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nada-
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4,5
Veröffentlicht am 12. März 2012
Werner Herzog gibt uns in "Cave Of Forgotten Dreams" nicht nur über Höhlenmalereien und Interviews mit Archäologen, Paläenthologen und sonstigen netten Exoten der Wissenschaft einen Einblick in eine vergangene Epoche der Menschheitsgeschichte, sondern spannt über die Frage nach dem Menschsein und seiner Spiritualität an sich geschickt den Bogen in die Gegenwart. Und wie lässt es sich besser über das Fühlen, Denken und Handeln unserer Art meditieren als bei der Betrachtung archaischer Kunst in flackerndem Licht und in der heimeligen Atmosphäre einer feuchten Höhle, im Kino der Vorzeit also? Ich finde, alleine schon der umwerfend vorgetragene Denkanstoss zum Schluss des Films macht eine Auseinandersetzung mit Herzogs Träumereien lohnenswert. Albinokrokodile sind einfach faszinierende Tierchen.
Mein erster aktueller 3D-Film und dann gleich dieser Hammer! Einige der südfranzösischen Höhlenmalereien kenne ich aus eigenem Augenschein (Peche-Merle, Lascaux, einige kleinere Orte), damit war die neue Doku von Werner Herzog natürlich ein Muss. Wer von diesen erstaunlichen Kunstwerken aus der europäischen Frühzeit nicht verzaubert wird, dem ist wirklich nicht zu helfen. Aber zurück zum Film: klugerweise wurden die Chauvet-Höhlen nie für das Publikum geöffnet, ausschließlich Wissenschaftler haben begrenzten Zutritt. Dass die französische Regierung Werner Herzog die erste Drehgenehmigung gab, halte ich für einen klugen Coup. So kann man sicher gehen, dass den Bildern die gebührende Aufmerksamkeit zuteil wird, ja, sie sogar bis ins Kino vordringen. Jede andere Doku wäre mit großer Sicherheit in den Bildungsfernsehkanälen versumpft. Herzog führt den Zuschauer sorgsam von außen an die Malereien heran. Man begleitet das Team auf dem gesamten Weg vom Parkplatz bis ins tiefste Innere. Das ist gut so. Der Blick auf die Wissenschaftler und Kunsthistoriker und die Gespräche mit Ihnen vermitteln verschiedene Aspekte des Sensationsfundes ohne den unbedarften Zuschauer mit trockenem Faktenwissen zu erschlagen. Der Einsatz des Meisterparfumeurs grenzt ans Genialische: wie die Sinneswahrnehmung Geruch ins Kino transportieren? Herzog läßt einen Spezialisten von Weltrang die Geruchswelt außerhalb und innerhalb der Höhle in Worte fassen. Ebenso das kurze Interview mit dem Experimentalpaläöanthropologen, der auf einer simplen Knochenflöte die amerikanische Nationalhymne spielt. So wird dargestellt, über wieviel sorgfältige Handwerkskunst unsere Vorfahren bereits verfügten (die Flöte muss aberdutzende von Vorläufern gehabt haben, bevor sie funktionierte) und dass mit der Pentatonik (die die physikalischen Gesetzmäßigkeiten der Obertonreihe abbildet) bereits ein moderner Melodieraum erschlossen werden kann. (Hinweis: der nächste große Evolutionsschritt der abendländischen Musik war die Erfindung der wohltemperierte Stimmung vor 250 Jahren). Zu den Höhlenmalereien selber sage ich hier nichts. Der Film gibt ihnen die gebührende Zeit. Diese muss jeder Betrachter sich selber nehmen. Zum Thema 3D: mir persönlich (Brillenträger mit -4 Dioptrien) war der Film optisch etwas zu anstrengend. Die Kombination Handkamera und 3D ist unruhig und die Szenerien wirken manchmal wie papierene Dioramen. Voll zur Geltung kommt die Technologie, wenn die Kamera nahezu ruhig steht und die Malereien fixiert. Hier kommt die Plastizität der gewölbten Felswände sehr schön zur Geltung. Ich hätte es vorgezogen, wenn Herzog 3D nur für die Höhlenaufnahmen eingesetzt hätte und die Interviews und Außenaufnahmen in Normal-2D präsentiert hätte. Fazit: ein beindruckender Film, den ich jedem Mitmenschen mit auch nur einem Klacks Geschichtsbewußtsein ans Herz lege.
