überlebenden, damit man sie noch in der ersten Hälfte des Films und zum großen Vergnügen des Publikums auf möglichst grausame Weise das Zeitliche segnen lassen kann - als Identifikationsfiguren sind sie hingegen denkbar ungeeignet. Und bei den Frauen sieht es kaum besser aus: Auch wenn in einem Nebensatz alibihaft eine „Abtreibung“ eingeworfen wird, kommen die ebenso leicht- wie engbekleideten Partymäuse nicht über den Status nett anzusehender, aber seelenloser Abziehbildfiguren hinaus. Mit keinem der sechs Protagonisten lässt sich so richtig mitfiebern und selbst wenn López im finalen Drittel das bloße Zerquetschtwerden hinter sich lässt und in sadistischere Exploitation-Gefilde hinabsteigt - sprich mit dem Foltern und Vergewaltigen loslegt -, lässt das brutale Geschehen erschreckend kalt.

    Mit den Häusern und der Infrastruktur bricht auch die Zivilisation an sich zusammen: Das ist die eigentliche Idee des Films, aber sie kommt kaum zum Tragen. Mit Ausnahme einer alleinerziehenden Mutter, die aus Angst um ihre Kinder jeden Fremden nieder- und damit jede Nächstenliebe in den Wind schießt, sind es nämlich einzig die aus einem eingestürzten Gefängnis entflohenen Häftlinge, die das Chaos zur Befriedigung ihrer niederen Triebe ausnutzen. Da waren beispielsweise die Macher von „Ich spuck‘ auf dein Grab“ und „Wer Gewalt sät“ in den 70ern schon um einiges mutiger, immerhin waren es in jenen Filmen die Jedermänner aus der Mitte der Gesellschaft, die sich als vom Gesetz unberührbar wähnten und sich deshalb wie triebgesteuerte Steinzeitmenschen aufführten. Aber es gibt auch Positives zu „Aftershock“ zu sagen, denn immerhin steht den eklatanten inhaltlichen Schwächen eine mehr als ordentliche technische Umsetzung gegenüber. So hat Eli Roth in einem Interview verkündet, dass es der Film trotz seines schmalen Budgets mit einer 40-Millionen-Dollar-Studioproduktion aufnehmen könne. Und tatsächlich: „Aftershock“ sieht viel, viel teurer und aufwändiger aus, als er in Wirklichkeit war. Auf der anderen Seite ist es in Anbetracht dieser handwerklichen Qualitäten aber fast noch ärgerlicher, dass er ansonsten auf ganzer Linie enttäuscht.

    Fazit: „Aftershock“ ist handwerklich kompetent umgesetzter, aber inhaltlich fragwürdiger, seelen- und spannungsloser Low-Budget-Horror.

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