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    Leben und Tod einer Pornobande
    Kritik der FILMSTARTS-Redaktion
    4,0
    stark
    Leben und Tod einer Pornobande
    Von Lars-Christian Daniels

    Mit seinem umstrittenen Schocker „A Serbian Film" inszenierte der serbische Filmemacher Srdjan Spasojevic 2010 einen der brutalsten Horrorfilme der jüngeren Vergangenheit. Nicht nur den Sittenwächtern seines Heimatlandes – Nationalisten forderten gar die Verhaftung des Regisseurs – lieferte das albtraumhafte Gemetzel des ehemaligen Pornostars Milos (Srdjan Todorovic) erwartungsgemäß reichlich Diskussionsstoff über Grenzüberschreitungen und die explizite Darstellung von Gewalt. Als wäre dies noch nicht genug, beschert sein serbischer Landsmann Mladen Djordjevic der kontroversen Debatte nun neue Nahrung: Seine verstörende Mockumentary „The Life and Death of a Porno Gang" erreicht zwar nicht die atemberaubende Nachwirkung von „A Serbian Film", stellt den Magen des Zuschauers aber ebenfalls auf eine harte Probe. Doch trotz der erschreckend real inszenierten Snuff-Sequenzen und einigen Hardcore-Sex-Einlagen meistert der serbische Filmemacher in bemerkenswerter Manier den Spagat zwischen bizarrer Milieustudie, blutigem Road Movie und beklemmendem Drogendrama. Und darüber ist sein knallharter Film eben auch eine verbitterte Abrechnung mit dem Milosevic-Regime der Jahrtausendwende.

    Marko (Mihajlo Jovanovic) ist ein junger, ambitionierter Filmemacher, der soeben seinen Hochschulabschluss gemacht hat. Da ihm sein reicher Vater, der für die eigenwillige Filmkunst des Sohnes nichts übrig hat, jede finanzielle Unterstützung verweigert und auch sonst kein Geldgeber aufzutreiben ist, lässt sich Marko mit dem zwielichtigen Pornoproduzenten Cane (Srdjan Miletic) ein. Der hält jedoch wenig von künstlerisch ausgerichteten Sexfilmen, die kaum ihre Produktionskosten wieder einspielen. Weil Marko bei Cane in der Kreide steht und dringend Geld braucht, macht er sich selbständig und castet sich kurzerhand seine eigenen Pornostars zusammen: die gescheiterte Theaterschauspielerin Una (Ana Acimovic), einen Transvestiten, zwei Junkies, ein HIV-positives Schwulenpärchen und einige weitere schräge Vögel. Als mobiles Pornokabarett zieht die bunte Truppe in einem Bus durch Serbien und wird schon bald zur gefeierten Attraktion der Dörfer. Es dauert nicht lange, bis der deutsche Filmproduzent Franc (Srboljub Milin) auf die „Porno Gang" aufmerksam wird und Marko ein lukratives Angebot macht: Er soll Snuff-Filme für ihn drehen...

    Die Figurenkonstellation in „The Life and Death of a Porno Gang" erinnert fast ein wenig an Dieter Wedels Kiez-Drama „Der König von St. Pauli", das Ende der 90er Jahre Einschaltquoten auf „Tatort"-Niveau einfuhr: Ein Dutzend schwieriger Figuren im Sex- und Kabarettmilieu, die sich für eine gemeinsame Mission zusammenraufen, ergänzt um eine kitschige Liebesgeschichte, Gewalt und reichlich nackte Haut. Im Gegensatz zum deutschen TV-Altmeister verzichtet Mladen Djordjevic aber erfreulicherweise auf melodramatisches Beiwerk und integriert die Romanze zwischen Marko und Una angenehm unaufdringlich im großen Handlungsentwurf. Die anfangs noch heitere Geschichte um den Versuch eines Hochschulabsolventen, mit seiner soziopolitischen Filmkunst im knallharten Pornobusiness Fuß zu fassen, generiert einleitend sogar den ein oder anderen Gag – das Lachen bleibt dem Zuschauer aber schon bald im Halse stecken.

    Der serbische Filmemacher arrangiert mit „The Life and Death of a Porno Gang" ein beklemmendes Gesamtwerk, dessen Intensität von Minute zu Minute konsequent zunimmt und im finalen Akt seinen markerschütternden Höhepunkt erreicht. Djordjevic schmeißt den Zuschauer unvorbereitet ins kalte Wasser und skizziert ein Milieu, in dem Sodomie zum Tagesgeschäft gehört und Leichen in pinken Plastiksäcken am Straßenrand vergraben werden. Er dreht vor dreckigen, kargen Kulissen, in verfallenen Fabrikhallen und in finsteren Wäldern und porträtiert das Serbien der Jahrtausendwende als ein von Krieg, Armut und fehlender Perspektive gebeuteltes Land. Die skurrile Kabarettshow der „Porno Gang" bildet mit ihren knallbunten Perversionen und sexuellen Phantasien einen fast surrealen Kontrast zu den fürchterlich tristen Bildern.

    Für ein zartbesaitetes Publikum ist „The Life and Death of a Porno Gang" zweifellos ungeeignet: Die Kamera hält bei explizitem Hardcore-Sex ebenso drauf wie bei den blutigen Snuff-Sequenzen, in denen sich ein junger Mann minutenlang die Bauchdecke aufschlitzt, Hälse brutal mit der Motorsäge durchtrennt und Schädel mit dem Holzhammer eingeschlagen werden. Selbst das bizarre Fußballspiel von Soldaten mit dem Kopf eines exekutierten Gefangenen fängt die Kamera schonungslos ein. Doch Djordjevic liefert mehr als billige (S)Exploitation: Sein Film rechnet schonungslos mit dem Milosevic-Regime ab und macht die Angst der Protagonisten vor einer drohenden Rückkehr nach Belgrad zum treibenden Handlungselement. Kein Mitglied der skurrilen „Porno Gang" möchte in die serbische Hauptstadt zurückkehren – auch wenn der Preis dafür sexuelle Erniedrigung oder Selbstmord ist. Was als harmloser Ausflug einer in ihrer finanziellen Not geeinten Gemeinschaft beginnt, muss zwangsweise in einer Tragödie enden.

    Mladen Djordjevics erschütternde Mockumentary ist ein Schlag in die Magengrube seines Publikums und funktioniert dabei gleich auf mehreren Ebenen: als verstörend brutaler Einblick ins schmutzige Sexmilieu, als intensive Charakterstudie, zugleich aber auch als eigenwilliges Road Movie und tragisch endende Romanze. Wer sich mit „A Serbian Film" anfreunden kann, sollte definitiv einen Blick riskieren: „The Life and Death of a Porno Gang" ist der nächste serbische Geheimtipp.

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