Wir haben den Film im Kino gesehen und um es gleich vorab zu sagen: Andere Werke von Herzog in Ehren - aber diese "Dokumentation" fällt total durch. Ich habe mich selbst als Wissenschaftler UND Künstler viele Jahre mit der Geschichte zur Entdeckung der Höhle und den Hintergründen beschäftigt, doch hier wurde nur oberflächlich recherchiert. Das dürfte einem renommierten Regisseur eigentlich nicht passieren. Die Dokumentation beginnt mit ein paar Sätzen, in denen alles vorweggenommen wird, von einem Sprecher in Schwäbisch (ist das Herzog?) gesprochen, d.h. der Spannungsbogen der Handlung wird gleich am Anfang zerstört, bzw. gar nicht erst aufgebaut, also ganz anders als in Chauvets Buch. Die Bildführung in der Grotte ist hektisch oder besser gesagt grottenschlecht (ist das Absicht?), überall ständig blinkende Taschenlampen und umherhuschende Lichtstrahlen, dazu wird die Ruhe der Höhle ständig von gefälliger "Begleit-Musik" zugedröhnt und die Details sieht man trotz 3D (warum das überhaupt?) gar nicht, abgesehen von einer Passage gegen Ende. Ist da das gezeigte Panneau der Löwen eigentlich das Original oder die Kopie der Höhle? Die echte Grotte Chauvet ist vielleicht das bedeutendste Kunstwerk der Welt, da müsste man auf die fortgeschrittene, fast "moderne" Gestaltungstechnik im Panneau der Löwen schon etwas intensiver eingehen. Da müsste ein Kunstmaler her. Es gibt auch eklatante Fehler: Seit wann ist Kohlendioxid "giftig"? Das ist übrigens nicht der einzige fachliche Schnitzer. Der Textinhalt von Werner Herzog ("written by" heißt es zum Schluss) erinnert manchmal an Passagen in Chauvets Buch, das man deshalb als Quelle unbedingt erwähnen hätte müssen. Kein Wort zu den Farben, zu den Materialien und zu den Maltechniken, stattdessen ein bizarrer Schwenk zu einem Atomkraftwerk und weißen Krokodil-Albinos am Ende. Da haben wir die philosophischen Aussagen nicht richtig verstanden. Was sollte denn das? Die Krokodile zerstören total die inneren Bilder, die sich vielleicht im Kopf eingestellt haben. Überzeugend wirken lediglich die Interviews mit den französischen Höhlenforschern. Dann aber: Was soll denn der Schwenk nach Blaubeuren und zu den erotischen Darstellungen der weiblichen Figuren? Das ist doch nicht Schwerpunkt in der Bilderwelt der Grotte Chauvet. Dann spielt irgendwo im Schwäbischen auch noch ein Amerikaner die amerikanische Nationalhymne auf einem Flötennachbau aus der Steinzeit oder die Schattenwürfe an den Höhlenwänden werden mit dem Schattentanz von Fred Astaire verglichen (und gezeigt). Schlechter geht es einfach nicht mehr. Hier wurde versucht, aus absolut spärlichem Filmdreh-Material und einer Textvorlage nach einem oder zwei Büchern, eine fast eineinhalbstündige Kino-Dokumentation aufzubauschen, die international (und auch in den USA) bestehen soll. Im Gegensatz zum extrem spannenden Buch oder einer alten, deutsch-französischen Dokumentation über die Chauvet-Höhle ist dieser Film einfach nur langatmig. Didaktisch, also zum Einsatz in der Schule, ist er auch nicht geeignet.