Dramen, die nicht bloß Kratzer, sondern tiefere Spuren beim Zuschauer hinterlassen, verfahren oft nach dem Prinzip von Prügel und Läuterung: Im Durchleiden der Schicksale existentiell erschütterter Figuren findet sich letztlich die Katharsis. „In einer besseren Welt" erzielt diesen Effekt zwar ohne übermäßige Brutalität, aber mit der gleichen Unerbitterlichkeit, die auch andere Meisterwerke des Genres auszeichnet. Kühl und schmerzlich direkt inszeniert Susanne Bier beinahe makelloses Charakterkino, das ebenso sehr im Hinblick auf die psychologische Durchdringung der Figuren wie auch als Meditation über Grundmenschliches zu begeistern weiß.
Ein Riss durchläuft zwei junge dänische Familien: Christian (William Jøhnk Nielsen) kann den Krebstod seiner Mutter nicht verwinden und wird, getrieben von hilfloser Wut, zunehmend eigenbrötlerisch und verschlossen. Elias (Markus Rygaard) hingegen leidet unter der Trennung seiner Eltern und der ständigen Abwesenheit seines Vaters Anton (Mikael Persbrandt), der mehrmonatig als Arzt in einem afrikanischen Flüchtlingscamp arbeitet. Die junge Freundschaft der beiden Außenseiter entpuppt sich als gefährliche Allianz, denn bald schon richtet sich ihr unterdrücktes Leid gegen die Außenwelt.
Die Aufmerksamkeit der Regisseurin gilt zuallererst ihren Figuren, deren emotionale Wechselfälle sie mit fast seismographischer Genauigkeit aufzeichnet. Dabei gibt es kaum ein affektives Detail, das ihrem suchenden Blick entgeht. Die Schauspielerriege kommt ihr in dieser Hinsicht mit einer fabelhaften Leistung entgegen, das gesamte Ensemble agiert durchweg sehr glaubwürdig und bei aller Dramatik nie überzogen. Ein besonderes Lob gilt dabei den beiden Jungdarstellern, die in den Rollen von Christian und Elias ihr Alter und über weite Strecken auch die Kamera vergessen lassen.
Mit fortlaufender Spieldauer wird jedoch deutlich, dass Susanne Bier mehr will, als einzelne Akteure in ihren individuellen Lebenszusammenhängen zu porträtieren. Die anfangs etwas irritierenden Sequenzen, die Anton bei seiner Arbeit im Flüchtlingscamp zeigen, sind dabei konzeptionell zentral: Dänemark und Afrika sollen nicht kontrastierend gegeneinander abgegrenzt, sondern vielmehr gleichgesetzt werden. Verallgemeinernd und länderübergreifend stellt der Film die Frage nach der Entstehung von Gewalt. Bestialische Kindermörder schlitzen afrikanischen Mädchen mit Messern die Bäuche auf, und ein Messer ist es auch, mit dem in Dänemark die Eskalation von Gewalt bei Christian und Elias beginnt.
Eine Szene bringt dieses Zurücktreten der individuellen Ebene zugunsten einer allgemeinen Fragestellung hervorragend zusammenfassend zum Ausdruck: Umgeben von großen Panoramafenstern, in denen sich die Außenwelt gleißend spiegelt, steht Anton in seiner Küche. Sein ernstes, nachdenkliches Gesicht ist dahinter nur noch schemenhaft zu erkennen. Es ist nicht die einzige Metapher, die sich die ehemalige Dogma-Regisseurin zunutze macht: Immer wieder streut sie an Angelpunkten der Story zufällig wirkende Naturbilder ein, durch die das Schicksal der Figuren in einen breiteren Denkzusammenhang gestellt wird, indem sie die gezeigten menschlichen Dramen als essentialistisch und naturgegeben ausweisen. Gewalt, so die Aussage, ist ebenso elementar wie unausweichlich – demnach also auf eine schreckliche Weise „natürlich".
„In einer besseren Welt" bleibt zum Glück nicht bei diesem Erklärungsmodell stehen, sondern liefert eine weiterführende filmische Antwort auf die aufgeworfene Grundfrage, wenn als Ursache von Gewalt der Verlust von Halt im Leben benannt wird: Erst in Antons fürsorglicher Umarmung findet Christian genug Trost und Sicherheit, um seine Wut zu vergessen. „Manchmal scheint es, als sei ein Schleier zwischen dir und dem Tod", erklärt Anton, und tatsächlich wirkt es, als wolle Susanne Biers Drama diese Grenze aufheben, indem sie die Verletzlichkeit ebenso wie die westliche Scheinsicherheit von Leben in jeder Szene spürbar werden lässt.
Unsere Welt ist „die beste aller möglichen Welten" – dieses Diktum Leibniz‘ meint, dass alles Übel notwendig zur Existenz gehört und das Gute überhaupt erst ermöglicht - und es ist unter anderem diese Erkenntnis, die Susanne Biers Drama traurig bebildert. Der deutsche Titel „In einer besseren Welt" benennt also eher eine Sehnsucht als eine reale Möglichkeit. Als Zuschauer mag man sich nach dem Film ohnehin keine Illusionen mehr machen, sondern hat vielmehr den Eindruck, trotz einer ordentlichen filmischen „Tracht Prügel" einige Dinge klarer zu sehen als zuvor.