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    I melt with You
    Kritik der FILMSTARTS-Redaktion
    3,5
    gut
    I melt with You
    Von Robert Cherkowski

    Man kann das Tier im Manne mit einem Job, einem trauten Heim oder sozialer Absicherung in seine Schranken weisen – so ganz wird man es dennoch nie besänftigen. Meist erwacht es gerade dann, wenn man(n) glaubt, den Schlund der Bestie endlich mit Einkommen, Reife und Selbstsicherheit gestopft zu haben. Gerade zu dieser Zeit des Lebens – auch als Midlife-Crisis bekannt – wird es manchmal besonders gefährlich, da sich zunehmend die Frage stellt, ob das denn schon alles war und ob das Leben nicht doch noch irgendwelche Überraschungen in petto hat. Michel Houellebecq bezeichnete dieses Aufbegehren als das Verlangen nach einer „Extraportion Leben", für die sich der moderne Mann gern zum Affen oder zu Schlimmeren macht. Von der Jagd nach dieser „Extraportion" handelt schon so mancher wüste kleine Film. Während viele Regisseure dabei eher einen humoristischen Ton anschlagen, geht Mark Pellington („Arlington Road") mit „I Melt With You" in die entgegengesetzte Richtung und führt den Zuschauer direkt ins Herz der Finsternis. Auch wenn ihm dabei so manches Mal die inszenatorischen Zügel entgleiten, ist sein nachtschwarzes Drama dennoch ein denkwürdiger Trip.

    Wenn sich die Unifreunde Richard (Thomas Jane), Ron (Jeremy Piven), Jonathan (Rob Lowe) und Tim (Christian McKay) einmal im Jahr treffen, um dem Alltag und seinen Sorgen zu entfliehen, wackeln die Wände und die Mittvierziger geben sich in einer Strandvilla mit Alkohol, Pillen und Koks die Kante. Doch alle vier haben mehr oder weniger gute Gründe für ihr Verhalten: Richard ist ein gescheiterter Schriftsteller, der sich als Lehrer durchschlägt. Ron mag zwar ein wohlhabender Familienvater sein, doch droht sein Wohlstand in jeden Moment in einem Haufen Schulden zu kollabieren. Harmlos wirken dagegen die Sorgen des Arztes Jonathan, dessen Beruf nur noch daraus besteht, gelangweilten Hausfrauen Wohlfühl-Pillen zu verschreiben, während er privat seiner kaputten Ehe und den Scheidungskindern hinterhertrauert. Einzig der bisexuelle Tim scheint mit sich und seiner Trauer über den Unfalltod seiner zwei Geliebten im Reinen zu sein, doch nach einer wilden Party mit reichlich Sex und Drogen erhängt er sich. Um die zahllosen Drogen in ihrer Blutbahn nicht vor der Polizei erklären zu müssen, verstecken Ron, Richard und Jonathan Tims Leiche. Als die örtliche Polizistin Boyle (Carla Gugino) neugierig wird, was es mit dem Treiben in der abgeschiedenen Villa auf sich hat, spitzt sich die Lage dramatisch zu...

    Eine Geschichte wie diese steht und fällt mit den Schauspielern. An dieser Front kann man „I Melt With You" keinen Vorwurf machen: Vor Eric Schmidts („The Mechanic") Kamera hat sich eine illustre Runde (ehemaliger) Stars und Schönlinge versammelt, die so mutig und uneitel agieren wie es der Stoff verlangt. Wenn Rob Lowe („Die Outsider", „St. Elmo's Fire") als von Selbsthass und Langeweile zerfressener Arzt seinen Mitstreitern die selbst mitgebrachten Pillen in den Rachen stopft, „Entourage"-Berserker Jeremy Piven als von Schulden und Schuldgefühlen ausgezehrter Erfolgsmensch langsam aber sicher den Überblick über sein Leben auf Raten verliert oder Thomas „Punisher" Jane als gescheiterter Schriftsteller und jetziger Englischlehrer versucht, die Enttäuschung über die verpatzte Karriere in kruden Reden und Rausch zu verbergen, blickt man tief in die Abgründe verletzter Männlichkeit. Einzig Christian McKay („Dame, König, As, Spion", „Ich & Orson Welles") in der Rolle des von stiller Trauer verzehrten Tim steht offener zu seinen Defekten, wodurch ihm auch etwas mehr Würde zugestanden wird als seinen Mitstreitern. Neben diesem desolaten Quartett an verkommenen Mistkerlen hat es die restliche Besetzung schwer. Da kann Carla Gugino („Sin City") sich als ermittelnde Polizistin noch so bemühen und Sasha Grey („The Girlfriend Experience") noch so engagierten Körpereinsatz zeigen – sie bleiben Zaungäste bei der Abwärtsspirale vierer unrettbar verlorener Charakterschweine.

    So hässlich der Weg Richtung Nullpunkt auch ist, rein optisch ist er von bestechender Schönheit. Es fällt schwer, den Blick von der flirrend-hypnotischen Videoclipästhetik abzuwenden, mit der Pellington und Schmidt die ausgebrannte, drogenumnebelte Wahrnehmung der Protagonisten visualisieren. Wie durch einen von Pillen, Schnaps und Koks vernebelten Schleier weisen die Bilder den Weg ins zerklüftete Innere der versehrten Figuren. Pellington kennt hier kaum Zurückhaltung: Wie in einer Endlosschleife werden die immer gleichen obszönen Dialoge über zerschossene Träume wiederholt, dazu ergeht der Regisseur sich in Drogenmontagen und Nahaufnahmen der übernächtigten, verkaterten Gesichter aufgedunsener alternder Männer, bis es kaum noch zu ertragen ist. Das Dilemma der Protagonisten wird hier schonungslos, aber auch überdeutlich ausformuliert und es kann einen das Gefühl beschleichen, dass sich sowohl die Darsteller als auch Pellington in den exzessiven Leidensposen zuweilen ziemlich cool vorkommen - jedenfalls suhlen sie sich zu den Klängen eines auf hip getrimmten Soundtracks förmlich in Selbstmitleid und Weltekel.

    „I Melt with You" ist rauschende Orgie und Kater gleichermaßen: Um von Erschöpfung und Ekel zu erzählen, gibt es gewiss auch andere Methoden, als das Publikum zwei Stunden lang zu erschöpfen und zu ekeln. „I Melt with You" erzielt zwar seine Wirkung, nagt dabei jedoch gewaltig am Nervenkostüm des Betrachters. Weniger egozentrischer Exzess hinter der Kamera hätte dem egozentrischen Exzess der Geschichte letztlich nur gutgetan. Für den Film ist es jedenfalls fast schon zu spät, wenn ungefähr zur Halbzeit der (im Übrigen nicht sehr originelle) Krimiplot in die Gänge kommt und die Drogen-, Sex- und Alkoholausschweifungen zurückdrängt.

    Fazit: Regisseur Mark Pellington geht bei der Erforschung männlicher Midlife-Krisen ohne Rücksicht auf Verluste an die Schmerzgrenze und darüber hinaus, nur die schicke Hochglanz-Optik und die exzessiven Weltschmerz-Posen wirken dabei zuweilen aufgesetzt. Was bleibt ist ein zwar unrunder, aber auch hochinteressanter Film.

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